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Widerstand gegen die Verschärfung des Waffenrechts kommt von den Sportschützen.

© imago stock&people

Lobbyismus in der Europäische Union: Der Streit um schärfere Waffengesetze

Die EU will die Richtlinie für Handfeuerwaffen verschärfen. Die Lobby der Hersteller hat nichts dagegen. Nur Jäger und Sportschützen sind wütend – und machen jetzt Druck bei den Parlamentariern.

Wenn es um Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene geht, hat Brüssel schon heftige Lobbyschlachten erlebt. Ob bei Schockfotos auf Zigarettenschachteln oder der Datenschutzgrundverordnung – es läuft meist nach dem gleichen Muster: Mächtige und professionell arbeitende (Industrie-)Verbände werfen ihre Maschinerie zur Bearbeitung der Öffentlichkeit an und versuchen, die Gesetzespassagen zu ihren Gunsten zu verändern. Langer Atem und viel Expertenwissen gehören dazu. Selten erleben Europaabgeordnete hingegen, dass die Bürger Druck machen, während die etablierten Interessenvertreter schweigen. Genau das aber ist der Fall, wenn es um den Plan der EU-Kommission geht, die aus dem Jahr 1993 stammende Faustfeuerwaffenrichtlinie zu überarbeiten.

Die Vorlage der Kommission entfacht ungeahnten Widerstand bei einer Bevölkerungsgruppe, die sich sonst eher in der Deckung hält: die Waffenbesitzer. Ihre Protestmails landen zu Hunderten in den Postfächern jener Abgeordneten, die beim Gesetzgebungsverfahren mitwirken. Karl-Heinz Florenz (CDU), Landwirt, passionierter Jäger und Europaabgeordneter vom Niederrhein, berichtet von "richtig bösen Briefen", die seit Monaten zuhauf bei ihm eingehen. "Millionen von Waffenbesitzern", schreibt da etwa ein Mann aus Essen, "beobachten Ihre Arbeit ganz genau." Wie ein roter Faden ziehen sich Drohungen durch die Schreiben. Was passiert, "wenn man das Wohl und den Willen" der Wähler missachte, heißt es weiter, hätten doch die letzten Wahlen gezeigt: "Und die nächsten Wahlen und Erdbeben stehen schon vor der Tür." Ein weiterer schreibt: "Bald haben wir mehr Verbote als der islamische Staat." Ein dritter bemerkt: Der Gesetzesplan sei nicht nur "populistisch, sondern ist auch eine Beleidigung unserer Freiheitsrechte und der Intelligenz der Bürger". Alle Schreiben sind übrigens korrekt mit Name und Absender versehen.

Versammlungen werden gestört

Die SPD-Abgeordnete Evelyne Gebhardt aus Baden-Württemberg berichtet, dass regelmäßig ihre politischen Versammlungen gestört werden: "Immer wieder sind Männer aufgetaucht und haben mich beschimpft." Sie erlebe seit Monaten einen Shitstorm. "Mir wird vorgeworfen, ich wolle den Menschen ihre Grundfreiheiten rauben und dafür sorgen, dass ehrenwerte Jäger nicht mehr ihrem Hobby nachgehen könnten." Die Europaabgeordneten sind hingegen überrascht, dass sich all die Monate über kein einziger Waffenhersteller bei ihnen zu Wort gemeldet habe. Die Rüstungsfirma "Heckler und Koch" etwa sitzt im baden-württembergischen Oberndorf. Gebhardt sagt, sie habe in der Sache noch nie mit dem Unternehmen in ihrem Wahlkreis Kontakt gehabt. Der Waffenhersteller "SIG Sauer" hat seinen Hauptsitz im norddeutschen Eckernförde. Die Europaabgeordnete Ulrike Rodust (SPD) aus Eckernförde berichtet: "Ich bekomme Mails mit sehr aggressivem Inhalt aus ganz Europa. Von dem Unternehmen in meinem Wahlkreis habe ich aber noch gar nichts gehört."

Rund 5,5 Millionen Waffen befinden sich bundesweit legal im Besitz von Privatleuten. Offensichtlich empfinden viele von ihnen die Brüsseler Pläne als massive Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit. Warum? Das ist ein Rätsel. Noch ist zwar nichts beschlossen, die Richtlinie befindet sich in der Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten und dem Europaparlament. Doch klar ist: Für die allermeisten deutschen Waffenbesitzer würde sich kaum etwas ändern. Die deutschen Vorschriften sind schon heute streng. Es ist weder geplant, dass Sportschützen künftig ihre Waffen nicht mehr zu Hause aufbewahren dürfen, wie nach dem Amoklauf von Winnenden mit 16 Todesopfern im März 2009 diskutiert wurde. Auch die "Reichsbürger", von denen es allein in Bayern nach jüngsten Schätzungen 1700 gibt (davon 500 im Besitz legaler Schusswaffen), sind nicht im Visier, wie Florenz erklärt: "Das sind Leute von gestern, die wir durch politische Aktivitäten zurück auf den Weg bringen müssen, da helfen neue Gesetze nichts." Schon gar nicht haben die Jäger etwas zu befürchten. Florenz sagt: "Die Jagd in Deutschland ist nicht betroffen."

Es geht um Waffen, die kurz hintereinander 20 Schüsse und mehr abgeben können

Und dennoch hat Gebhardt die Erfahrung gemacht: "Viele Gegner einer Verschärfung der Handfeuerwaffenrichtlinie geben sich als passionierte Waidmänner aus." Ihr seien Vorhaltungen gemacht worden, weil sie und die Kommission sich für ein Verbot halbautomatischer Waffen starkmachten. Gebhardt: "Es geht hier um Waffen, die 20 Schüsse und mehr in kurzem Zeitabstand abgeben können." Diese Waffen hätten aber auf der Jagd nichts zu suchen. Florenz, der im Europaparlament die Interessengruppe Jagd leitet, der 110 von 751 Abgeordnete angehören, pflichtet bei: "In 40 Jahren habe ich auf der Jagd noch nie eine Kalaschnikow gesehen." Jäger bräuchten keine Automatikwaffen. Spätestens mit seinem zweiten Schuss müsse ein Waidmann treffen. Das sei eine Sache der Ehre. "Bei uns soll das Wild eine Chance haben."

Brüssel will durchsetzen, dass künftig Privatleute keine halbautomatischen Waffen mehr mit mehr als zehn oder elf Schuss haben dürfen. Darunter fallen dann Waffen, die derzeit erlaubt sind wie etwa MG-Sturmgewehre, Pumpguns und Kalaschnikows mit bis zu 24 Schuss. Selbst Laien ahnen: Das sind martialische Waffen, mit denen innerhalb kürzester Zeit Massenmorde angerichtet werden können. Man fragt sich: Wer kann etwas dagegen haben, diese Kriegsgeräte in Privathand komplett zu verbieten? Widerstand gegen die Verschärfung des Waffenrechts kommt zum Beispiel von den Sportschützen. In ihrer Disziplin der "Dynamic Shooters" werden diese halbautomatischen Waffen tatsächlich benutzt. Die Sportart ist in einigen europäischen Nachbarländern wie Italien, England, Norwegen und Rumänien populär. Auch in Deutschland soll es Sportschützen geben, die diese Disziplin praktizieren. Sie wären so ziemlich die Einzigen in Deutschland, die durch die gesetzliche Änderung betroffen wären. Und abrüsten müssten, ein wenig zumindest.

Ein Geschäft für Kriminelle: Deaktivierte Waffen wieder scharf machen

Vor allem zielt die EU mit ihrer Reform der Handfeuerwaffenrichtlinie aus dem Jahr 1993 auf einen Missstand mit halbautomatischen Waffen, die eigentlich aus dem Verkehr gezogen wurden. In osteuropäischen Mitgliedstaaten findet ein blühender Handel mit "unschussfähigen Waffen" statt. Es handelt sich um ehemals scharfe Waffen aus Bürgerkriegszeiten, die durch einen Umbau deaktiviert wurden. Meist wird lediglich der Lauf mit einem Metallstift blockiert. Sie gelten in vielen Ländern dann rechtlich nur noch als Metallstücke und können ohne staatliche Kontrolle gehandelt werden. Kriminelle haben sich darauf spezialisiert, diese Waffen zurückzubauen, sie also wieder scharf zu machen. Diese Waffen werden auf dem Schwarzmarkt für 200 Euro gehandelt. Der islamistische Terrorist, der am 9. Januar 2015 den jüdischen Supermarkt in Paris überfiel und vier Menschen ermordet hat, hatte eine derartige Waffe für seine Wahnsinnstat benutzt. Kommission, Parlament und die meisten Mitgliedstaaten wollen, dass die deaktivierten Waffen strenger kontrolliert werden. Florenz: "Die Gesetze in Deutschland machen es so gut wie unmöglich, dass deaktivierte Waffen wieder scharf gemacht werden. Dieses strenge Schutzniveau müssen wir in der ganzen EU bekommen." Hier zeichne sich im Rat, dem Gremium der Mitgliedsländer, aber auch in einigen Hauptstädten Osteuropas Widerstand ab.

Dann gibt es doch noch eine Gruppe, die betroffen ist. Was Menschen ästhetisch finden, mit welchen Gegenständen sie sich in ihrem privaten Bereich gern umgeben, da sind die Vorlieben unterschiedlich. Durchaus kein Einzelfall soll etwa sein, dass sich Sammler zu Dekorationszwecken eine unbrauchbar gemachte Kalaschnikow an den Kamin hängen. Auch in Deutschland soll es so etwas geben. Es zeichnet sich ab: Diese Form der Zierde wird künftig verboten sein.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 29. November 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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