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"Religionen sind einig gegen den Hass" - Demonstranten in Paris am Sonntag

© Charles Platiau/rtr

Nach den Attentaten von Paris: Deutsche Muslime suchen Bündnispartner

"Pegida" und die Morde von Paris - Deutschlands Muslime sehen sich von zwei Seiten durch Extremisten unter Druck. Und wollen eine neue Debatte in Gang bringen.

Unter muslimischen Verbandsvertretern kursiert schon lange ein bitterer Witz: „Hast du dich heute schon distanziert?“ Er spiegelt das seit Jahren eingeschliffene öffentliche Sprechen über den Islam in Deutschland: Die Vertreter der Religionsverbände werden zu meist negativen Nachrichten – Zwangsehen, Selbstmordanschläge oder Attentate wie die in Paris - befragt und betonen dann nicht nur ihren Abscheu vor den Taten, sondern auch, dass die mit Religion nicht zu begründen seien. Nur um sehr bald wieder dieselben Fragen nach dem Verhältnis von Gewalt und Islam beantworten zu müssen.
Die Frustration über die Vergeblichkeit dieses Debattenmodells eint Migrantenorganisationen, muslimische Verbände und Forscherinnen und Forscher, die sich mit Islam und gesellschaftlicher Vielfalt beschäftigen. Sie trafen sich deshalb vor Wochen – die „Pegida“-Demonstrationen hatten gerade begonnen – um über Auswege zu beraten. Ein Entwurf dazu liegt, nach einigen Folgetreffen, nach Tagesspiegel-Informationen inzwischen dem Familienministerium vor. Dieses will in den nächsten Wochen über eine Förderung entscheiden – und hatte sich schon im Vorfeld interessiert gezeigt. Geplant ist, das Land mit einer Kampagne ins Gespräch über sich selbst, über das aktuelle und künftige Bild Deutschlands zu bringen, weg nur vom Reden über Muslime.

Das Problem mit der Vielfalt

Kommuniziert werden müsse vielmehr Vielfalt, sagt Riem Spielhaus, Islamwissenschaftlerin an der Universität Erlangen-Nürnberg, wie dies in Einwanderungsländern wie Kanada längst geschehen ist. Es brauche eine Auseinandersetzung mit dem Leitbild, was und wer deutsch sei. Spielhaus verweist auf mehrere Studien über die Einstellungen der Deutschen, die schon deutlich vor „Pegida“ gezeigt hätten, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung mit dieser wachsenden gesellschaftlichen Vielfalt ein Problem hätten - und das längst nicht nur in Sachsen. "Es ist anzunehmen, dass noch so erfolgreiche Demonstrationen gegen 'Pegida' und sichtbare Akte muslimischer Solidarisierung mit den Opfern von Paris die Skepsis gegen eine veränderte Gesellschaft nicht einfach aufheben werden", sagt Spielhaus. Die Trennlinie liege sowieso nicht zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, man müsse sich gemeinschaftlich gegen Extremisten auf beiden Seiten stellen. "Wir haben offenbar einen großen Diskussionsbedarf. Dazu brauchen wir ein breites Bündnis aller gesellschaftlichen Kräfte. Ich hoffe, dass es bald auf die Beine kommt und langfristig wirkt.“

Auf dem Weg zur islamischen Caritas

Dass die Bilder deutscher Wirklichkeit oft hinter dieser Wirklichkeit zurückbleiben, wird sich auch an diesem Dienstag zeigen. Die Deutsche Islam-Konferenz präsentiert dann erste Ergebnisse ihrer Arbeit zur Einbindung muslimischer Akteure in die deutsche Wohlfahrtspflege. Im vergangenen Frühjahr hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) den Neustart der Deutschen Islamkonferenz mit neuen Inhalten verknüpft: Er schlug eine eigene Seelsorge für muslimische Bundeswehrsoldaten vor und stellte den Aufbau muslimischer Wohlfahrtsstrukturen in Aussicht. Er könne sich vorstellen, dass es in zehn bis fünfzehn Jahren einen islamisch geprägten Verband vergleichbar der Caritas und Diakonie gebe, sagte de Maizière im März. Eine eigene Rolle im Sozialsystem wäre nach dem Aufbau islamischer Theologie an den Universitäten und islamischem Religionsunterricht, der in vielen Bundesländern inzwischen anläuft, ein womöglich noch größerer Schritt der gesellschaftlich-staatlichen Anerkennung des Islams. Die beiden großen kirchlichen Verbände gehören zu den größten deutschen Arbeitgebern.

Spitzen der Politik folgen Aufruf der Muslime

Zur Mahnwache am Brandenburger Tor, die die muslimischen Verbände nach dem Terrorangriff auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ organisiert haben, erhalten sie am Dienstag bereits die Unterstützung der hohen Politik. Bundespräsident Joachim Gauck wird eine Rede halten. Die Kanzlerin hat ihre Teilnahme ebenso zugesagt wie Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD), die Bundesminister de Maizière und Heiko Maas (Justiz, SPD) und Vertreter der Opposition wie unter anderem Linksfraktionschef Gregor Gysi.

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