zum Hauptinhalt
Ehefrau Marina Litvinenko und Sohn Anatoly hoffen, dass der Fall des ermordeten Alexander aufgeklärt wird.

© dpa

Agentenmord: Der sonderbare Mord an Litvinenko

In London wird der Tod des Doppelagenten Litvinenko untersucht. Abwesend, aber auf der Anklagebank: Wladimir Putin.

Unter den Beweisstücken im Saal 73 in den Royal Courts of Justice: das Foto, auf dem der russische Präsident Wladimir Putin vor einem Jungen in die Knie geht, dessen Sporthemd hochschiebt und ihn auf den Bauch küsst. Für den einstigen russischen KGB-Spion Alexander Litvinenko war die Szene der Anlass, einen Artikel mit der Überschrift „Der Kreml-Pädophile“ zu schreiben. „Die Weltöffentlichkeit ist schockiert. Niemand kann verstehen, warum der russische Präsident etwas so Seltsames tat.“ Vier Monate nach diesen so unbewiesenen wie hanebüchenen Vorwürfen gegen Putin war Litvinenko tot. Vergiftet mit Polonium 210, das ihm im Tee in einem Londoner Hotel verabreicht wurde. Drei Wochen dauerte es, bis der Russe mit dem britischen Pass den Strahlentod starb. Genug Zeit, den Finger auf die seiner Meinung nach Schuldigen zu zeigen: russische Geheimdienste und Mafiosi unter dem Kommando von Wladimir Putin.
In dem Londoner Gerichtssaal findet in diesen Wochen kein Prozess, nur eine richterliche Untersuchung statt. Aber kein Zweifel, wer symbolisch auf der Anklagebank sitzt. Putin war nach Ansicht Litvinenkos, seiner Witwe und ihrer Rechtsanwälte schon als Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes und Bürgermeister von St. Petersburg nichts anderes als ein „gemeiner Krimineller“. Litvinenko wollte er aus dem Weg räumen, weil er vom internen Kritiker zum Überläufer und aktiven Gegenspieler wurde.

Einer der möglichen Täter ist mittlerweile Abgeordneter

Jahrelang kämpfte Litvinenkos Witwe Marina für die öffentliche Aufklärung eines der bizarrsten Fälle der Kriminalgeschichte. Ein paar Monate nach dem Mord hatte Scotland Yard in minutiöser Arbeit zwei Russen als Täter identifiziert – Dimitri Kovtun und Andrei Lugovoi, zwei Vertraute Putins. Lugovoi ist inzwischen russischer Parlamentsabgeordneter. Ein Auslieferungsgesuch Großbritanniens wurde schon 2007 abgelehnt. Kovtun soll mit dem Polonium 210 über Hamburg nach London geflogen sein. Die beiden Männer hinterließen eine Strahlenspur, die durch halb Europa und dann durch London führte „wie die Brosamen bei Hänsel und Gretel“, so ein Experte vor der Untersuchung. „Tausende, Briten und Besucher aus dem Ausland, waren möglicherweise dem Risiko von Radioaktivität ausgesetzt.“ Die Obduktion war „eine der gefährlichsten in der westlichen Welt“, berichtet der Gerichtsmediziner Nathaniel Caty. Er und seine Mitarbeiter trugen doppelte Strahlenanzüge und wurden von Strahlungsexperten gesondert überwacht.

Alexander Litvinenko.
Alexander Litvinenko.

© dpa

Die Untersuchung findet teilweise hinter verschlossenen Türen statt. Die Öffentlichkeit soll nicht dabei sein, wenn Geheimagenten aus dem Nähkästchen plaudern. Sir Robert Owen, Vorsitzender der Untersuchung , bedauert nicht nur, dass es keine Angeklagten für ein richtiges Gerichtsverfahren gibt. Auch die Weigerung der britischen Regierung, bestimmte Informationen preiszugeben, behinderten eine „faire und furchtlose“ Aufklärung. Dazu gehören Zeitungsberichten zufolge auch Informationen der NSA, die in „elektronische Kommunikationen“ zwischen Personen in London und Moskau Beweise für die Beteiligung staatlicher Organe gefunden habe. Die einzige Einrichtung in Russland, die Polonium 210 produziert ist, laut Ben Emmerson, Rechtsvertreter Marina Litvinenkos, die staatliche Atomagentur Rosatom. Emmerson warf Putin in seinem Eröffnungsplädoyer vor, in „intimer Beziehung“ mit organisierten Verbrechersyndikaten an der Spitze eines „Mafiastaats“ zu stehen.

Diese Woche erfuhren die Briten aber auch, dass Litvinenko im Dienste des britischen Geheimdienstes MI6 stand. Ein Grundgehalt von 2000 Pfund wurde ihm monatlich aufs Konto überwiesen, wofür er russische Agenten in Großbritannien enttarnte. Als man Litvinenko beauftragen wollte, den ins britische Asyl geflüchteten, berüchtigten Oligarchen Boris Berezovsky umzubringen, setzte er sich ab. „Ich bin ein KGB-Offizier und bitte um politisches Asyl“, sagte Litvinenko nach der Landung in Heathrow der Polizei. Litvinenko und seine Familie erhielten britische Pässe. „Er war stolz, für unseren Sohn Anatoly eine Zukunft in England zu haben“, sagte Marina Litvinenko vor Gericht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false