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Dieses Papier soll die Renten-Rebellen befrieden: Doch plötzlich macht der Kanzler eine Hintertür auf
Merz, Klingbeil und Söder umgarnen die jungen Rebellen – doch bei der Vorstellung des Renten-Papiers sagt der Kanzler zwei Sätze, die womöglich noch für Aufsehen sorgen. Die große Analyse.
Stand:
Die Rebellion des Unions-Nachwuchses bringt das schwarz-rote Bündnis derzeit an den Rand der Regierungsfähigkeit. Nach der nächtlichen Sitzung des Koalitionsausschusses ist klar: Das aktuelle Rentenpaket, an dem sich der Streit entzündet hat, bleibt, wie es ist.
Die Spitzen der Koalition setzen darauf, dass sie es schon in der kommenden Woche ohne Änderungen durch den Bundestag bekommen. Also auch darauf, dass im Lager der Rebellen so viele Abgeordnete ihre Meinung ändern, dass die Mehrheit der Koalition steht.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) glaubt offensichtlich, dass die jungen Rebellen am Ende, unter allerhöchstem Druck, eben doch nicht durchziehen.
Wenn ein Abgeordneter mir sagt: ‚Das ist eine Gewissensfrage für mich‘, dann ist das eine Gewissensfrage für ihn, und dann habe ich das zu akzeptieren.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU)
Scheitert diese Strategie, ist die Blamage für den Kanzler und die Führung der Unionsfraktion gigantisch. Geht die Strategie hingegen auf, ist der Großkonflikt um die Rente zumindest für den Moment abgeräumt.
Unter Hochdruck werden nun im Bundestag Gespräche geführt. Jede und jeder einzelne der Abweichler dürfte sich unangenehmen Unterredungen ausgesetzt sehen. Klar ist, dass die 18 Mitglieder der Jungen Gruppe das Rentenpaket in seiner jetzigen Form ablehnen. Es gibt aber weitere Unionsabgeordnete, die die Position der Jungen teilen.
Strategie der Umarmung
Insgesamt dürfte es um eine Zahl zwischen 20 und 30 Abgeordneten gehen. Die Koalition hat aber nur eine 12-Stimmen-Mehrheit. Entsprechend viele Fraktionsmitglieder der Union müssen zum Einschwenken auf Koalitionslinie bewegt werden.
Der Kanzler setzt nun auf eine Strategie der Umarmung. Der Koalitionsausschuss hat sich in der Nacht auf ein Renten-Papier geeinigt, der Bundestag soll es als Entschließungsantrag begleitend zum Rentenpaket beschließen. Rechtliche Bindungswirkung hat ein solcher Entschließungsantrag nicht, mit ihm kann aber ein politischer Wille bekundet werden.
Die Grundidee ist, den Rebellen klarzumachen: Im aktuell zu verabschiedenden Gesetz wird nichts mehr in ihrem Sinne geändert – sie können aber darauf vertrauen, dass im kommenden Jahr in der Rentenkommission noch einmal ganz grundsätzlich darüber gesprochen wird, wie die Altersversorgung zukunftsfest aufgestellt werden kann. Was dabei tatsächlich herauskommt, weiß jedoch naturgemäß niemand.

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Genau deshalb haben die jungen Rebellen vor dem Koalitionsausschuss klar gemacht, dass ihnen weder ein unverbindlicher Entschließungsantrag noch die Aussicht auf die Rentenkommission reichen würde. Die große Frage ist nun: Bleiben sie bei dieser harten Linie? Die Spitzen von Union und SPD betonen, auf dieses Papier und den gemeinsamen Willen zu Reformen sei ganz bestimmt Verlass. Was steht in dem Entschließungsantrag und ist der Inhalt geeignet, die jungen Rebellen zur Umkehr zu bewegen? Die Analyse.
Der Zeitplan
Die Kommission hätte ohnehin eingesetzt werden sollen, nun wird das aber beschleunigt und der Auftrag an das Gremium dringlicher gefasst. Im Papier heißt es konkret, die Kommission solle „bis zum Ende des zweiten Quartals 2026“ Reformvorschläge machen. Damit haben die jungen Rebellen tatsächlich etwas erreicht. Merz sagte bei der Pressekonferenz am Freitagfrüh, durch diese Verabredung werde die anstehende große Rentenreform von der nächsten Legislaturperiode auf die aktuelle vorgezogen.
Und in der Tat: Nach Amtsantritt der Regierung herrschte eher die Stimmung, in dieser Legislatur werde man über die konkreten Verabredungen im Koalitionsvertrag hinaus keine große Rentenreform anpacken. Zwar war immer geplant, eine Rentenkommission einzusetzen. Doch daraus hätte nicht unbedingt konkrete Gesetzgebung folgen sollen.
Das sieht nun anders aus: Bei der Pressekonferenz sagte auch Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD), die Kommission werde keine „Laberrunde“.
Die Erfolgsaussichten
Dennoch wird der inhaltliche Kern der Renten-Rebellion durch das Papier nicht ausgeräumt. Das entscheidende Stichwort ist der Auftrag an die Kommission, sich mit der „Prüfung“ von Fragestellungen zu beschäftigen. Ein Prüfauftrag ist aber eben keine inhaltliche Festlegung in irgendeine Richtung.
Im Papier findet sich eine lange Auflistung von Stichpunkten, die so ziemlich alles umfassen, worin man sich in der ewig währenden Rentendebatte uneins ist. Soll das Renteneintrittsalter angehoben werden oder nicht? Soll die Rente künftig an die Inflation gekoppelt werden statt an die Lohnentwicklung? Soll der Nachhaltigkeitsfaktor wieder gelten, so dass das Rentenniveau angesichts des demographischen Wandels womöglich sinkt – oder soll es bei einem Mindest-Rentenniveau bleiben? Sollen neue Bevölkerungsgruppen in die Rentenkasse einbezogen werden (der Begriff Beamte fällt hier nicht, dürfte aber gemeint sein)?
Die Liste lässt sich fortsetzen: Wie kann ein stabiles Rentenniveau dauerhaft finanziert werden? Antworten gibt das Papier nicht, es wirft nur die Frage auf. Es wird also ausführlich aufgezählt, was alles diskutiert und beraten werden muss, ohne irgendeine inhaltliche Vorfestlegung. Es finden sich Punkte, die der SPD wichtig sind, und welche, die der Union am Herzen liegen. Das Papier vermittelt den Eindruck: Spiegelstriche sind geduldig. Die Frage ist, ob es den Renten-Rebellen genügt, den Dissens einmal ordentlich verschriftlicht ausgehändigt zu bekommen. Nicht auszuschließen, dass man am Ende der Kommissionsberatung feststellt, sich nach wie vor nicht einig zu sein.
Der Kernpunkt des aktuellen Streits ist, wie es nach dem Auslaufen der Haltelinie 2031 weitergeht: Ausgehend von den 48 Prozent Rentenniveau, die bis dahin verabredet sind – das wollen die Spitzen von Union und SPD. Oder ausgehend von einem niedrigeren Wert, der sich ergeben hätte, wenn man die 48 Prozent erst gar nicht gesichert hätte – das wollen die Rebellen. Dieser Streitpunkt (Stichwort: Nachholfaktor) findet sich im Papier ebenfalls in der Liste der vielen Prüfaufträge.
Einen Vorgeschmack darauf, wie flexibel die SPD sein wird, wenn dieser Prüfauftrag in der Kommission aufgerufen wird, lieferte Klingbeil in der Pressekonferenz: „Die Haltelinie steht“, sagte er.
Stärkung der privaten Altersvorsorge
Einen Themenbereich gibt es aber, bei dem Schwarz-Rot sich in dem Papier tatsächlich festlegt: Die private Altersvorsorge soll über das bisher Verabredete hinaus gestärkt werden. Konkret soll der Bund ein Aktienpaket aus eigenen Beteiligungen bereitstellen. Der Kanzler nannte in der Pressekonferenz Telekom, Post und Commerzbank. Das Aktienpaket soll ein Volumen von zehn Milliarden Euro haben. Mit den Dividenden soll der „Aufbau der privaten Altersversorgung der jungen Generation“ unterstützt werden. Details sollen schon im nächsten Koalitionsausschuss, am 10. Dezember, beschlossen werden.
Dieser Punkt zielt erkennbar auf die Interessen und inhaltlichen Vorlieben der jungen Renten-Rebellen. Er könnte eine Brücke für sie sein, damit sie unter Verweis auf diesen Erfolg für die junge Generation gesichtswahrend den Rückzug antreten können. Allerdings: In den finanziellen Größenordnungen des Rentensystems gedacht, sind die Erträge eines 10-Milliarden-Euro-Aktienpakets eine nahezu verschwindend geringe Größenordnung.
Die jetzige Idee erinnert an das „Generationenkapital“ der Ampel, aus dem nie etwas wurde. Zum Vergleich: Damals war der Plan, bis Mitte der 2030er-Jahre einen Kapitalstock von mindestens 200 Milliarden Euro aufzubauen. Schon das galt unter Fachleuten als Größenordnung, die wenig bewirkt.
Die Mehrheitsverhältnisse
In dem Entschließungsantrag wird konkretisiert, wie die Kommission besetzt werden soll: Kanzleramt und Arbeitsministerium sollen einvernehmlich zwei Vorsitzende bestimmen. CDU, CSU und SPD entsenden jeweils eine oder einen Abgeordneten als stellvertretende Vorsitzende – hier ergibt sich also ein Übergewicht für die Union. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in der Pressekonferenz, die junge Gruppe werde eine „zentral prägende Rolle in der Kommission“ bekommen. Außerdem benennen Unions- und SPD-Fraktion je vier Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler.
Die interessante Frage ist: Was passiert, wenn man sich nicht einig ist? „Die Kommission soll ihre Beschlüsse im Konsens fassen“, heißt es im Entschließungsantrag. Dort steht aber auch explizit: „Bei Meinungsverschiedenheiten ist ein Mehrheitsbeschluss möglich.“
Die Aussichten
Vertrauen die jungen Renten-Rebellen darauf, dass der demonstrative Reformeifer auch dann nicht erlischt, wenn das aktuelle Rentenpaket beschlossen ist? Oder knicken sie unter dem immensen Druck ein, obwohl ihnen dieses Vertrauen fehlt? Das sind die großen Fragen, vor denen das Regierungsbündnis nun steht.
Die Abgeordneten dürften genau zugehört haben, als Kanzler Merz in der Pressekonferenz sagte: „Wenn ein Abgeordneter mir sagt: ‚Das ist eine Gewissensfrage für mich‘, dann ist das eine Gewissensfrage für ihn, und dann habe ich das zu akzeptieren.“ Diese Sätze könnten in den kommenden Tagen rapide an Bedeutung gewinnen, falls es aus Sicht des Kanzlers schlecht läuft. Er stellte am Freitag aber auch klar, aus seiner persönlichen Sicht sei der aktuelle Streit „keine Gewissensfrage“.
Am Dienstag trifft sich die Union zur Fraktionssitzung. Dann soll sich endgültig herausstellen, ob die Union ihre Stimmen beisammen hat – oder die Koalition ein gewaltiges Problem.
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