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Protest in Berkeley, Kalifornien, gegen die Entscheidung der Grand Jury im Falle Erik Garner, der infolge von Polizeigewalt ums Leben gekommen war.

© AFP

Laienjustiz in den USA: Die Grand Jurys - so mächtig wie mysteriös

Sie sind ein Mysterium: mit Laien besetzt, geheim tagend und verschwiegen. Zuletzt hat eine Serie umstrittener Entscheidungen zu Polizeiübergriffen auf schwarze Bürger für Unverständnis und Proteste gesorgt. Wie mächtig sind die US-Grand-Jurys?

Nach einer Serie umstrittener US-Geschworenengerichts-Entscheidungen zu tödlichen Schüssen oder Tätlichkeiten weißer Polizisten gegen schwarze Opfer wird in den USA der Ruf nach einer Justiz- und Polizeireform lauter. In der Nacht zum Sonntag gingen landesweit erneut zahlreiche Menschen gegen Polizeigewalt und Rassismus auf die Straße. In Deutschland ist vielfach auf Unverständnis gestoßen, dass sich die Polizisten nicht vor Gericht verantworten müssen. Verantwortlich dafür war jeweils die Einschätzung einer Grand Jury.

Was ist eine Grand Jury?

Die Grand Jury ist eines der mächtigsten und zugleich mysteriösesten Organe im amerikanischen Justizwesen. Sie besteht aus bis zu 30 Laien, die im Losverfahren aus der Bevölkerung gewählt werden. Wer zum Dienst in einer Grand Jury vorgesehen ist, hat damit bis zu zwei Jahre lang mehrere Tage im Monat zu tun. Die Einzelheiten variieren in den einzelnen Bundesstaaten. Die USA sind das einzige Land im angloamerikanischen Rechtskreis, in dem eine Grand Jury bis heute zum Einsatz kommt.

Warum gibt es eine Grand Jury?

Die Grand Jury ist ein Puffer zwischen Regierung und Bevölkerung und soll freie Bürger vor dem willkürlichen Zugriff der Behörden schützen. So ist etwa in der amerikanischen Verfassung festgelegt, dass gegen keinen Bürger Anklage erhoben werden darf, wenn nicht „probable cause“ vorliegt, also ein Anfangsverdacht und eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass eine Straftat begangen worden ist. Das regelt der vierte Zusatzartikel der Verfassung, das sogenannte „Fourth Amendment“, das im September 1789 als Teil der „Bill of Rights“ entworfen und zwei Jahre später ratifiziert wurde. Der nächste Zusatzartikel, das „Fifth Amendment“, legt fest, dass es eine Grand Jury sei, die darüber urteilt und einer Anklage zustimmen muss. Anders gesagt: Erst wenn eine Gruppe von Mitbürgern nach Zeugenanhörungen und möglicherweise Einsicht in die Beweislage erkennt, dass wohl ein Verbrechen begangen wurde, kann die Justiz walten.

Wie viel Macht hat eine Grand Jury?

Die Grand Jury ist nicht nur mächtig, weil sie über die Zulassung einer Anklage entscheidet, sondern auch, weil sie geheim tagt – anders als ein Gericht. Weder Zuschauer noch Medien sind zugegen, wenn das Gremium zusammentritt, außerdem sind die einzelnen Juroren auf Verschwiegenheit eingeschworen, dürfen sich also nicht zu den beratenen Fällen äußern. Das hat zwei Gründe: Zum einen soll die Vertraulichkeit Leute schützen, denen ein Verbrechen vorgeworfen wird, aber nicht nachgewiesen kann. Entscheidet die Jury, dass für eine Anklage kein ausreichender Verdacht vorliegt, bleibt der Beschuldigte unbehelligt und anonym. Zum anderen erhofft man sich von der Vertraulichkeit der Grand Jury, dass Zeugen kooperativ auftreten, weil ihre Aussagen nicht nach außen getragen werden.

Welche Kritik gibt es am Prinzip der Grand Jury?

Rechtsexperten hegen immer wieder Zweifel an der Wirksamkeit und Fairness einer Grand Jury. Oft geht es darum, dass die Laien in der Jury nach dem Zufallsprinzip und damit nicht unbedingt repräsentativ ausgewählt sind. Zudem sind sie oft nicht neutral. Anders als bei der Jury vor Gericht werden die Juroren nicht auf Unbefangenheit geprüft, sie können also voreingenommen sein. Naheliegend ist auch der Vorwurf, dass Juroren als Laien nicht qualifiziert sind, sich mit den Grundlagen des Rechtssystems und der Verfassung nicht auskennen und dass sie oft nur unzureichend in ihre Aufgabe eingewiesen werden.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist zudem beunruhigend, dass Verdächtige sich nicht auf Grundrechte wie den Beistand eines Anwalts berufen können.

Ausgesprochen problematisch ist die Abhängigkeit der Grand Jury von der Anklage: Der Staatsanwalt beruft das Gremium ein und entscheidet, welche Beweise den Juroren vorgelegt und welche Zeugen gehört werden. Der Staatsanwalt ist dabei nicht zur Ausgewogenheit verpflichtet, kann also belastendes Material vorlegen und entlastendes Material vorenthalten. Jurastudenten in den USA kennen eine Redensart, wonach „ein guter Staatsanwalt auch ein Schinkenbrötchen zur Anklage bringen“ kann – will heißen: Wenn der Staatsanwalt einen Prozess will, dann kann er die Grand Jury zu einer entsprechenden Entscheidung führen. Die von der Verfassung nicht vorgesehene Macht des Staatsanwalts hat zuletzt das Cato Institute in einer ausführlichen Studie festgestellt.

Wie weit die Staatsanwaltschaft Einfluss auf die Grand Jury hat, belegt ein Blick ins Wörterbuch: Da gibt es den Begriff einer „Runaway Grand Jury“ – also einer Grand Jury, die „abgehauen“ ist und sich dem Einfluss des Staatsanwalts entzogen hat. Ausgerechnet für den Fall, dass das Gremium unabhängig waltet und sich nicht zum Erfüllungsgehilfen der Anklage macht, wurde also ein eigenes Wort geprägt. Bedenklich ist, dass es vor allem im 19. Jahrhundert verwendet wurde und dann seltener wurde.

Gibt es im Umgang mit der Grand Jury auch Kritik am Staatsanwalt?

Immer wieder. Denn häufig dient die Grand Jury dem Staatsanwalt nicht zur Wahrheitsfindung, sondern zur Absicherung der eigenen Karriere. Vor dem Laiengremium bekommt die Anklage einen Eindruck, ob ein Prozess zur Verurteilung führen kann. Bringt ein Staatsanwalt viele Fälle vor Gericht, ohne zu siegen, ist das ein Karrierenachteil. Entsprechend kann er die Grand Jury steuern, nur besonders erfolgversprechende Fälle vor Gericht zu bringen. Andere Fälle, in denen es einen Anfangsverdacht gibt, kommen möglicherweise nicht vor den Richter, weil die Beweislast zu schwach ist. Statt das Gericht über „schuldig“ und „nicht schuldig“ entscheiden zu lassen, greift der Staatsanwalt vor und untergräbt damit das Justizsystem.

Das ist wohl in den beiden Fällen passiert, die jetzt weltweit für Empörung sorgen. Sowohl in Ferguson als auch in Staten Island haben die Juroren entschieden, dass die Beweislage gegen eine Anklage der beiden Polizisten spreche, die in unterschiedlichen Situationen unbewaffnete Bürger erschossen haben. Auffällig ist, dass eine von der Anklage geleitete Grand Jury häufig gegen einen Prozess entscheidet, wenn Polizisten unter Verdacht stehen. Das Cato Institute sieht einen Zusammenhang: Die Staatsanwaltschaft arbeitet täglich mit der Polizei zusammen, so die Studie, und tue sich schwer, mit der gebotenen Härte gegen Beamte vorzugehen. In Ferguson legte der Staatsanwalt den Juroren Material vor, das den verdächtigen Polizisten entlastete. Das allerdings ist eigentlich die Aufgabe der Verteidigung während einer Gerichtsverhandlung.

Werden die jüngsten Skandale zu Reformen führen?

Eine Reform ist nicht wahrscheinlich. Denn die allgemeine Bedeutung der Grand Jury ist vielen Amerikanern heilig. Sie schätzen vor allem, dass die Juroren aus ihrer Mitte stammen, aus derselben, oft stark lokal geprägten Wertegemeinschaft. Hier bestimmen nicht professionelle Paragrafenreiter über Recht und Unrecht, sondern das direkte Umfeld. Im konservativen Staten Island ist absehbar, dass seine Grand Jury anders über einen Fall urteilt als etwa im liberalen Brooklyn. Als „Stimme des Volkes“ erfüllt die Grand Jury eine wichtige Rolle, die entsprechend früh in der Verfassung verankert wurde. Die beiden Zusatzartikel zu Anfangsverdacht und Grand Jury wurden bereits vier Jahre nach Gründung der USA vom Kongress abgesegnet.

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