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2013: Der Lyriker Jörg Bernig bedankt sich für die Verleihung des Radebeuler Kunstpreis.

© André Wirsig/dpa

Update

Debatte um neurechten Autor: Bernig zieht Bewerbung als Kulturamtsleiter von Radebeul zurück

Ein „fatales Signal“ - so warnten Kritiker vor Lyriker Jörg Bernig als Kulturamtsleiter von Radebeul. Der macht nun einen Rückzieher.

Von Matthias Meisner

Am kommenden Montagabend sollte in einer nichtöffentlichen Stadtratssitzung die endgültige Entscheidung fallen: Wird der Lyriker Jörg Bernig, unterwegs im Milieu der Neuen Rechten, neuer Kulturamtschef von Radebeul bei Dresden? Doch die Personalie ist seit Donnerstag vom Tisch: Bernig selbst machte einen Rückzieher und zog seine Bewerbung zurück, wie er in einem Brief an den parteilosen Oberbürgermeister Bert Wendsche mitteilte.

Unter der Überschrift „Was zu sagen ist“ schrieb Bernig an den CDU-nahen Kommunalpolitiker Wendsche: „Unliebsames Denken und unbequeme Personen sollen verdrängt werden. Die dabei verwendeten Werkzeuge reichen von Unterstellung, Verheimlichung, Verdrehung bis zu Stigmatisierung. Es handelt sich um Handlungsweisen aus dem Repertoire des Totalitären.“ Er spricht von einer „intoleranten Praxis der Interessendurchsetzung“, die immer offensichtlicher die Demokratie in Deutschland gefährde.

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Weiter heißt es in dem Schreiben, aus dem zuerst die „FAZ“ zitierte: „Mich vor diesem Hintergrund für eine Wiederholung der ordnungsgemäß erfolgten Wahl
noch einmal zur Verfügung zu stellen hieße jedoch, ideologische Handlungsweisen als Teil der Normalität anzuerkennen und zu rechtfertigen. Für einen abermaligen Wahlvorgang stehe ich nicht zur Verfügung.“

Oberbürgermeister hatte Veto eingelegt

Der in Radebeul lebende Bernig war im Mai - offenbar vor allem mit Stimmen aus der CDU und der AfD - zum Kulturamtsleiter von Radebeul gewählt worden. Nicht nur die örtliche Kulturszene protestierte heftig, sogar der Schriftstellerverband PEN, in dem Bernig Mitglied ist, kritisierte die Berufung. Neben der inhaltlichen Kritik an Bernigs Aufsätzen gab es Kritik, weil er in der Zeitschrift „Sezession“ des Instituts für Staatspolitik (IfS) publiziert, das vom neurechten Vordenker Götz Kubitschek geleitet wird.

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Oberbürgermeister Wendsche hatte fünf Tage nach der Wahl Ende Mai die Notbremse gezogen - und sein Veto gegen den Stadtratsbeschluss eingelegt. Zur Begründung sagte der CDU-nahe Kommunalpolitiker: „Die durch den Beschluss bereits jetzt schon deutlich spürbare Polarisierung wirkt sich aus meiner Sicht negativ und nachteilig für die Stadt aus.“ Ausdrücklich aber hielt er eine Wahl Bernigs am kommenden Montag im Stadtrat für möglich. Die Sache gehe lediglich „in die Verlängerung“, sagte er noch vor wenigen Tagen.

„Argumentationsmuster wie bei Pegida und AfD“

Kurz vor Bernigs Rückzieher hatte der Historiker Volker Weiß - ein Forscher zur extremen Rechten - die Kritiker Bernigs mit einer ausführlichen Expertise munitioniert. Bernigs Positionen „zeugen von einer neurechten Weltanschauung, seine Verbindungen in dieses Milieu sind nachgewiesen“, schreibt Weiß in einem Kommentar, den die Fraktion Bürgerforum/Grüne/SPD am Donnerstag auf ihrer Internetseite veröffentlichte. Die Fraktion zählt zu den erbitterten Gegnern Bernigs.

Wer darf als neuer Kulturamtsleiter in die Kulturschmiede Radebeul einziehen? Das ist nun nach Bernigs Rückzieher wieder völlig offen.
Wer darf als neuer Kulturamtsleiter in die Kulturschmiede Radebeul einziehen? Das ist nun nach Bernigs Rückzieher wieder völlig offen.

© André Wirsig/dpa

Aus Sicht des Geschichtswissenschaftlers Weiß wäre es ein „fatales Signal“ gewesen, wenn Bernig - seine Gegenkandidatin sollte eine Kulturfunktionärin aus Annaberg-Buchholz im Erzgebirge sein - erneut die Mehrheit der Stimmen im Stadtrat auf sich vereinigt hätte. „Bernig kennt in der Erregung selbst keine Zwischentöne mehr“, schreibt Weiß. Seine Gedanken würden sich „unschwer als schöngeistige Spielart der Rede vom ,Großen Austausch' erkennen“ lassen, „einer der wichtigsten Parolen der Neuen Rechten“.

Der Historiker wirft Bernig vor, er würde sich in seinen Aufsätzen steigern „zu einer Ansammlung neurechter Topoi“. Zentral dabei sei die Gleichsetzung von Modernisierung und Liberalisierung mit „linkem bis linksextremen Gedankengut“. Er bagatellisiere die Aggressivität des völkischen Nationalismus, heißt es weiter, bediene sich „derselben Argumentationsmuster wie die Parteigänger von Pegida und AfD“. Und: „Insgesamt bietet Bernig in seinen Themen und Standpunkten, Schlüsselbegriffen und Motiven und nicht zuletzt auch den Publikationsorten das stimmige Bild eines neurechten Autors.“

Beziehungen zu Götz Kubitschek

Im April war bekanntgeworden, dass Kubitscheks IfS vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wurde. Grund für die Beobachtung sind nach „Spiegel“-Informationen unter anderem Verbindungen des Instituts zum völkischen „Flügel“ der AfD sowie weiteren Rechtsextremisten.

Bemerkenswert ist, dass es erste Beziehungen zwischen Bernig und dem rechtsradikalen Institut bereits vor knapp zwei Jahrzehnten gab. Im Oktober 2000 las Bernig ausweislich eines Berichts der „Jungen Freiheit“ bei einer Feierstunde des IfS zum Tag der Deutschen Einheit in Berlin aus seinem Werk.

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Festrednerin war damals die damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld. Sie ist heute im rechtspopulistischen Milieu unterwegs und gehört zum Kreis derer, die sich für Bernig als Kulturamtsleiter von Radebeul einsetzten: Seine Positionen zur Einwanderungspolitik seien kritisch, aber von Gesetz und Meinungsfreiheit gedeckt, argumentierte sie gemeinsam unter anderem mit dem Schriftsteller Uwe Tellkamp.

Strategie der Neuen Rechten

Weiß beobachtet bei der um das IfS und dem Kreis um Kubitschek versammelten Neuen Rechten „eine Strategie der Durchdringung des kulturpolitischen Raumes, um eine weitreichende Tendenzwende im eigenen Sinn herbeizuführen“. Bernig als „Autor aus den eigenen Reihen in einer regionalen kulturpolitischen Schlüsselposition dürfte diesem Ansinnen zupasskommen“, schreibt der Historiker.

Unter Hinweis auf Äußerungen Kubitscheks schreibt Weiß, in dessen Milieu würden „nicht nur geschichtsrevisionistische Thesen vertreten, sondern auch antisemitische Stereotype reproduziert und Holocaustleugner verteidigt“. Der Historiker warnt: Angesichts der Rolle, die der Erinnerungskultur in der bundesdeutschen Kultur zukommt, käme mit Bernig ein Autor aus Kreisen ins Amt, die in dieser Aufarbeitung lediglich einen „Schuldkult“ sehen könnten.

Testballon für Kooperation von AfD und CDU?

Die Vorgänge in Radebeul hatten auch deshalb Aufsehen erregt, weil sie als Testballon für eine Kooperation von CDU und AfD interpretiert wurden. Aus der AfD hieß es über Bernig: ein „exzellenter Mann“ und ein „kritischer Geist“. Auch CDU-Stadträte verteidigten öffentlich den Kandidaten für das Amt des Kulturamtschefs, während ihn der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz, Ost-Beauftragter der Bundesregierung, als „nicht wählbar als Leiter kommunales Kulturamt“ bezeichnete.

Sachsens CDU-Generalsekretär Alexander Dierks sollte als Krisenmanager in Radebeul vermitteln. Der CDU-Landesvorsitzende, Ministerpräsident Michael Kretschmer, traf vergangene Woche Bernig und den Jazz-Schlagzeuger Günter „Baby“ Sommer, Wortführer der Bernig-Kritiker, zum gemeinsamen Gespräch. Anschließend sagte er der „Freien Presse“, es müsse einen „fairen und respektvollen Umgang miteinander“ geben und Maß und Mitte gehalten werden.

Oberbürgermeister: Weltanschauliche Verortung darf keine Rolle spielen

Noch am Mittwoch hatte Oberbürgermeister Wendsche auf Tagesspiegel-Anfrage erklärt, die Auseinandersetzung um Bernig werde mit Argumenten aufgeladen, die bei der Auswahlentscheidung keine Rolle spielen dürften, etwa zur „weltanschaulichen Verortung“ des Kandidaten. Diese dürfe ebenso wenig Auswahlkriterium sein wie die sexuelle Orientierung von Bewerbern. Es handele sich bei der Kulturamtsleitung um eine „reine Verwaltungsstelle“, nicht um ein politisches Amt.

Zur Kooperation von CDU und AfD im Radebeuler Stadtrat sagte Wendsche, alle Stadträte hätten den Auftrag, zum Wohle der Stadt zusammenzuarbeiten. „Dieses Gebot sollte und wird auch weitgehend von allen eingehalten. Eine darüber hinausgehende vertiefte oder gar privilegierte Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD kann ich nicht erkennen.“

Grünen-Stadtrat Martin Oehmichen zeigte sich nach dem Rückzieher Bernigs erleichtert. „Es ist gut für Radebeul, dass der neurechte Bernig, der sich jetzt als Opfer stilisiert, nicht erneut antritt und Radebeul damit nicht weiter gespalten wird“, sagte Oehmichen dem Tagesspiegel. Es gelte, dem „breiten zivilgesellschaftlichen Engagement“ zu danken, welches sich für eine offene moderne Kultur eingesetzt habe: „Radebeul braucht jetzt einen konstruktiven wirklichen Neuanfang in der Kulturpolitik.“

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Ähnlich sieht das der frühere DDR-Bürgerrechtler Frank Richter, Mitglied der SPD-Landtagsfraktion. Er sagt: „Jörg Bernig hat dem politischen Klima in Radebeul und in Sachsen sowie der Kulturlandschaft durch den Rückzug von seiner Kandidatur einen Dienst erwiesen.“

Nach eigenen Worten entsetzt ist Richter über Bernigs Begründung. „Bernig insinuiert, wir würden in totalitären Verhältnissen leben. Er zündelt gemeinsam mit denen, die unsere freiheitliche demokratische Ordnung schlecht reden und destabilisieren wollen.“ Dass Oberbürgermeister Wendsche sein Veto eingelegt habe, sei sein gutes Recht.

Richter sagte weiter: „Und dass Bürgerinnen und Bürger öffentlich gegen eine politische Entscheidung protestiert haben, wie es die sächsischen Kulturschaffenden getan haben, war ebenfalls ihr gutes Recht. Wer dies mit totalitären Systemen vergleicht, muss sich fragen lassen, wessen politisches Geschäft er betreibt.“

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