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Ukraine-Konflikt: Der Wahlkampf verdrängt die Aufregung über Streubomben
Die Ukraine soll die international geächteten Waffen gegen Separatisten eingesetzt haben, doch kurz vor dem Urnengang am Sonntag gibt es im Land wenig Willen zur Aufklärung.
Die Berichte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), wonach die ukrainischen Streitkräfte Streubomben im Donbass eingesetzt haben, sorgen weltweit für Entsetzen – in den ukrainischen Medien sind sie hingegen nur ein Randthema. Am Sonntag wird ein neues Parlament gewählt. Es scheint, als wolle keine der Parteien dieses schwierige Thema aufgreifen. Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk wurde während eines Wahlkampfauftritts gefragt, ob die Armee der Ukraine die international geächteten Waffen einsetze. „Dazu hat der Sprecher der Streitkräfte alles gesagt“, lautete die Antwort des Regierungschefs. Dieser Sprecher hatte zuvor jeglichen Gebrauch von Streubomben seitens der ukrainischen Armee weit von sich gewiesen.
Heute meldete sich die OSZE zu Wort und gab an, sie hätte keine Beweise für den Gebrauch von Streubomben durch die Streitkräfte der Ukraine. Bereits im Sommer hatten ukrainische Medien Bilder veröffentlicht, die Aufnahmen zeigen, auf denen für Streubomben typische Beschädigungen sichtbar sind. Von wem die Waffen abgefeuert worden sein könnten, blieb jedoch unklar.
Freiwilligenbataillone beschuldigt
Der Radiosender Era bewertet die Anschuldigungen von HRW als einseitig. Der Sender stellte klar, dass auf Seiten der Streitkräfte, der Freiwilligenbataillone und der Separatisten zumeist die gleichen Waffen zum Einsatz kommen. Außerdem seien nach der Annexion der Krim Kasernen von russischer Seite besetzt worden. Deren Kriegsmaterial werde nun von den Separatisten verwendet.
Ein Vertreter der Vaterlandspartei der früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, die neben einem EU- auch einen Nato-Beitritt der Ukraine fordert, gibt zu Bedenken, dass nicht ausgeschlossen sei, dass Freiwilligenbataillone für die Streubomben-Angriffe verantwortlich sind. „Nicht alle Bataillone kämpfen zusammen mit den regulären Truppen“, sagt der erfahrene Politiker, der seinen Namen im Zusammenhang mit diesem Thema nicht in der Zeitung lesen will.
Pfeilartige Projektile gefunden
Während also die Regierung abwiegelt und die OSZE keine Bestätigung für die Anschuldigungen liefert, werden die Vorwürfe gegen die Ukraine von anderer Seite konkreter. Der Chirurg Alexander Kusnezow zeigte Bilder von einer Operation in der Ostukraine, bei der dem Patienten ein Projektil aus einer Streubombe entfernt worden war. Nach seinen Angaben handelte es sich um einen prorussischen Kämpfer aus Slawjansk. Das Projektil aus einer der international geächteten Streubomben sei in seine Lunge eingedrungen, er habe aber überlebt.
Auf einer der OP-Aufnahmen ist auf einer Mullbinde ein rund vier Zentimeter langes Projektil zu sehen. Am Vorabend hatte bereits ein anderer Arzt aus dem gleichen Krankenhaus berichtet, zu Beginn der Kämpfe der prorussischen Rebellen mit ukrainischen Soldaten bei zahlreichen Eingriffen derartige Projektile entfernt zu haben. Im Körper eines Verletzten hätten sie „20 oder 30“ dieser pfeilartigen Projektile entdeckt, sagte der Mann, der nicht genannt werden wollte.
Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, sprach von schwerwiegenden Vorwürfen. Die Bundesregierung könne zum „Wahrheitsgehalt derzeit kein Urteil abgeben“, habe aber Interesse an einer Aufklärung. Der Einsatz von Streubomben sei menschenverachtend, erklärte Seibert weiter. Sollten sie tatsächlich eingesetzt worden sein, würde Berlin dies „scharf verurteilen“. mit dpa