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Gedenken an die Terroropfer in der Wiener Innenstadt.

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Terroranschläge in Wien und Nizza: Der Club der versehrten Städte

Wien gilt als liberale Stadt und harmonischer "Melting Pot": Die Terroranschläge treffen die Stadt ins Mark. Eine Kolumne.

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Bloß nichts anfassen, hat die Polizei angeordnet. Auf den Tischen der Caféterrassen halbvolle Weingläser, eine kaum angerührte Suppe, Kippen in einem Aschenbecher, ein zurückgelassener Anorak auf einer Stuhllehne. An den Wänden und Fensterscheiben die Einschläge von Kugeln.

Die Gäste haben alles liegen und stehen lassen und sind in Panik geflohen. Seit Montagabend steht das Leben im „Bermudadreieck“ still, diesem Viertel voller Bars und Cafés, wo in Wien abends die jungen Leute ausgehen.

Es passiert immer anderswo. Das wollte man hier unbedingt glauben. Wien ist schließlich nicht Berlin, Brüssel oder Dresden und schon gar nicht Paris, Nizza oder Conflans-Sainte-Honorine.

Eine „Insel der Seligkeit“, die bis Montagabend überzeugt davon war, vor Terroranschlägen sicher zu sein. An diesem Abend wollten die Wiener die letzten Stunden Freiheit vor dem Beginn des Lockdowns um Mitternacht genießen. Als die ersten Schüsse fielen, dachten die meisten hier deshalb zunächst, es handelte sich um Böller.

Auch Wien wurde für seinen freizügigen Lebensstil bestraft

Wien – immer unter den ersten drei europäischen Städten, in denen es sich am besten leben lässt. Das bekannt dafür ist, dass man sich hier sicher fühlen kann. Wien – ziemlich harmonischer „Melting Pot“ und liberale Stadt, die auf keinen Fall mit Restösterreich und dessen Fremdenfeindlichkeit in einen Topf geworfen werden will.

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Hauptstadt eines kleinen, ruhigen und geopolitisch eher unbedeutenden Landes mit 8,8 Millionen Einwohnern. Sisi-Stadt und Stadt der Mozartkugeln und Kutschen. Dieses Wien wurde gerade mitten ins Herz getroffen. Willkommen im Club der versehrten Städte, die für ihren freizügigen Lebensstil bestraft wurden! Vom Bataclan zum Bermudadreieck – ein erschreckendes Déjà-vu.

Wie in Paris 2015 auch in Wien die gleichen bescheidenen Gesten, mit denen man versucht, dem Entsetzen zu begegnen. Wo die Polizei mit einem gelben Strich die Stellen markiert hat, an denen die Patronenhülsen lagen, legen die Wiener Blumen nieder und zünden Kerzen an. Sie halten schweigend inne und murmeln fassungslos immer die gleichen Worte. „Wir hätten uns nie vorstellen können, dass das bei uns passiert.“

Die letzten Attentate auf österreichischem Boden liegen lange zurück. Der Angriff palästinensischer Terroristen auf die Große Synagoge – gelegen in einer der Straßen, die diese Woche ins Visier genommen wurden, ein Zufall? – war 1981. Zwei Menschen wurden getötet. 1981? Noch lange vor dem Mauerfall. Eine Ewigkeit her.
Emmanuel Macron war Montagabend der Erste, der Sebastian Kurz seine Solidarität bekundet hat. „In Freude wie in Trauer werden wir vereint bleiben“, hat er auf Deutsch in das Kondolenzbuch der österreichischen Botschaft in Paris geschrieben. Und natürlich stellt sich die Frage: Haben die Anschläge in Paris (in der Nähe des Charlie-Hebdo-Gebäudes), Conflans-Sainte-Honorine und Nizza so kurz hintereinander und die neu entbrannte Diskussion über das Recht, Mohammed-Karikaturen zu veröffentlichen, den jungen österreichischen Attentäter beeinflusst, der ein den Sicherheitsbehörden wohlbekannter IS-Sympathisant war? Erklärt das, was in Frankreich geschehen ist zumindest teilweise, warum er dann in jener Nacht durchgedreht ist? Es brauchte nur einen Funken, um die Wut zu entflammen, die dieser junge Mann schon lange in sich trug? Aus dem Französischen übersetzt von Odile Kennel.

Pascales Hugues

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