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Die Nutzung der Atomkraftwerke ist das große Streitthema innerhalb der Grünen-Partei.

© Armin Weigel/dpa

Kernkraft als Existenzfrage: Die Grünen müssen die Atomwende hinkriegen

Der Ausstieg aus der Nuklearenergie war ein Ur-Anliegen der Partei. Die Führung denkt notgedrungen neu – und muss die Basis irgendwie mitnehmen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Regieren heißt oft genug: durchhalten. Aber das Richtige. Und genau darum ringen die Grünen. Das Atomthema wird zur Frage aller Fragen. Wie damit umgehen, Laufzeiten verlängern oder nicht?

Was technizistisch klingt, ist hochpolitisch. Der Begründungszusammenhang der Grünen war – ja, doch, unter anderem, aber weit voran, die Anti-Atomkraft-Bewegung. Damit haben sie ohne Übertreibung die ganze Republik in Bewegung gebracht, es gab tektonische Beben und Verschiebungen in der politischen Landschaft – allein ihretwegen.

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Und Beben kann es jetzt auch wieder geben. Nachdem sogar die Union den Ausstieg aus dem Atom vollzogen hat, müssen jetzt die Grünen umgekehrt den Wiedereinstieg erwägen – weil sie regieren. Man glaubt es kaum.

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Was tun, wenn die Bürger:innen nicht mehr wissen, wie sie durch den Winter kommen sollen, mit der Teuerung und allem anderen? Für wen sind die Grünen dann da? Eine Gretchenfrage; eine, die über Sein und Weniger-Sein entscheidet. Da wird Pragmatismus Politikerplicht.

Am liebsten wäre es den Habecks und Baerbocks sicher, sie könnten die Atomkraft ein bisschen weiternutzen, Stichwort „Streckbetrieb“, und keiner merkt’s. Das ist natürlich Unsinn, weil alle darüber reden, auch, wie die Grünen darüber rechten. Und die Opposition lacht sich ins Fäustchen.

Geschlossenheit war das grüne Erfolgsmodell

Wenn es mal so witzig wäre. Die Grundsatzfrage als Existenzfrage in mehrerlei Hinsicht: Die Grünen heben sich das zu Beginn der Regierungszeit sicher anders vorgestellt. Und dann stellt dieser vermaledeite Putin die Welt auf den Kopf und droht nebenbei den grünen Gründungsmythos zu zertrümmern. Gefährlich!

Denn Geschlossenheit war in der vergangenen Zeit das grüne Erfolgsmodell. Kein Kampf mehr Realos gegen Fundis, sondern alle zusammen für eine umweltschonende, klimaneutrale, bessere Welt. So viel war erreicht, die Bürger machen mit. Und jetzt das: Erinnerungen an die harten Streitigkeiten um das richtige Handeln im Kosovo oder Afghanistan werden wach.

Mehr zum Ukraine-Krieg bei Tagesspiegel Plus:

Dafür steht schon ein einziger Tweet: der des altvorderen Linken Hans-Christian Ströbele: „Grüne wollten immer „Frieden schaffen ohne Waffen“, nun „Frieden mit immer mehr schweren Waffen“. Jetzt auch statt „AKWs Nee“ - „AKWs ja bitte“ gegen die Alternative weiter mit russischem Gas? Wann kippt die nächste Säule? Bloß nicht.“ Das trifft es, und wie – mitten ins grüne Herz.

Das jetzt auch noch? Ja, das auch noch. Habeck steuert die Partei schon in Richtung Verlängerung der Akw-Laufzeiten. Fehlt nicht mehr viel, und er sagt, dass es auch länger als ein paar Monate sein könnten, um für den Winter ganz sicher zu gehen. Was gut wäre für den Koalitionsfrieden – die FDP würde sich mehr als freuen –, ist eine Herausforderung für den Parteifrieden.

Hauptsache, keine Atomkraft?

Die Wiederinbetriebnahme abgeschalteter Akw wäre „keine Frage von Jahren, sondern eher von wenigen Monaten oder Wochen“, erklärt der Tüv. Was bedeutet: Wie schnell Atomkraftwerke Deutschland wieder mit Strom versorgen könnten, ist vor allem eine Frage des politischen Willens.

Und eben vor allem des Grünen-Willens. Die Basis hat aber schon beim Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke nicht aufgeheult. Umweltschädlich, wie die Kohle ist und inzwischen jede:r weiß. Hauptsache, keine Atomkraft?

Dass die Akw-Frage die Grünen spalten könnte, ist die große Furcht. Deshalb ringen sie, machen es sich schwer – und dann kommt der Tüv und sagt: Keine Bange, die Meiler sind sicher. Es kommt die EU und erklärt: Was wollt ihr? Atomkraft ist grün.

Im Kern spielt das jetzt Habeck und Co. in die Hände. Die wollen das Richtige tun, wollen es durchhalten, für die Partei, noch mehr für die Gesellschaft – und in der werden gerade alle, ob Wähler:innen oder Parteien, brutal der Realität ausgesetzt. Nur wer die zu spät anerkennt, den atomisieren die Wahlen.

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