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Sergio Mattarella sitzt bei einer Beratung mit einigen Ministern zusammen.

© Paolo Giandotti/Italian Presidential Palace via REUTERS

Update

Neuwahlen in Italien: Draghis Rücktritt könnte einen Rechtsruck auslösen

Schon wieder stehen Wahlen in Italien an. Am rechten Rand laufen sich bereits die Krisenprofiteure warm. Allen voran Salvini von der Lega.

Die Neuwahl nach dem Rücktritt von Italiens Ministerpräsident Mario Draghi könnte eine Veränderung des politischen Klimas der drittgrößten Volkswirtschaft Europas nach sich ziehen. „Mitte-Rechts ist bereit, die Wahl am 25. September zu gewinnen“, erklärte Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega noch am späten Donnerstagabend.

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Tatsächlich stehen die Chancen nicht schlecht: Aktuelle Umfragen sehen die rechtsextremen Fratelli d'Italia mit Parteichefin Giorgia Meloni ganz vorne.

Mit der Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia könnten sie womöglich eine Regierungsmehrheit im Parlament bilden - und damit angesichts der wirtschaftlichen Krise und des Kriegs in der Ukraine einen gerade erst stabilisierten Pfeiler der EU erneut ins Wanken bringen.

Italiens Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi sieht keine Schuld seiner Partei an dem Rücktritt. „Wir haben keine Schuld daran, was passiert ist, keine“, sagte der Chef der konservativen Forza Italia im Interview der Zeitung „Corriere della Sera“.

Draghi war es laut Berlusconi leid

Draghi hätte aus seiner Sicht nicht zurücktreten müssen, denn Forza Italia habe bei einer Vertrauensabstimmung im Senat nicht gegen ihn gestimmt, sondern sich der Stimme enthalten Berlusconi gab an, Draghi einen Ausweg geboten zu haben.

„Wir haben ihm sogar noch am Donnerstagvormittag gesagt, dass wir bereit sind, in der Abgeordnetenkammer eine neue Debatte darüber zu eröffnen, was man weiter tun könnte“, sagte der 85-Jährige.

Der Ex-Chef der Europäischen Zentralbank sei jedoch unerschütterlich gewesen. „Und wissen Sie warum? Weil er es, sagen wir, leid war“, sagte Berlusconi. Er habe die Gelegenheit genutzt, um zu gehen.

Noch ist die Lage unübersichtlich, das Abstimmungsdebakel für den parteilosen Ministerpräsidenten Draghi im Senat am Mittwoch und der Sturz seines Kabinetts zu frisch für klare Prognosen. Selbst innerhalb der Koalitionsparteien, die Draghi im Parlament die Gefolgschaft versagten, zeigen sich Absetzungsbewegungen.

Antrittsdatum von neuem Ministerpräsidenten unklar

Die für Süditalien zuständige Ministerin Mara Carfagna etwa erklärte, sich von der konservativen Forza Italia distanzieren zu wollen. Ihr Parteifreund Renato Brunetta, Minister für die öffentliche Verwaltung, will die Partei des früheren Regierungschefs Berlusconi verlassen. Und auch im Parlament wechselten die ersten Abgeordneten aus Frust die Seiten.

Eigentlich hätten die nächsten Parlamentswahlen erst im Frühjahr 2023 angestanden, doch wie so oft in der Vergangenheit müssen die Italiener nun doch wieder vorzeitig an die Urnen. Draghis Regierung wird so lange im Amt bleiben, bis es einen neuen Ministerpräsidenten gibt.

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Doch wann das sein wird, ist unklar. Die Koalitionsverhandlungen könnten sich je nach Wahlausgang hinziehen. Experten zufolge könnte es möglicherweise erst im November eine neue Regierung geben.

Der nun faktisch eingeläutete Wahlkampf dürfte der noch amtierenden Regierung obendrein Schwierigkeiten bereiten, weitere Reformen durchs Parlament zu bringen. Und die sind dringend nötig: Italien braucht Lösungen im Kampf gegen die Inflation, die Energiekrise und die Auswirkungen der Dürre.

Auch die EU erwartet Fortschritte, bevor Rom weitere Milliarden aus den Brüsseler Fördertöpfen abzapfen kann.

Draghi genießt noch immer Respekt

„Ich glaube, Italien braucht Draghi noch“, sagte Außenminister Luigi Di Maio. Und damit dürfte er nicht nur vielen seiner 60 Millionen Landsleute aus der Seele sprechen. Auch im Ausland hat sich der vergleichsweise geräuschlos und effizient agierende Ministerpräsident großen Respekt erworben, wo Vorgängerregierungen eher ein eher chaotisches Bild abgaben.

Der frühere Chef der Europäischen Zentralbank brachte das hochverschuldete Land nach seinem Amtsantritt im Februar 2021 wieder in die Spur. So sicherte er Italien etwa den vorläufigen Zugriff auf EU-Hilfsgelder für den Wiederaufbau nach der Corona-Pandemie, woran die vorherige Koalition unter Giuseppe Conte noch gescheitert war.

Doch dieser Erfolg wäre nur eine Zwischenetappe, wenn keine weiteren Schritte folgen. Conte, damals noch parteilos, wurde später Chef der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung, die für die jetzige Regierungskrise maßgeblich verantwortlich gemacht wird.

Dass die Sterne Draghi bei einer Vertrauensabstimmung im Senat vergangene Woche hängen ließen, veranlasste den 74-jährigen Römer dazu, seinen Rücktritt einzureichen. Das lehnte Staatschef Sergio Mattarella zwar ab.

Doch spätestens am Mittwoch war das Maß dann voll: Gleich drei Regierungsparteien - die Fünf Sterne, die rechte Lega und die Forza Italia - verweigerten Draghi das Vertrauen, so dass er keinen anderen Weg mehr sah, als erneut zurückzutreten.

Diesmal gab auch Mattarella klein bei. Italiens Staatspräsident verfügte per Dekret die Auflösung der beiden Parlamentskammern. Auf die Menschen in Italien kommen nun mitten in der Ferienzeit unruhige Wahlkampfwochen zu. (dpa, Tsp)

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