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Politik: „Das war Norbert Blüms Fehler“

JU-Chef Mißfelder über Konstruktionsschwächen der Pflegeversicherung – und warum man über ihre Reform leichter reden kann

Stand:

Herr Mißfelder, haben Sie für den Fall Ihrer Pflegebedürftigkeit schon vorgesorgt?

Ich zahle wie jeder Krankenversicherte auch in die Pflegeversicherung ein. Ob das auf Dauer ausreicht, kann ich jetzt noch nicht sagen. Wenn wir politisch über eine Erweiterung des Pflegebegriffs nachdenken, muss jeder auch selbst überprüfen, ob er gut genug abgesichert ist.

Sie vertrauen also nicht darauf, dass die Pflegereform alles richten wird?

Weder bei gesetzlicher noch bei privater Vorsorge reicht das aus, was die Politik bislang gemacht hat. Durch die Alterung der Gesellschaft und die damit zusammenhängende Dynamik sind wir von der kompletten Absicherung des Risikos Pflege weit entfernt. Aber anders als bei der Gesundheit kann sich zumindest jeder jüngere Mensch darauf langfristig einstellen.

Wie denn? Mit ein bisschen Kapitaldeckung, wie von der Koalition vereinbart?

Ich bin unzufrieden mit dem, was dazu im Koalitionsvertrag steht. Im Grunde bräuchten wir einen Komplettumstieg auf die Kapitaldeckung. Das ist zwar eine Maximalforderung, die mit der SPD schwer durchzusetzen sein wird. Aber wir müssen darüber reden, wie der Einstieg in ein kapitalgedecktes System gelingt. Es war Norbert Blüms Fehler, auch bei der damaligen Einführung der Pflegeversicherung auf die Umlagefinanzierung zu setzen. Denn er hat dadurch suggeriert, nicht nur die Rente, sondern auch die Pflege sei „sicher“. Beides war falsch.

In der Union spricht man immer noch von einer Erfolgsstory …

Zu Recht. Die Einführung einer weiteren Sozialversicherungssäule war die richtige Antwort auf die Alterung der Gesellschaft. Die meisten Familien können die Herausforderung der Pflege nicht allein bewältigen. Wenn Kinder an unterschiedlichen Orten arbeiten, lässt sich die Pflege der Eltern nicht mehr so organisieren wie früher in der Dorfgemeinschaft. Das Problem der Pflegeversicherung ist aber die Umlagefinanzierung. Sie war schon in den 90ern wegen der absehbaren demografischen Entwicklung unrealistisch.

Kapitaldeckung trifft vor allem die Jungen. Die müssen dann doppelt zahlen: für die Pflege der Alten und ihre eigene Vorsorge …

Wir müssen bei der Pflege versuchen, alle Generationen einzubeziehen. Bei der Pflegeversicherung kann keiner sagen, er habe schon über Jahrzehnte eingezahlt. Das ist bei der Rentenversicherung anders, daher ist die Verpflichtung der jungen Generation hier viel größer, Rentenanwartschaften zu erfüllen. Bei der Pflege müssen wir die Belastung verteilen. Das heißt: Alle müssen einen Beitrag leisten.

Die Rentner werden begeistert sein …

Ich weiß, dass es sehr viel Protest geben wird. Aber es führt kein Weg daran vorbei, und ich appelliere auch an die Vernunft: Alle Generationen müssen ein Interesse daran haben, dass die Pflegeversicherung in fünf oder zehn Jahren noch funktioniert.

Sagen Sie Ihren Wählern auch, was die Umstellung für ihre Beiträge bedeutet?

Es ist noch offen, mit welcher politischen Linie die Union in die Verhandlungen gehen wird. Einige Ministerpräsidenten haben sechs Euro genannt, der nordrhein- westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann spricht von 13 Euro und mehr. Bevor man sich festlegt, muss auch die Gesundheitsministerin sagen, wie groß der Bedarf wäre. Wir müssen auch gesellschaftlich klären, ob wir den Pflegebegriff erweitern wollen, um insbesondere auch Demenzkranke in die Pflegeversicherung stärker einzubeziehen. Man muss den Menschen gegenüber offen und ehrlich sein. Verlässlichkeit und Planbarkeit bei den kommenden Reformschritten sind wichtig, denn Pflegebedürftigkeit ist bislang ein Tabuthema.

In der Union scheint auch der festgeschriebene Pflegebeitrag ein Tabu zu sein …

Beiträge generell zu erhöhen, halte ich für sehr schwierig. Wir müssen versuchen, unsere arbeitsmarktpolitischen Ziele mit dem Ziel, die Sozialversicherung zu sanieren, zusammenzubringen.

Aber bei der Pflege sind die Arbeitgeber bislang doch fein raus. Für ihre Beiträge hat man ihnen einen Feiertag geschenkt.

Das stimmt. Aber: Die Lohnnebenkosten belasten den Faktor Arbeit sehr stark. Deswegen sollte es hierbei keine weiteren Mehrbelastungen geben.

Bei der Gesundheit gab es einen eher dünnen Kompromiss. Ist das Thema Pflege für Sie jetzt die Nagelprobe in Sachen Generationengerechtigkeit?

Eine unendliche Anzahl von Lobbygruppen hatte Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren: die Gewerkschaften, die Apothekerverbände oder die Pharmalobby. Der Druck von allen Seiten war sehr hoch. Bei der Pflege ist das anders, die Reform wird sachlicher ablaufen. Alle wissen: Wir brauchen eine demografiefeste und generationengerechte Lösung. Und wenn wir den Einstieg in die Kapitaldeckung jetzt nicht schaffen, haben wir wieder wertvolle Zeit verloren.

Ein anderer Einstieg ist geschafft, der in die Rente mit 67. Genügt das denn?

Die Rente mit 67 ist ein wichtiger Schritt. Wie die Rentenversicherung 2050 aussehen soll, bleibt zu diskutieren. Ich habe die Rente mit 70 schon vor vier Jahren gefordert und damals viel Kritik geerntet. Ich bin froh, jetzt Unterstützung auch aus den eigenen Reihen zu erhalten. Wenn die Lebenserwartung weiter steigt, müssen wir in irgendeiner Form länger arbeiten. Wie das aussehen wird, ist eine andere Frage. Aufgrund der sinkenden Geburtenraten wird sich die Arbeitswelt in einer Weise verändern, die wir uns heute noch gar nicht wirklich vorstellen können.

Die Fragen stellte Rainer Woratschka.

Philipp Mißfelder (27) ist seit 2002 Chef der Jungen Union und seit 2005 im Bundestag. Ärger handelte sich der angehende Historiker mit der Idee ein, an künstlichen Hüftgelenken für Alte zu sparen.

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