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Unsere Präsidentin: In Brasilien mangelt es nicht Unterstützern für Dilma Rousseff.

© Andressa Anholete/AFP

Machtkampf in Brasilien: Dilma Rousseff hofft aufs Comeback

Knapp zwei Monate vor Olympia herrscht in Brasilien politisches Chaos. Interimspräsident Michel Temer macht Fehler – und Dilma Rousseff gibt nicht auf.

Dilma Rousseff kommt auf die Bühne im Zentrum von Rio de Janeiro. Sprechchöre von 15.000 Menschen: „Dilma, Dilma!“ Die meisten der Demonstranten sind weiblich, die Kundgebung steht unter dem Titel „Frauen für die Demokratie“. Es ist erst ein paar Tage her, dass die Gruppenvergewaltigung einer 16-Jährigen in einer Favela in Rio bekannt geworden ist. Und viele Frauen hier ziehen eine direkte Linie zwischen dem brasilianischen Machismo und der Suspendierung von Präsidentin Rousseffs vor einem Monat.

Und Rousseff weiß das. Sie ruft in die Menge: „Sie haben nicht zufällig die erste Frau im Präsidentenamt weggeputscht. Sie haben mich verurteilt, obwohl ich kein Verbrechen begangen habe.“ Als Rousseff von der Bühne geht, drängen Dutzende Frauen nach vorne, um ein Selfie mit ihr zu machen. Seit Wochen reist Rousseff durch Brasilien, hält Reden auf Plätzen, vor Gewerkschaftlern und in Landkooperativen. Ihre Botschaft ist immer dieselbe: Es hat einen Putsch gegen mich gegeben, aber ich werde dafür kämpfen, zurückzukehren. Ihre Zuhörer antworten dann: „Temer raus!“

Schon nach einem Monat gescheitert?

Michel Temer war sechs Jahre lang Rousseffs Vizepräsident. Dann intrigierte er mit führenden Mitgliedern seiner Partei der Demokratischen Bewegung (PMDB) gegen Rousseff. Sie initiierten das Amtsenthebungsverfahren gegen sie. Es befindet sich in seiner vorletzten Phase. Derzeit ist Rousseff nur suspendiert, der Senat hat noch 150 Tage Zeit, endgültig über ihre Absetzung wegen Haushaltstricks zu entscheiden. Dazu müssen zwei Drittel der 81 Senatoren mit Ja stimmen.

Nun, knapp zwei Monate vor dem Beginn der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro, führt Temer die Geschäfte im Präsidentenpalast. Kaum ein Brasilianer mag den wegen seines Aussehens oft als „Vampir“ verspotteten Temer. Aber viele Brasilianer erhofften sich vom Wechsel das Ende der schweren Wirtschaftskrise, die Rousseff durch verschiedene Fehlentscheidungen mit zu verantworten hat. Nach nur einem Monat im Amt werfen Beobachter Temer allerdings zahlreiche Fehler vor; viele halten ihn schon für gescheitert.

Nur weiße Männer

So versprach er eine Regierung für alle Brasilianer – und berief 23 ausschließlich weiße Männer in sein Kabinett. Temer schaffte eine Reihe von Ministerien ab – eine allgemein als sinnvoll und notwendig betrachtete Maßnahme. Darunter ist aber ausgerechnet das Ministerium für Frauen und ethnische Gleichstellung. Das Ministerium für Kultur musste Temer nach landesweiten Protesten wieder einführen. In seiner Antrittsrede versprach Temer, die Sozialprogramme nicht anzutasten. Aber schon wenige Tage später kündigte er an, sie gründlich zu überprüfen. Den geplanten Bau von zwei Millionen Sozialwohnungen legte er auf Eis. Man müsse sparen und den Haushalt sanieren. Zu diesem Zweck würde man auch Staatsunternehmen privatisieren. Temers Rezept, um die Wirtschaft anzukurbeln: die Beschränkung von Arbeitnehmerrechten. Ein Programm aus der neoliberalen Mottenkiste, sagen Kritiker.

Michel Temer hat als Interimspräsident viele Brasilianer enttäuscht.
Michel Temer hat als Interimspräsident viele Brasilianer enttäuscht.

© Andressa Anholete/AFP

Umgesetzt hat Temer es bisher nicht; zu viele andere Baustellen erforderten seine Aufmerksamkeit. Erst stürzte Temers Planungsminister Romero Jucá. Es gibt Aufzeichnungen, auf denen zu hören ist, wie er mit einem Industriellen verabredet, die Korruptionsermittlungen gegen ihn zu verhindern. Jucá ist wie Dutzende andere Politiker auch in den Schmiergeldskandal um den Erdölkonzern Petrobras verstrickt. Die Aufnahmen waren zwar schon einige Monate alt, doch was Jucá vorschlug, war politischer Sprengstoff: Ein Pakt zur Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff. Denn die Präsidentin ließe die Staatsanwälte einfach gewähren. Dilma müsse weg, so Jucá, um die „Blutung“ zu stoppen. Wenige Tage später war der nächste Minister dran. Wieder aufgrund eines heimlich aufgenommenen Gesprächs mit dem Industriellen. Diesmal traf es ausgerechnet den Minister für Transparenz, Fabiano Silveira. Zu hören ist, wie Silveira Senatspräsident Renan Calheiros Tipps gibt, wie dieser sich während der Petrobras-Ermittlungen am klügsten zu verhalten habe.

Ende der Korruptionsermittlungen

Die Mitschnitte machten klar, dass die Motivation vieler Politiker, die für das Absetzungsverfahren stimmten, nicht wie behauptet der Kampf gegen die Korruption war, sondern das Ende der Korruptionsermittlungen.
Sah es Anfangs so aus, als ob die Staatsanwälte nach der Suspendierung Rousseffs in ihrem Ermittlungseifer nachlassen würden, machten sie diese Woche wieder Schlagzeilen. Der Generalbundesanwalt beantragte Gefängnis für Romero Jucá, die Präsidenten von Senat und Abgeordnetenhaus sowie Expräsident José Sarney. Sie hätten versucht, die Justiz zu behindern.

Dies ist die begleitende Kakophonie zur Interimsregierung Temer. Andere Dinge fallen da gar nicht mehr richtig auf, etwa dass Temers siebenjähriger Sohn auf mysteriöse Weise bereits Inhaber von Immobilien für umgerechnet eine halbe Million Euro ist. Oder dass Temer von einem Gericht für acht Jahre von Wahlen ausgeschlossen worden ist. Grund: Unregelmäßigkeiten bei seiner Wahlkampffinanzierung. Rousseff zieht weiter durchs Land und verbreitet die These vom Putsch. Temer und seine Minister seien „Parasiten“, sagt sie. Es überrascht kaum, dass sie immer mehr Zuspruch erhält.

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