Politik: Die Region kann nicht bei Jugoslawien bleiben. Doch unabhängig werden darf es auch nicht. Was nun? (Gastkommentar)
Ein Jahr nach Beginn der Nato-Luftangriffe gibt es noch immer keine Klarheit über den künftigen Status des Kosovo. Kosovo gehörte vor dem Zerfall des früheren Jugoslawien nicht zu den multiethnischen Teilen der Föderation.
Ein Jahr nach Beginn der Nato-Luftangriffe gibt es noch immer keine Klarheit über den künftigen Status des Kosovo. Kosovo gehörte vor dem Zerfall des früheren Jugoslawien nicht zu den multiethnischen Teilen der Föderation. Mit rund 90 Prozent albanischer Bevölkerung war es homogener als die anderen föderativen Einheiten Jugoslawiens (mit Ausnahme Sloweniens). Kosovo war in dieser Hinsicht nicht vergleichbar mit anderen Kriegsregionen: mit der früheren "Serbischen Republik Krajina" in Kroatien oder mit Bosnien-Herzegowina.
Eine multikulturelle Gesellschaft hat es in Kosovo auch vor der Nato-Intervention nicht gegeben. Seit 1913, seit Eroberung und Annexion des Gebiets durch Serbien, hat sich ein multiethnisches Zusammenleben nie wirklich entfalten können. In diesem Punkt, dem Glauben an ein multiethnisches Kosovo, irrten Kritiker und Befürworter dieser militärischen Operation gemeinsam.
Was wird nun aus Kosovo? Bleibt es ein Teil Serbiens oder Jugoslawiens, wird es unabhängig oder schließt es sich Albanien an? Sofern das Selbstbestimmungsrecht zur Anwendung kommt, besteht kein Zweifel: Die ersten beiden Optionen scheiden aus. Bliebe noch die Vereinigung mit Albanien oder die Unabhängigkeit, die von vielen als bloße Vorstufe des Anschlusses an Albanien verstanden wird. Damit entstünde ein "großalbanischer" Staat, der mit rund 40 000 qkm (Albanien plus Kosovo) annähernd so groß wäre wie die Niederlande. Nicht die "Größe" dieses Staates ist beunruhigend, sondern die Sogwirkung, die von ihm auf die albanische Bevölkerung in den Nachbarstaaten - allen voran in Makedonien - ausgehen könnte. Mit schwer kalkulierbaren Folgen. Die gesamte Region könnte weiter destabilisiert werden. In den UN würde außerdem eine einseitige Unabhängigkeitserklärung wegen grundsätzlicher Vorbehalte (Präzedenzfall) auf massiven Widerstand stoßen.
Also keine Selbstbestimmung. Viele Beobachter hoffen, dass das Milosevic-Regime in Serbien und die Politik-Mafia der Kosovaren irgendwann durch pluralistisch-demokratische Systeme ersetzt werden. Doch damit wäre noch keine Lösung des Kosovo-Problems erreicht. Die dortigen, jahrzehntelang währenden Konflikte werden durch Demokratisierung allein nicht gelöst werden können - so wenig wie in Nordirland und dem Baskenland. Die Entwicklung, die seit der Entmachtung der Autonomen Provinz Kosovo durch das serbische Parlament im Jahre 1989 eingetreten ist, lässt sich nicht rückgängig oder ungeschehen machen. Mit einer Wiederherstellung des Status quo ante (also mit einer Rückkehr zur Autonomie) kann die Region nicht (mehr) befriedet werden. Denn die Quasi-Gleichstellung des Kosovo mit den sechs damaligen Republiken durch die jugoslawische Verfassung von 1974 hat eine faktische Ungleichbehandlung der Albaner im früheren Jugoslawien nicht verhindert. Eine emotionale Identifikation mit Jugoslawien und seinen Symbolen wurde den Kosovaren so versperrt.
Die Tatsache, dass sie im Unterschied zu Montenegrinern, Makedoniern und Slowenen - ungeachtet ihrer zahlenmäßigen Stärke - nicht als Staatsvolk, sondern nur als "Völkerschaft" eingestuft wurden, war mehr als eine Torheit. Es war eine Diskriminierung. In der Praxis waren und blieben die Albaner Staatsbürger zweiter Klasse (trotz formalrechtlicher Gleichstellung). Sie waren nie akzeptiert und haben den Staat, dem sie gezwungenermaßen angehörten, ihrerseits - wenn überhaupt - nur vorübergehend und widerwillig angenommen. Ein Verbleib des Kosovo bei Rest-Jugoslawien müsste zumindest mit einer substanziellen Verbesserung seines Status im Vergleich zu 1989 verbunden werden. Eine Autonomie innerhalb Serbiens reicht nicht.
Zwei Varianten sind denkbar. Die erste: Kosovo erhält den Status einer gleichberechtigten Teilrepublik (neben Serbien, Montenegro und eventuell der Wojwodina als vierter Republik). Für die Kosovaren ist selbst diese Lösung nicht besonders attraktiv. Das heutige Jugoslawien ist mit dem ehemaligen Jugoslawien nur noch dem Namen nach identisch. Die innerstaatliche Balance des früheren Bundesstaats, die von Milosevic1989 ausgehebelt wurde, lässt sich im jetzigen Rumpfstaat mit seiner erdrückenden serbischen Mehrheit nicht wiederherstellen. Das Ungleichgewicht wäre deutlich stärker als früher, so dass die Status-Verbesserung für Kosovo entwertet würde.
Zweite Variante: Eine annähernde Gleichberechtigung zwischen ungleichen Kontrahenten lässt sich oft nur - so paradox es klingt - durch formale Ungleichbehandlung erreichen. Das heißt, dass die schwächere Gruppe formalrechtlich besser gestellt wird als die stärkere. In Anlehnung an die staatsrechtliche Konstruktion für Bosnien-Herzegowina könnte Kosovo zu einer quasi-staatlichen "Entität" aufgewertet werden, die zwar in der Föderation mit Serbien und Montenegro verbleibt, aber das Recht auf Sonderbeziehungen (unter UN-Kontrolle) zu Albanien und Makedonien erhält. Der Quasi-Staat Kosovo verpflichtet sich im Gegenzug, die Rückkehr der serbischen Flüchtlinge und Vertriebenen zu ermöglichen, ihre Gleichbehandlung im öffentlichen Leben zu garantieren und die Erinnerungsorte, die "heiligen Stätten", der Serben zu respektieren. Parallel dazu müssten seitens der internationalen Gemeinschaft deutliche Anreize für die Zusammenarbeit zwischen Albanien, Jugoslawien und Makedonien geschaffen werden.
Die zivile und multikulturelle Gesellschaft, die es bislang nicht gab, wird dann vielleicht doch noch entstehen. Das braucht Zeit und Unterstützung von außen. Die internationale Präsenz in Kosovo wird andauern müssen - nicht Jahre, Jahrzehnte.Der Autor ist Professor für osteuropäische Geschichte an der FU Berlin
Holm S, haußen