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Ein Mann in seinem zerstörten Haus in der Ukraine am 13. Dezember.

© dpa

Ukraine: Die Sanktionen für Russland müssen bleiben

Solange Russland seine Unterstützung für die sogenannten Separatisten nicht einstellt, müssen die Sanktionen aufrechterhalten werden. Wer dies anzweifelt, schwächt die EU gegenüber Russland. Ein Gastkommentar.

Meine Freunde in Kiew fragen mich: warum will der Westen nichts von uns wissen?

Der Blick vieler Politiker in der EU richtet sich in diesen Tagen nach Westen, auf die andere Seite des Atlantiks. Während die Diskussionen über Einflussnahme des Kreml im US-Wahlkampf anhalten, stellt der gewählte Präsident Trump ein Kabinett zusammen, das die Politik der USA grundlegend verändern soll. Mit diesen Entwicklungen im Hinterkopf werden die Staats- und Regierungschef auf dem Gipfel in Brüssel ihren Blick aber erstmal nach Osten richten müssen. In der Ukraine gehen die Menschen in den 3. Winter mit dem Krieg. Von der besetzten Halbinsel Krim wird von systematischen Menschenrechtsverletzungen berichtet. Tausende Familien haben im Krieg Angehörige verloren, Millionen ihre Heimat und Existenz. In Kiew ist Halbzeit für Präsident Poroshenko. Es gibt Fortschritte auf dem Weg in Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Aber er trägt auch Verantwortung für Enttäuschung, für Blockaden und Streit um Reformen, um politische Erneuerung und den Kampf gegen Korruption.

Die Staats- und Regierungschefs der EU werden in dieser Woche erneut diskutieren, welche Rolle sie für die Ukraine und gegenüber Russland spielen wollen. Die Verlängerung der Sanktionen scheint trotz häufig vorgetragener Zweifel aus etlichen Hauptstädten der EU, nicht in Frage zu stehen. Das ist gut. Solange Russland seine Unterstützung für die sogenannten Separatisten nicht einstellt, müssen die Sanktionen aufrechterhalten werden. Wer dies anzweifelt, der schwächt die Möglichkeiten einer diplomatischen Lösung im Osten der Ukraine und schwächt die EU gegenüber Russland.

Ein Signal an Kiew

Grund zur Sorge gibt vor dem EU-Gipfel der Vorstoß des niederländischen Premiers Rutte, der dem geplanten Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine eine Reihe von ‚Klarstellungen‘ anfügen will, ohne die er die Ratifizierung für sein Land ablehnt. Die EU solle gegenüber Kiew unterstreichen, dass das Abkommen weder ein Zwischenschritt zur Mitgliedschaft in der EU darstelle, noch Ursprung für sicherheitspolitische Zusagen oder finanzielle Ansprüche sei: Ein Signal an Kiew, dass die EU enge Grenzen für die Zusammenarbeit ziehen will? Oder ein beruhigendes Signal an die Niederländer? Und was kommt dabei heraus? 

Der Vorstoß folgt auf eine nicht verbindliche Volksbefragung in den Niederlanden, an der sich ein knappes Drittel der Stimmberechtigten beteiligten. Eine Mehrheit stimmte gegen das Assozierungsabkommen. Nun sieht sich Premier Rutte gezwungen, der Mehrheit Genüge zu tun. Einerseits ein Gebot der Demokratie. Andererseits gehört zu den Regeln der EU, dass weitreichende Entscheidungen gemeinsam getroffen und Kompromisse von allen getragen werden müssen. Premier Rutte scheint dies zu ignorieren, wenn er einen EU-Beschluss einfordert, der allein auf sein Land zugeschnitten ist. Gemeinsame Entscheidungsfindung in der EU sieht anders aus. Das Land, dessen Interessen Rutte vertritt, lebt von und mit globalen Märkten und Handel. Es macht mich mal wütend und mal traurig zu sehen, wie Premier Rutte sich weigert, den Blick seiner Leute auf Europa und auf größere gemeinsame Interessen zu richten. Was vor dem Referendum falsch war, das ist nach dem Referendum nicht richtig.

Dabei hat die EU große Einflussmöglichkeiten

Folgt die EU dem niederländischen Vorstoß, sendet sie wieder ein verstörendes Signal. Nicht so sehr an die Politik in Kiew sondern an die Bürger der Ukraine. Dass es nicht um die EU-Mitgliedschaft geht, das ist den Ukrainern mehr als oft und mehr als deutlich gesagt worden. Die Assoziierung ist ja die Alternative zu den gewünschten Beitrittsverhandlungen. Dass es der EU nicht um militärische sondern um diplomatische Unterstützung gegenüber Russland geht, wird von Rutte erneut verwischt. Folgte die EU den Vorschlägen des niederländischen Premiers, signalisierten wir den Ukrainern, dass man sie im Westen der EU Abstand halten will. Diese Botschaft träfe genau die, die  für die Westorientierung ihres Landes gekämpft haben und große Opfer bringen.

Es sind die mündigen Bürger, die einen Weg erkämpfen raus aus der Ergebenheit in die von Oligarchen und Korruption geprägten Strukturen. Und die dabei auf die EU als Verbündeten setzen. Putin macht es ihnen mit Besetzung und Krieg bereits viel schwerer als es ohnehin ist. Die EU macht es ihnen schwer, weil sie es nicht fertig bringen diesen Weg mit Überzeugung zu unterstützen. Dabei hat die EU große Einflussmöglichkeiten. Die Erfolge gegen Korruption und für Transparenz der vergangen Monate wurden maßgeblich durch die Zusammenarbeit mit der EU, auf der Grundlage der Assoziierung vorangetrieben.

Gibt es die EU als Ort der Sehnsucht noch?

Es ist die Zivilgesellschaft, es sind die unabhängigen Politiker und Technokraten in der Verwaltung, die mit Verweis auf das Abkommen auf die Misserfolge hinweisen und unermüdlich Druck für Veränderung machen. Die Bürger der neuen Ukraine zeichnet aus, dass sie die Prägungen der sowjetischen und der postsowjetischen Zeit abgeschüttelt haben und mündig und verantwortlich leben wollen. Sie wissen, dass sie das Schicksal ihres Landes selbst in die Hand nehmen müssen und wollen das.

Es ist diese neue Ukraine, der im Streit um Visafreiheit und das Assoziierungsabkommen immer wieder der Rücken gekehrt wird. Stabilität, Frieden und Demokratie in unserer östlichen Nachbarschaft stehen auf dem Spiel. Die Nachrichten aus Washington und das widersprüchliche und unwürdige Taktieren in der EU zur Ukraine lassen meine ukrainischen und übrigens auch meine russischen Freunde oft fragen, ob es den Westen und darin die EU als den Ort ihrer Sehnsucht überhaupt noch gibt. Ob wir Einfluss auf Wladimir Putin und seine Politik bekommen können, wie wir angesichts der aggressiven russischen Politik unseren Bürgern und dem Kontinent Sicherheit geben können, sind in Brüssel inzwischen meistgestellte Fragen. Ein wichtiger Teil der Antwort war und bleibt die zuverlässige, großzügige und solidarisch-kritische Unterstützung für die Ukrainer auf ihrem Weg in den Westen.

Rebecca Harms ist für die Partei Die Grünen/Europäische Freie Allianz (Grüne/EFA) im Europäischen Parlament.

Rebecca Harms

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