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Politik: Die Weltverbesserer

Die Welt zu Gast bei Freunden“. Das Motto der Fußball-Weltmeisterschaft scheint auf eine unterirdische wie komplementäre Weise mit dem Motto des internationalen PEN-Kongresses zusammenzuhängen, auf dem sich ab heute in Berlin zum ersten Mal seit 20 Jahren mehr als 400 Schriftsteller aus mehr als 100 Ländern versammeln: „Schreiben in friedloser Welt“.

Die Welt zu Gast bei Freunden“. Das Motto der Fußball-Weltmeisterschaft scheint auf eine unterirdische wie komplementäre Weise mit dem Motto des internationalen PEN-Kongresses zusammenzuhängen, auf dem sich ab heute in Berlin zum ersten Mal seit 20 Jahren mehr als 400 Schriftsteller aus mehr als 100 Ländern versammeln: „Schreiben in friedloser Welt“. Gewiss, das Schreiben ist kein Sport, wenngleich Fußball mit Sicherheit eine Kunst genannt werden kann. Oder ist Literatur vielleicht etwa doch ein Sport, ein ganz besonders unauffälliger und leiser Sport?

Die WM findet trotzdem statt. Trotz Krieg, Hunger und Leid in anderen Teilen der Welt, aus denen auch Mannschaften nach Berlin kommen werden. Sie soll und muss daran erinnern – wenn’s gut läuft, also ohne Randale und hundert rote Karten –, dass Wettbewerb zwischen Ländern ein Spiel sein kann. Und so Gewalt überwunden wird. Man könnte sagen (Bildungsbürger weghören!): So ein internationaler Kongress ist die Weltmeisterschaft der Literatur. Was ist mit diesem Vergleich gewonnen? Ganz einfach: Beide Mega-Veranstaltungen arbeiten an der Verbesserung der Welt.

Der Sport, indem er symbolisch den Krieg zwischen den Nationen vollzieht und dadurch bannt, sublimiert, wie man in der Psychoanalyse sagt. Und der PEN? Nein, er ist kein Welt-Wettbewerb, das ist ja schon der Nobelpreis für Literatur. Der PEN-Kongress ist vielmehr eine Veranstaltung der Begegnung und der Organisation von Hilfe für die verfolgten Schriftsteller dieser Welt. Im vergangenen Jahr wurden über 1000 Schriftsteller unrechtmäßig angeklagt, 35 Autoren und Journalisten wurden getötet und über 200 sitzen im Gefängnis mit Haftstrafen von über 20 Jahren.

Die „Charta“, die sich der PEN gegeben hat, drückt eine tiefe Überzeugung aus. Die Überzeugung, dass in der Sphäre der Literatur schon heute das vollzogen ist (und zwar nicht nur symbolisch), was in der politischen Welt, in den Gesellschaften erst noch bevorsteht – vielleicht in einer langen Zeit: die Aufhebung der Grenzen. Und die PEN-Charta zeugt zweitens von dem „Standpunkt, dass der notwendige Fortschritt in der Welt hin zu einer höher organisierten politischen und wirtschaftlichen Ordnung eine freie Kritik gegenüber Regierungen, Verwaltungen und Institutionen zwingend erforderlich macht“.

Über Weltverbesserer und Gutmenschen macht man sich heute bisweilen lustig. Fragen Sie einen Schriftsteller, ob Kunst die Welt verbessern kann. In den meisten Fällen wird er nein sagen. Die Verneinung geschieht nicht aus Bescheidenheit, sondern weil der Glaube an die erzieherische Funktion der Kunst und der Literatur fast schon ausgestorben ist. Woran das liegt? An den „bösen Büchern“, denjenigen Büchern, nach denen die Gewaltherrscher aller Zeiten die Wirklichkeit umbauen wollten – auf die brutale Methode. Viele glauben, weil man sich der „bösen Bücher“ schämen muss, könne die Literatur die Welt höchstens insofern verbessern, dass eben ein gutes Gedicht, ein guter Roman, ein guter Thriller mehr in der Welt ist.

Aber die Literatur ist mehr. Sie ist das Medium, in dem die Menschen lernen, was die Welt ist und was sie sein könnte. Sie kann die Menschen zur Erkenntnis bringen, dass mit vielen kleinen Schritten die Welt unaufhörlich verbessert werden kann. Sagen wir ruhig: „Fußball in friedloser Welt“. Und anders herum „Schreiber zu Gast bei Freunden“. So wird auch ein Schuh draus.

Marius Meller

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