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Die Neuverschuldung soll wieder streng reglementiert werden. Falsch, findet unser Gastautor.

© imago images/Steinach

Deutschlands Zukunftsfähigkeit ist in Gefahr: Die Schuldenbremse wird zum Sicherheitsrisiko

Die Union hat die schwarze Null zum Fetisch erklärt, heute könnte die Ampelregierung an der Schuldenbremse scheitern. Vernünftig ist das nicht. Ein Gastbeitrag.

Thorsten Benner ist Direktor des Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin, einer unabhängigen Denkfabrik.

Neue Zeiten fordern neues Denken. SPD und Grüne haben bei Waffenlieferungen und Ausgaben für die Bundeswehr überkommene Dogmen über Bord geworfen. Aber damit allein sind wir für die notwendige radikale Transformation des deutschen Wirtschaftsmodells zur Erhaltung unseres Wohlstands noch nicht gewappnet. Dafür müssen CDU und CSU ihre eigene Zeitenwende vollziehen. Friedrich Merz sollte gemeinsam mit Markus Söder auf die Regierung zugehen und sagen: „Wir sind bereit, die Schuldenbremse grundlegend zu überdenken.“

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Die im Grundgesetz verankerte Schuldenregel, welche Neuverschuldung auf 0,35 Prozent des BIP begrenzt, ist nicht nur eine Bremse für dringende Investitionen in Klimaneutralität und Digitalisierung, sondern auch ein zunehmendes Sicherheitsrisiko.

Bundesfinanzminister Christian Lindner.
Bundesfinanzminister Christian Lindner.

© IMAGO/Political-Moments

In der Ampelkoalition kämpft FDP-Finanzminister Christian Lindner, getrieben von schlechten Umfragewerte und der Angst, mehr seiner Wähler könnten zur CDU wechseln, zunehmend verbissen für die Einhaltung der Schuldenregel. Die Schuldenbremse wirkt wie eine Handgranate, die die Koalition im nächsten Jahr sprengen kann. Und es gibt wenige alternativ mögliche Koalitionen, in denen das nicht der Fall wäre.

Dramatische Folgen auch für den Rest Europas

Durch die Schuldenbremse droht Deutschland indes, seine wirtschaftliche Zukunft und politische Stabilität zu verspielen – und damit auch die Grundlagen außenpolitischer Stärke und militärischer Handlungsfähigkeit, mit dramatischen Folgen auch für den Rest Europas. Diese Erkenntnis ist allerdings auch unter sicherheitspolitischen Eliten bislang kaum verbreitet. Wolfgang Ischinger, Präsident des Stiftungsrats der Münchner Sicherheitskonferenz, etwa wies Forderungen nach einer Aussetzung der Schuldenbremse zurück. Die Koalition, so Ischinger, müsse einfach erklären, dass es einen Krieg in Europa gebe und dass soziale Wohltaten („social welfare goodies“) nicht mehr oben auf der Tagesordnung stehen könnten.

Wolfgang Ischinger.
Wolfgang Ischinger.

© imago images/Metodi Popow

Ischinger geht von der irrigen Annahme aus, dass sich Mehrausgaben für das Militär auf Kosten von Kürzungen im sozialen Bereich so einfach durchsetzen lassen. Doch die Mehrheit der Bürger wird sich, vor die Wahl gestellt, für die „goodies“ von Sozialleistungen bis Renten entscheiden, nicht Militärausgaben. Genau deshalb hat die Regierung die 100 Milliarden Euro Mehrausgaben für die Bundeswehr auch vorbei an der Schuldenbremse in ein Sondervermögen gepackt. Nicht nur bei SPD und Grünen, sondern auch innerhalb der CDU gibt es wenig Appetit auf bei Wählern unbeliebte Sozialstaatskürzungen.

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Jüngst kritisierte etwa der CDU- Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker den „Sozialkahlschlag“ durch die „brutalen“ Kürzungen, die FDP-Finanzminister Lindner beim sozialen Arbeitsmarkt vorhabe. Dass CDU und CSU Sozial- gegenüber Militärausgaben priorisieren hat maßgeblich zur Unterausstattung der Bundeswehr beigetragen.

Unter den Bedingungen der Schuldenbremse werden deshalb die erforderlichen Ausgaben für Militär, Diplomatie und internationales Engagement weit hinter dem Notwendigen zurückbleiben. Schlimmer noch: Notwendige Zukunftsinvestitionen werden durch die Schuldenbremse systematisch verhindert. Eigentlich sollte die Schuldenregel, so das Versprechen der Befürworter, zukünftige Generationen schützen. In der Realität nimmt sie ihnen Zukunftsfähigkeit.

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Verpasste Investitionen sind eine größere Sünde an zukünftigen Generationen als Schulden. Öffentliche Investitionen garantieren zukünftiges Wachstum, Sicherheit und Lebensqualität. Die junge Generation hat dies auch verstanden und unterstützt „Fridays for Future“ und nicht etwa „Fridays for Schuldenbremse“.

Historiker werden eines Tages mit staunendem Schaudern die Geisteshaltung der Angela-Merkel-Jahre sezieren. Nicht nur hat Deutschland in der Zeit die gefährlichen Abhängigkeit von den autoritären Großmächten Russland und China verstärkt. Es hat infolge einer fatalen wirtschafts- und finanzpolitischen Orthodoxie auch die Gelegenheit verpasst, dringend notwendige Investitionen in einer Zeit wirtschaftlicher Stärke und Negativzinsen vorzunehmen. Als der Bund mit Schulden Geld machen konnte, verkündete die CDU stolz, dass sie zu ihrem Fetisch der schwarzen Null stehe. Ergebnis der Merkel-Jahre ist ein massiver Verlust an Substanz und Zukunftsfähigkeit, der jetzt immer deutlicher zu Tage tritt.

Massive und überfällige Investitionen sind vonnöten

Die Uhr tickt jetzt für eine radikale Generalsanierung des Modells Deutschland im globalen Systemwettbewerb: klimaneutral, technologieaffin, digitalisiert und angepasst an eine von Großmachtkonflikten geprägte, sich deglobalisierende Welt. Dafür (und für die Instandsetzung der vernachlässigten öffentlichen Infrastruktur von Bahn bis Schule) sind massive und überfällige Investitionen vonnöten. Es ist klar, dass die Schuldenbremse diese Investitionen unmöglich macht.

Aus der Haushaltsplanung für die nächsten Jahre wird deutlich, dass noch nicht einmal genügend Fördermittel da sind, um auch nur annährend die im Bundesklimaschutzgesetz bis 2030 verbindlich definierten ambitionierten CO2-Einsparziele zu erreichen. Und das ist nur ein kleines Bespiel für die vielen verpassten Investitionen, ohne die die Basis unseres Wohlstands bedroht ist.

Der Streit zieht politische Instabilitäten nach sich - die niemand braucht

Zudem dürfte die Schuldenbremse als Streitthema zunehmend zu politischer Instabilität beitragen. Das schwächt auch außen- und sicherheitspolitische Gestaltungsmöglichkeiten stark , weil sie dadurch die beiden für Deutschland entscheidenden Fundamente außenpolitischer Kraft dramatisch aushöhlt: wirtschaftliche Stärke und politische Stabilität. Nicht nur, aber auch Außen- und Sicherheitspolitiker sollten deshalb erkennen: Die Schuldenbremse ist der Totengräber der Zukunftsfähigkeit Deutschlands im globalen Systemwettbewerb. Es ist Zeit für eine Beerdigung erster Klasse.

Ja, die Verabschiedung von diesem Dogma wäre ein schwerer Schritt, aber der einzig verantwortliche im Sinne des Landes. Auch ohne Schuldenbremse können Parteien für notwendige Einsparungen werben oder alternative Finanzquellen wie eine Vermögensteuer. Wenn SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zur für ihn schmerzlichen Einsicht kommen kann, dass Sicherheit in Europa nur gegen, nicht mit Russland möglich ist, dann ist zu hoffen, dass sich ein Friedrich Merz auch ein Deutschland ohne die Schuldenbremse vorstellen kann.

Wenn dieser Schritt zu sehr schmerzt, könnten die Unionsparteien eine Grundgesetzänderung anbieten, Investitionsausgaben komplett von der Schuldenbremse auszunehmen. Im Gegenzug sollte sie besondere Mitspracherechte bei der Strukturierung der Investitionsausgaben einfordern und ambitionierte Pläne für eine effektive Mittelverwendung vorlegen. Natürlich ist es verlockend für Merz, genüsslich abzuwarten, ob die Schuldenbremse die Ampel sprengt. Aber dafür ist die Lage des Landes ist zu ernst.

Thorsten Benner

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