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Der Corona-Ausbruch hat Lieferungen aus China verzögert. Das hätte aber auch mit Lieferungen aus NRW passieren können.

© dpa

Die Krise wird den Welttrend nicht umkehren: Drei Gründe, warum das Coronavirus die Globalisierung nicht beenden wird

Damit Krisen echte Veränderungen auslösen, müssen ein paar Punkte erfüllt sein. In der Corona-Pandemie sind sie alle nicht gegeben. Ein Gastbeitrag.

Es sind ja nicht nur ältere Menschen mit Vorerkrankungen, die auf der Liste der potenziellen Opfer der Coronakrise stehen – manche sagen auch das Ende der Globalisierung als Folge der Pandemie vorher. Krisen sind tatsächlich Momente für historische Weichenstellungen. Allerdings verändert sich nach einer Krise nie alles.

Die sozialwissenschaftliche Forschung zeigt uns, dass sich gesellschaftliche Praktiken als Folge einer Krise dann ändern, wenn drei Bedingungen erfüllt sind. Die Praktiken müssen erstens als ursächlich oder zumindest verschärfend für die Krise angesehen werden. Eine exogen verursachte, gleichsam unverschuldete Unternehmenskrise bedarf laut Lehrbuch weit weniger der Restrukturierung als eine endogen, durch eigene Fehler verursachte Krise.

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Es müssen zweitens Alternativen bestehen, die umsetzbar und nicht allzu kostenträchtig sind. Während der Ozonlochkrise etwa konnten sich Ersatzstoffe für das verursachende FCKW relativ schnell durchsetzen, da ihre Entwicklung nicht teuer war. Besonders wahrscheinlich führt eine Krise dann zur Änderung, wenn drittens die betroffenen Praktiken schon vor der Krise rückläufig waren. So führte der Zweite Weltkrieg nicht zuletzt deswegen zu einem Dekolonisierungsschub, da der Kolonialismus schon vorher seinen Höhepunkt überschritten hatte.

Vor diesem Hintergrund muss bezweifelt werden, dass die ökonomische Globalisierung zum Opfer von SARS-CoV-2 wird. Zunächst ist das Virus ein exogener Schock, der als solches keine Folge der Globalisierung ist. Zwar bleibt Einstufung von Krisen als exogen oder endogen letztlich von gesellschaftlichen Konstruktionen abhängig – das Ergebnis wird nicht nur durch objektive Begebenheiten bestimmt, sondern auch durch politische Deutungskämpfe –, aber vieles spricht dafür, dass die aktuelle Pandemie als exogener Schock eingestuft wird.

Eine Pandemie kann man auch mit Flugreisen auslösen

Die Epidemie tritt lokal auf und verbreitet sich dann zunächst in der Region. Die globale Ansteckungskarte versinnbildlicht das durch die vielen, mehr oder weniger dicken Kreise, die jeweils für eine regionale Epidemie stehen. Zur globalen Pandemie wird sie durch die Vernetzung regionaler Ausbrüche.

Für die Ansteckung von Region zu Region braucht es aber keine vertiefte Globalisierung. Dazu reichen die normalen Verkehrsverbindungen einer interdependenten Welt. Erst wenn keine Flugzeuge mehr fliegen, keine Züge und Schiffe mehr fahren, lässt sich ein Virus regional einsperren. Das aber käme nicht dem Ende der Globalisierung gleich, es wäre eher eine Rückkehr ins 18. Jahrhundert.

Selbst 1831 konnte die aus Asien kommende Cholera trotz eines militärischen Sperrgürtels nach Europa gelangen. Der ursächliche Beitrag des weiteren Globalisierungsschubs der 1990er und 2000er Jahre zur Ausbreitung der globalen Pandemie ist gering.

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Fraglos gäbe es Alternativen zu den globalen Produktions- und Lieferketten. Eine partielle Renationalisierung der Wirtschaftsabläufe ist möglich. Das führt aber zu erhöhten Kosten und zu erheblichen Wohlfahrtsverlusten. Wenn die Normalität zurückkehrt, dann werden überall die öffentlichen und privaten Schuldenberge angewachsen sein. Wir werden uns in einer globalen Rezession befinden. Der Kostendruck wird dann besonders hoch sein.

Das ist kein Umfeld, in dem die Wahrscheinlichkeit der Globalisierung abnimmt. Zwar mag die Produktion von Schutzmasken und manchen Medikamenten in vielen Nationalstaaten wieder aufgebaut werden. Das sind aber Sondertatbestände, die nicht zur Verallgemeinerung taugen.

Es ist richtig, dass das Tempo der Globalisierung bereits vor der Krise abgenommen hat. Eine verlangsamte Beschleunigung ist aber keine Umkehr, sie sollte nicht mit einem Rückgang verglichen werden. Die ökonomische Globalisierung befand sich vor der Krise auf einem hohen Niveau. Vermutlich wird sie nach der Krise wieder dahin zurückkehren.

Videokonferenzen könnten bestehen bleiben

Vorsicht ist also angesagt beim schnellen Ausrufen des Endes der Globalisierung. Exogene Schocks verändern langfristig meist weniger, als es das Ausmaß der Krise vermuten lässt. Natürlich werden in der Krise neue soziale Praktiken eingeübt, die Bestand haben können, wenn sie sich als funktionstüchtig erweisen. So wird es vermutlich nach der Krise mehr Videokonferenzen und weniger internationale Geschäftstreffen als zuvor geben. Das wäre sinnvoll.

Wahrscheinlich wird das Virus das Sterben des Einzelhandels vor Ort beschleunigen und den Marktanteil von Amazon und Co erhöhen. Das wäre schade. Insgesamt wird das Virus den Prozess der Digitalisierung beschleunigen, weil wir uns jetzt zwangsweise neue digitale Praktiken aneignen. Vielleicht führt das Coronavirus auch zum Ende des Händedrucks und des Begrüßungskusses als soziale Praxis. Auch daran würden wir uns wahrscheinlich gewöhnen.

Dass aber deutsche Unternehmen in großem Ausmaß ausländische Produktionsstätten abbauen, erscheint unwahrscheinlich. Zwar sind Unternehmen, die von Lieferungen aus Wuhan abhängen, im Februar in Schwierigkeit geraten. Wenn sie aber ihre Produktionsstätte oder ihren Zulieferer in Nordrhein-Westfalen gehabt hätten, dann wäre das Problem genauso, nur etwas später aufgetreten. Vieles spricht also dafür, dass nach der Krise vor der Krise ist. Alle werden wieder springen und sich gerade angesichts der zu erwartenden schlechten ökonomischen Zahlen mehr denn je bemühen.

Michael Zürn ist Direktor der Abteilung „Global Governance“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)

Michael Zürn

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