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Hauptsache, uns geht’s gut?

© IMAGO/Michael Gstettenbauer/IMAGO/Michael Gstettenbauer

Der „Boomer-Soli“ und die Privilegien: Warum sollten die Alten bei der Rente nicht untereinander solidarisch sein?

Die DIW-Idee für eine Rentenreform wurde schnell ausgebuht, ohne dass die Interessen der jüngeren Generationen groß vorkamen. Das ist so typisch wie falsch.

Ariane Bemmer
Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Stand:

Es war ein kurzer und wenig beklatschter Auftritt für den Neuling, der in der vergangenen Woche im Ewigkeitsdrama „Rente“ auf die Bühne geschoben wurde. Das ist schade – nicht nur für den Neuling, der ein bisschen Zeit mit dem Publikum verdient hätte. Auch für das Thema des Dramas.

„Boomer-Soli“ war der provokante Name, mit dem das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) seine Idee versehen hat. Der zufolge sollen die reichen Alten etwas abgeben, damit die armen Alten etwas dazubekommen können, um nicht allein die Jüngeren mit immer höheren Beiträgen zu belasten.

Die Besonderheit der Überlegung: Es würde nicht allein innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung umverteilt, sondern es sollen „sämtliche Alterseinkünfte“ mit in die Solidaritätspflicht genommen werden: „gesetzliche, betriebliche und private Renten, Pensionen, sonstige Versorgungsbezüge, optional auch Vermögenseinkommen“. So steht es in der Rollenbeschreibung. DIW-Doktorand Maximilian Blesch macht es plastischer und nennt explizit und auch ein bisschen neid-provozierend die „Versorgungswerke für Ärzt*innen oder Anwält*innen“.

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Bis zu elf Prozent könnten die einkommensschwachen Rentnerhaushalte laut dem DIW mit einem „Boomer-Soli“ zusätzlich bekommen, und ihren einkommensstarken Counterparts würden nur drei bis vier Prozent abgeknöpft.

Soweit die Zahlenkunst. Viele Kritiker reagierten ablehnend, manche hämisch. Sie sahen eine Sommerloch-Idee, ein Ablenkungsmanöver, eine Luftnummer oder diagnostizierten dem DIW einen Robin-Hood-Anfall.

Bemängelt wurde – wie immer, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht –, dass nicht klar sei, welche Rolle private Vermögen (Miet- oder Pachteinnahmen, Unternehmensgewinne und Zinsen) bei der Bemessung des Rentenreichtums spielen. Andere beklagten, dass so eine abrupte Abgabepflicht auch auf privat angesparte Altersvorsorge das Vertrauen ins System weiter beschädige.

Was auch immer geäußert wurde: Es betraf gesamt-ökonomische Zusammenhänge oder die Interessen der heute Alten. Was kaum vorkam, war der Blick derjenigen, die mit ihrer Erwerbsarbeit aktuell und in Zukunft in ein Rentensystem einzahlen, das heute viel kostet, ohne für morgen ein Auskommen versprechen zu können. Das ist die ewige Schieflage in den Debatten um die Rente.

Das Solidarprinzip der Rente kann aber nicht heißen: Die Jungen zahlen perspektivisch immer mehr für die Alten, die es sich möglichst gut gehen lassen. Schon gar nicht, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass es nicht die Jungen sind, die ihre zahlenmäßige Dürftigkeit verantworten, sondern mutmaßlich die Boomer, die nicht mehr so viele Kinder bekommen haben.

Und noch mehr nicht, wenn man sich die Abwärtsspirale anschaut, die das nach sich zieht: Gerade hat das Statistische Bundesamt über einen neuerlichen Geburtenrückgang um zwei Prozent zwischen 2023 und 2024 informiert.

Dass das umlagefinanzierte System bei immer mehr Alten, die auch noch immer länger leben, und immer weniger jungen Beitragszahlenden nicht zukunftstauglich ist, war absehbar, seit der Pillenknick die Geburtenzahlen einbrechen ließ. Und es ist seit mehr als 20 Jahren regelmäßig auf der politischen Agenda, ohne dass sinnvoll gegengesteuert wurde. Im Gegenteil: Noch 2014 wurde mit der Rente mit 63 ein samtweiches Himmelbett aufgestellt, in das vor allem die ohnehin Bessergestellten gern hineinplumpsten.

Einerseits: Wer will es ihnen verdenken? Andererseits wird man unterstellen dürfen, dass sie alle wussten, wie es um das System im Ganzen bestellt ist, und sie haben sich trotzdem für ihre Privatinteressen und gegen die Solidarität mit den anderen entschieden.

Der Boomer-Soli ist ein Reformansatz für das fehlerhafte System, das die Gruppe derjenigen erweitert, die etwas abgeben sollen. Das ist für neu anvisierten Geber fraglos eine unangenehme Vorstellung. Doch auch die haben sie nicht exklusiv.

Dass Regeln und Gesetze geändert werden und eben noch sicher geglaubte Planungsgrundlagen nicht mehr gelten, erleben viele Menschen in diesem Land. Das Renteneintrittsalter wird angehoben, Steuerfreibeträge sinken, und dann ist da noch das Stichwort Wehrpflicht. Auch die würde Menschen – wieder den jungen übrigens – etwas wegnehmen, Zeit nämlich. Und die ist bekanntlich kostbarer als Geld.

Das System Rente braucht neue Ideen, der Boomer-Soli war mal eine. Ihr Schwachpunkt ist neben rechtlich-formalen Unklarheiten wohl am ehesten, dass sie wirkt wie ein weiteres Mittel zum akuten Löcherstopfen. Das reicht als Horizont nicht aus. Wie Menschen im Alter leben können und sollen, ist keine Frage von hier und jetzt.

Wenn man will, dass die Jungen für die Alten da sind, braucht es ein „All in“ in die Familienplanungen, dann muss Kinderkriegen gefördert und viel attraktiver werden. Aber selbst, wenn es dazu käme, würde es dauern, bis sich das auszahlt.

Bis dahin werden – wie sollte es sonst gehen? – die Rentenzuschüsse aus dem Haushalt steigen und steigen, das heißt: Alle zahlen. Auch die, die nicht von früher besseren Bedingungen profitieren konnten. Ob es dafür auf Dauer so viel lauteren Applaus gibt als für ein bisschen mehr Solidarität innerhalb einer Generation?

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