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Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.

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Falschannahme im Umgang mit Ungeimpften: Daniel Günther und das magische Denken

Die Idee, die Treffen von Ungeimpften untereinander einzuschränken, setzt auf deren Einsichtsfähigkeit. Das ist kühn. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Karin Christmann

Hoch aus dem Norden, dort, wo die Inzidenzen bei Werten liegen, die heutzutage als niedrig gelten, kommt ein neuer Vorschlag zur Bekämpfung der Pandemie. „Ich finde, dass sich Ungeimpfte gar nicht treffen sollten in diesen Zeiten, um das Virus nicht weiterzuverbreiten“, mit diesem Satz lässt sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) laut dpa zitieren. Er sei dafür, diese Bereiche noch weiter einzuschränken.

Kann das eine Idee sein, um dem Corona-Durchmarsch etwas entgegenzusetzen? Wohl kaum. Der Vorschlag entspringt eher dem magischen Denken, das derzeit unter politischen Entscheidungsträger:innen ohnehin beliebt ist. Sie beschließen zu lasche Maßnahmen, und das viel zu spät. Sie planen das Notwendige nicht, schon gar nicht rechtzeitig. Und sie behaupten doch weiter, das alles werde schon irgendwie reichen - während schwerkranke Patient:innen bereits quer durchs Land geflogen werden müssen.

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Der Erfolg von Günthers Idee würde zentral von der Einsichtsfähigkeit der Ungeimpften abhängen. Mit der aber ist nach Lage der Dinge nicht zu rechnen. Man stelle sich vor: Zwei befreundete Ehepaare, alle vier Personen lehnen die Corona-Schutzimpfung ab. Sie glauben ohnehin nicht, dass das Virus ihnen etwas anhaben könnte.

Und für den Fall, dass doch, haben sie Pferde-Entwurmungsmittel in der Hausapotheke. Ist es vorstellbar, dass diese beiden Ehepaare auf ihren Doppelkopf-Abend verzichten, weil Daniel Günther den für gefährlich hält? Die Frage beantwortet sich von selbst.

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Nicht jeder, der bis jetzt ungeimpft ist, ist ein finsterer Verschwörungskrieger. Unter den Ungeimpften sind zum Beispiel auch junge Frauen, die die Gefährlichkeit des Corona-Virus nicht leugnen, aber Angst davor haben, die Impfung könne sie unfruchtbar machen.

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Die bisher Ungeimpften haben aber gemeinsam, dass sie mit rationalen Argumenten nur noch schwer zu erreichen sind. Deshalb darf es nicht passieren, dass Vorschläge wie der von Günther diskutiert werden, als könnten sie allein für die notwendige drastische Kontaktreduktion sorgen.

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Nun sind vom Staat aufgestellte Vorschriften nicht immer nur dann sinnvoll, wenn sie in der Praxis bis ins letzte zu kontrollieren sind. Von ihnen kann Signalwirkung ausgehen, und der Staat darf und soll grundsätzlich auf die Regeltreue seiner Bürger:innen setzen. Insofern ist Günthers Idee nicht einmal falsch. Doch sie lenkt vom Wesentlichen ab.

Statt sich im Klein-Klein zu verstricken und nun zu diskutieren, ob sich zwei oder drei Ungeimpfte treffen dürfen, muss die Politik die großen Linien neu ziehen - und dabei endlich einkalkulieren, dass sich leider zu viele Menschen vom Prinzip der solidarischen Vernunft verabschiedet haben. Das ist hinlänglich bekannt. Die Ampel aber hat bisher Stromausfall.

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