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Mit der Respekt-Rente sollen alte Menschen mit sehr niedrigen Renten besser gestellt werden als Grundsicherungs-Empfänger

© dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Sozialpolitik: Die Respekt-Rente ist eine Diskussion wert

Heils Grundrenten-Pläne polarisieren. Die Wissenschaftler aus dem Sozialbeirat der Regierung finden sie nachvollziehbar. Ein Gastbeitrag.

Die von Sozialminister Hubertus Heil auf den Weg gebrachte Idee einer Respekt-Rente polarisiert – zu Recht. Trotzdem oder auch gerade deshalb  ist sie eine gute Diskussionsgrundlage. Neben vielen Details, die zu klären, und Anreizwirkungen, die zu beachten sind, geht es um die sehr grundsätzliche Frage, wem in unserer Gesellschaft „Respekt gezollt“ werden soll. Und auch umgekehrt gilt: Wenn die Mainstream-Politik in Deutschland nicht den Respekt der Menschen wieder gewinnt, die Pech hatten im Leben, oft von Geburt an, dann wird wahrscheinlich zwar nicht ein Populist wie Donald Trump zum Bundeskanzler gewählt werden, aber weitere Erfolge der AfD werden es weiter erschweren, eine sachgerechte Politik zu machen.

Aus unserer persönlichen Sicht ist es nachvollziehbar und politisch richtig, dass mit der Respekt-Rente alte Menschen, die sehr niedrige Renten haben, unter bestimmten Bedingungen besser gestellt werden als jüngere Empfänger von Grundsicherung. Denn diejenigen, die heute alt sind – im Rentenalter oder kurz davor – haben in der Regel nicht freiwillig so wenig oder zu so niedrigen Löhnen gearbeitet, dass ihre Rente nun so niedrig ist. Strukturelle Arbeitslosigkeit, fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten, keine Berücksichtigung von Pflegeverpflichtungen und noch kein Mindestlohn prägen viele ältere Erwerbsbiografien.

Es ist sicherlich richtig, dass die Respekt-Rente, die auf eine Prüfung der gesamten Einkommensverhältnisse verzichtet, nicht zielgenau nur Bedürftigen hilft  und der eine oder die andere Empfängerin der Respekt-Rente schon über genug oder gar reichlich Geld verfügt. Die Verwaltung der Rentenversicherung weiß nicht, wer warum niedrige Beiträge gezahlt hat. Daher profitieren diejenigen, die freiwillig teilzeitbeschäftigt waren, ebenso wie diejenigen, die unfreiwillig keinen besseren Job gefunden haben. Dies ist in der Tat zu diskutieren.

Aber ein Stück dieser Unschärfe, hängt gerade mit dem Respekt zusammen. Auch wenn die vielzitierte gutbetuchte Zahnarztgattin eine ordentliche Rente nicht dringend zum Leben braucht, muss doch in Rechnung gestellt werden, dass sie nur ein Lebensmodell gewählt hat, das ihr durch die institutionellen Rahmenbedingungen unseres Sozial- und Steuersystems viele Jahre geradezu nahegelegt wurde. Wer meint, bei einem vermögenden Ehepaar oder bei Rentnern mit beachtlichem Erbe bleibe zu viel, sollte an anderer Stelle, nämlich beim Steuerrecht ansetzen. Aber dies steht auf einem anderen Blatt.

Professor Gert G. Wagner ist Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung
Professor Gert G. Wagner ist Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung

© DIW/Florian Schuh

Ein nachsorgender sozialer Ausgleich

Auf jeden Fall gilt: Man sollte die Respekt-Rente unterschiedlich beurteilen für einerseits Menschen, die bereits jetzt im Rentenalter sind oder dies bald erreichen werden, und andererseits für jüngere und junge Leute, die über das Ausmaß ihrer Erwerbstätigkeit grundsätzlich noch selbst entscheiden können. Bei den Älteren soll die Respekt-Rente strukturelle Probleme korrigieren, an denen sie selbst nichts ändern konnten; hier geht es um nachsorgenden sozialen Ausgleich. Bei denen, die noch länger im Erwerbsleben stehen und Gestaltungsoptionen haben, geht es stattdessen um bessere Strukturen des Rentenversicherungs- und Steuerrechts, sowie der Rahmenbedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft.

Langfristig wird der Bedarf an Respekt-Renten kleiner werden, da der Mindestlohn für höhere Rentenanwartschaften im Niedriglohnbereich führen wird. Und würde man in Ehen die Anwartschaften auf die spätere Rente auf beide Partner verteilen („Splitting“), wäre der Fehlanreiz, dass ein Partner nur wenig arbeitet und auf die Respekt-Rente spekuliert, begrenzt. In Zukunft wird man zudem die Information über die Arbeitszeit, die der Beitragszahlung zugrunde liegt, in das Renten-Konto aufnehmen müssen. Dann kann die Respektrente zielgenauer denen vorbehalten bleiben, die viele Stunden zu niedrigen Löhnen arbeiten.

Gekoppelt werden sollten diese Maßnahmen mit einer durchgehenden Beitragspflicht für unterschiedliche Arten von Erwerbstätigkeit – inklusive Selbstständigkeitsphasen – sowie Anstrengungen zur allgemeinen Bewusstseinsbildung, dass der kontinuierliche Aufbau der eigenen Altersvorsorge über den Lebenslauf bei Erwerbsentscheidungen stets mit zu berücksichtigen ist.

Respekt-Rente nach 35 Beitragsjahren, aber nicht nach 34?

Eine ehrliche Diskussion zur Respekt-Rente muss außerdem klar machen, wer außen vor bleibt. Da die Respekt-Rente nur dann gezahlt werden soll, wenn Pflicht-Beiträge eingezahlt wurden, werden Selbständige, die geringe freiwillig Beiträge gezahlt haben, davon nicht profitieren. Das ist so gewollt und wenn man es ungerecht findet, muss man – wie gesagt  – Selbständige generell in die Rente einbeziehen.

Auch langjährige Mini-Jobber erhalten keine Respekt-Rente; was sicherlich wiederum – nicht zu Unrecht – zu Diskussionen über die Gerechtigkeit gegenüber dieser Gruppe führen wird. Aber auch hier gilt, dass dann die Beitragspflicht zur Rente geändert werden sollte.

Ebenso gibt es natürlich die Kritik, dass es schwer nachvollziehbar sei, warum jemand mit 35 Beitragsjahren die Respekt-Rente erhalten soll, nicht aber jemand mit 34 Jahren Beitragszahlung. Zwar sind derartige Mindest-Anforderungen im Sozialrecht nicht unüblich, aber eine mit den Beitragsjahren ansteigende Höhe der Respekt-Rente ist auch denkbar.

Schwierig ist die Frage, ob jemand, der wegen gesundheitlicher Probleme, also wegen „Erwerbsminderung“, aus dem Arbeitsleben frühzeitig ausscheidet und deshalb nicht auf 35 Beitragsjahre kommt, auch außen vor bleiben soll. Erwerbsminderung ist ein wichtiger Grund für Altersarmut und den Betroffenen gebührt auch Respekt. Daher müsste man gewissermaßen hochrechnen, ob jemand die 35 Jahre erreichen würde, wenn er gesund bliebe – mit vielen offenen Fragen.

Wenn man aber den Respekt gerade für die Arbeitsleistung gewähren will, sollte man die Erwerbsminderungs-Rente für junge Erwerbsgeminderte großzügiger bemessen als gegenwärtig. Das Problem Erwerbsminderung steht ohnehin auf der rentenpolitischen Agenda. Der Heil-Vorschlag belebt auf jeden Fall auch diese Diskussion.

Die Umverteilung würde größer

Die Respekt-Rente würde die Umverteilung in der Rentenversicherung vergrößern. Deswegen soll sie ja auch aus Steuermitteln finanziert werden. Man könnte aber auch – gerade wenn man die Bedeutung von Respekt betonen will –  argumentieren, dass eine Umverteilung zugunsten von Personen mit geringen Anwartschaften innerhalb der GRV angezeigt wäre, um klar zu machen, dass die Rentenversicherung selbst Respekt auch gerade vor denen hat, die viel gearbeitet haben, obwohl sie sehr wenig verdient haben.

Niemand ist glücklich über höhere Ausgaben. Klar ist aber: Wer die Aufstockung von niedrigen Renten will, und das will die Bundesregierung laut Koalitionsvertrag, der kommt um mehr Umverteilung nicht herum, egal welches Modell man wählt. Auch wenn die Rente vom Einkommen abhängig ist, geht es bei ihr doch um viel mehr. An zig Stellen wird deshalb die Äquivalenz zwischen persönlicher Beitragszahlung und Rentenanspruch durchbrochen, an erster Stelle bei Erwerbsminderung oder bei den jüngsten Änderungen der sogenannten Mütterrente. Es ist daher eine politische Entscheidung, wieviel und gegenüber wem Umverteilung in der Rentenversicherung erfolgt.

Dass der Heil-Vorschlag diese Frage – und viele weitere – aufwirft, ist aus unserer persönlichen Sicht ein Gewinn: Vieles ist zu bedenken, alle Probleme werden sich nicht lösen lassen. Aber es ist berechtigt darüber zu diskutieren, wie wir in unserem Land mit Altersarmut umgehen wollen, welchen Preis wir dafür bereit sind zu zahlen, dass es den Betroffenen besser geht und dass viele andere die Angst davor nicht haben müssen, kurz: wem wir Respekt zollen wollen.

Die Autorinnen und der Autor sind die drei wissenschaftlichen Mitglieder des Sozialbeirats der Bundesregierung. Sie geben hier ihre  persönliche Meinung wieder.

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