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Bauerndemo für Pestizide: „Dann schlittern wir einer Ernährungskrise entgegen“
In der EU bahnt sich ein Konflikt um den Einsatz von Pestiziden an. Eine Traktor-Demo in Bonn liefert schon einmal einen Vorgeschmack.
Stand:
Mehr als 500 Bauern nehmen an diesem Montag an einer Demonstration in Bonn teil, die einen Vorgeschmack auf die bevorstehende Diskussion um die Verringerung von chemischen Pestiziden lieferte. Die Landwirte protestieren vor dem Bonner Dienstsitz des Bundeslandwirtschaftsministeriums gegen den Plan der EU, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft bis zum Jahr 2030 um die Hälfte zu reduzieren.
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Im vergangenen Juni hatte der Vizechef der EU-Kommission, der Niederländer Frans Timmermans, angekündigt, dass laut einem Vorschlag der Brüsseler Behörde der Einsatz von Pestiziden bis 2030 um 50 Prozent reduziert werden soll. Statt dessen sollen die Landwirte zu Alternativen wie einer geänderten Fruchtfolge greifen oder neue Technologien verwenden, die einen gezielteren Einsatz der Pflanzenschutzmittel erlauben. Zudem sieht der Brüsseler Verordnungsentwurf vor, dass die Bevölkerung an besonders sensiblen Orten vor dem gesundheitsschädigenden Einfluss von Pestiziden künftig sicher sein muss – etwa in städtischen Grünanlagen, Schulen oder Sportanlagen.
Timmermans ist in der EU-Kommission verantwortlich für die Öko-Strategie „Vom Hof auf den Tisch“, die Europas Landwirtschaft insgesamt nachhaltiger machen soll. Die Reduzierung der Pestizide dient dabei dem Ziel, einen weiteren Rückgang der Artenvielfalt zu verhindern. Ohne eine Pestizidreduktion droht nach den Worten von Timmermans eine Nahrungskrise, weil das derzeitige Niveau beim Gebrauch der Pflanzenschutzmittel die biologische Vielfalt in zehn bis 15 Jahren derart gefährden werde, dass die Landwirtschaft in Europa nicht mehr aufrecht erhalten werden könne.
Demo-Organisator: Produktion in gewohnter Qualität nicht mehr möglich
Genau andersherum sieht das Ansgar Tubes, der als Sprecher des Landwirtschaftsverbandes „Land sichert Versorgung NRW“ zu den Organisatoren der Traktoren-Demonstration in Bonn gehört. „Wenn die Pläne von Timmermans umgesetzt werden, dann schlittern wir einer Ernährungskrise entgegen“, sagte er dem Tagesspiegel. Falls die EU-Verordnung zur Reduktion des Pestizid- und Düngemitteleinsatzes tatsächlich in der von der Kommission geplanten Form komme, „dann können wir nicht mehr in der gewohnten Qualität produzieren“, so Tubes. Ein Festhalten am gegenwärtigen Einsatz der Pflanzenschutzmittel sei auch deshalb notwendig, weil der biologische Landbau nur 50 Prozent der Ernteerträge erziele, wie sie in konventionellen Betrieben üblich seien.

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Für Timmermans war es ein politisches Wagnis, sein Vorhaben vorzustellen, auch wenn der Krieg in der Ukraine inzwischen einige Vorzeichen bei der Förderung des Öko-Landbaus in Brüssel geändert hat. So müssen Landwirte nicht mehr wie ursprünglich geplant ab dem kommenden Jahr vier Prozent der Flächen brach liegen lassen, um den Artenschutz zu fördern.
Bioland-Verband ist alarmiert
Unterstützung erhält Timmermans derweil vom Bioland-Verband. Angesichts des Pflanzenberichts 2021 des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, dem zufolge der Absatz von Pestiziden in Deutschland 2021 gestiegen ist, sprach Gerald Wehde vom Bioland-Verband von einem weiteren Verlust der Biodiversität. Alarmierend ist nach den Angaben des Verbandes vor allem ein Anstieg um 33,9 Prozent beim umstrittenen Pflanzenschutzmittel Glyphosat von 2019 bis 2021.
Mehrere EU-Länder gegen verbindliche Vorgaben
Im Ringen um die Pestizid-Verordnung steht den EU-Mitgliedsländern, der Kommission und dem Europaparlament eine hitzige Debatte bevor. Das Novum des Verordnungsentwurfs besteht darin, dass für jedes Mitgliedsland verbindliche Reduktionsziele beim Einsatz der Pestizide festgelegt werden. Allerdings haben sich bereits Ungarn, Polen, Estland, Bulgarien, Österreich, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien gegen derart verbindliche Vorgaben ausgesprochen.
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