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Das sagen Ökonomen zum Sondierungspapier: „Unsinnige Subventionen und Klientelpolitik“
Union und SPD hatten sich am Samstag auf ein Sondierungspapier geeinigt. Bei Ökonomen stößt dies auf Skepsis, zum Beispiel in Bezug auf den Mindestlohn. Aus der Wirtschaft selbst gibt es auch Zuspruch.
Stand:
Ökonomen üben scharfe Kritik an dem von Union und SPD beschlossenen Sondierungspapier. Das Paket zeige jetzt schon, „wie das von beiden Partner anvisierte Ende der Schuldenbremse die Schleusen für unsinnige Subventionen und Klientelpolitik wieder weit öffnet“, sagte Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) am Sonntag der Nachrichtenagentur Reuters.
„Die ermäßigte Mehrwertsteuer in der Gastronomie ist ein Geschenk für wohlhabende Haushalte, die Rückkehr des subventionierten Agrardiesels ein ökologischer Skandal und die Ausweitung der Mütterrente für Kinder eine völlig ungezielte Maßnahme zulasten der Steuerzahler.“ Offenbar hofften beide Partner darauf, erhebliche Teile der Schulden für Rüstung und Investitionen „elegant zweckzuentfremden, um damit einflussreiche Gruppen zu bedienen“.
Union und SPD hatten sich zuvor bereits auf ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für Infrastruktur und auf eine Lockerung der Schuldenbremse für die Verteidigung geeinigt.
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Kritik am elfseitigen Sondierungspapier kommt auch vom Institut für Weltwirtschaft (IfW). „Ambitionierte Konsolidierungsbemühungen sucht man vergeblich“, sagte der Direktor am Forschungszentrum Konjunktur und Wachstum, Stefan Kooths. Im Gegenteil: Es würden neue konsumtive Projekte in Aussicht gestellt. „Damit steht insgesamt zu befürchten, dass die massiv erweiterten Verschuldungsspielräume den Reformeifer erlahmen lassen“, warnte Kooths.
„Im Ergebnis finanzieren die für die Bundeswehr deklarierten Dauerdefizite so nur all das, was nun offenbar nicht mehr auf den fiskalischen Prüfstand kommt.“ Mit höherer Verschuldung ließen sich Verteilungskonflikte zwar eine Weile überdecken. „Mittelfristig drohen sie sich dadurch aber weiter zu verschärfen“, warnte Kooths. Dies gelte umso mehr, als ohne durchgreifende standortstärkende Maßnahmen die Verteilungsspielräume kaum noch wachsen dürften.
Bauernverband kritisiert geplante Anhebung des Mindestlohns
ZEW-Experte Heinemann sieht auch die geplante Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro kritisch. Dies sorge für einen „erheblichen Lohnkostenschub für Geringqualifizierte in strukturschwachen Gebieten - und das in einem sich stark abkühlenden Arbeitsmarkt“.
Dagegen fehle es in der Vereinbarung an allem, was Deutschland dringend benötige: höheres Renteneintrittsalter, Ausweitung der Wochenarbeitszeit, mehr Eigenverantwortung im Fall von Krankheit und Pflege, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und ein konsequenter Subventionsabbau. „Deutschland verharrt auf wichtigen Feldern weiter im schuldenfinanzierten Reformstau“, so das Fazit von ZEW-Experte Heinemann.
Die geplante Anhebung auf 15 Euro pro Stunde kritisierte auch der Deutsche Bauernverband scharf. Der Obst-, Gemüse-, und Weinanbau sei dann in Deutschland „nicht mehr wettbewerbsfähig“, erklärte Verbandspräsident Joachim Rukwied. Er begrüßte jedoch die angekündigte Rückkehr zur Subventionierung von Agrardiesel. Die Streichung dieser Agrarsubvention hatte für monatelange Proteste von Bauern gesorgt.
Unternehmensvertreter loben, sehen aber auch Verbesserungsbedarf
„Der rasche Abschluss der Sondierungsgespräche entspricht den Erwartungen der Wirtschaft, rasch zu einer handlungsfähigen Regierung zu kommen“, erklärte dagegen Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). „Es ist richtig, die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen und ein Potenzialwachstum von deutlich über ein Prozent anzustreben“, erklärte auch Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger.
Inhaltlich sehen die Unternehmensvertreter jedoch auch Verbesserungsbedarf. ZDH-Präsident Dittrich begrüßte insbesondere geplante Entlastungen bei Bürokratie, Steuern und Energiekosten. Es fehle aber „die dringend benötigte Neuausrichtung der sozialen Sicherungssysteme“.
Dulger lobte den „Mut“, klare Ziele zu formulieren. „Um diese Ziele langfristig zu erreichen, braucht es jedoch mehr als schuldenfinanzierte Programme“, schränkte er ein. Für einen „echten Politikwechsel“ reiche das bislang Angekündigte nicht. Kritik übte der Arbeitgeber-Präsident zudem am geplanten Tariftreuegesetz und der anvisierten Anhebung des Mindestlohns.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft lobte die energiepolitischen Vereinbarungen. Die Sondierer hätten hier „die dringlichsten Aufgaben erkannt und adressiert“, erklärte Verbandspräsidentin Kerstin Andreae. Mit der geplanten Senkung der Stromsteuer und dem Zuschuss zu den Netzentgelten stärke die künftige Bundesregierung „die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland und gleichzeitig werden auch Wärmepumpen und Elektroautos noch attraktiver.“
Nach der Einigung über ein riesiges Finanzierungspaket mit Grundgesetzänderungen und Sondervermögen vergangenen Dienstag einigten sich CDU, CSU und SPD am Samstag auf das elfseitige Sondierungspapier. Darin wurden Kompromisse in zentralen Streitfeldern festgeschrieben. Nach gut einwöchigen Sondierungsgesprächen schlugen die Parteichefs die Aufnahme formeller Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer Regierung vor. (Reuters/AFP)
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