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Politik: Drinnen im Lande

Von Caroline Fetscher

Wenn die politische Kaste bei uns vom Wählervolk spricht, oder auch zu ihm, hat jeder Flügel seine Gepflogenheiten. Sozialdemokraten wenden sich an die Bürger, inzwischen oft die Bürgerinnen und Bürger. Grüne reden mitunter salopp von „den Leuten“, Freidemokraten wechseln in dieser Frage ihre Terminologie munter ab, und Christdemokraten wenden sich mit Vorliebe an „die Menschen“. Bei Kanzler Kohl wurden daraus die sprichwörtlichen „Menschen draußen im Lande“. Es drängte sich das Bild einer Festung auf, von deren Zinnen aus man in die Landschaft blickt, wo in der Ferne der Bauer den Pflug zieht und am Horizont die Schlote rauchen. Solange all das passabel und rentabel läuft, lässt sich der Zinnenblick bequem beibehalten. Aber Angela Merkel, nun Kanzlerin in spe, wird es so nicht halten können.

Wohl selten zuvor haben sich die Wahlberechtigten so stark als „Menschen drinnen im Lande“ empfunden wie jetzt. Aus den Flitterwochen der Bevölkerung mit einer neuen Regierung können bald Flattermonate werden, eine Phase der Forderungen und der Empörungen, des Einklagens gegebener Versprechen. Von Angela Merkel möchte man Solidarität gepaart mit Visionen, Tatkraft in Tateinheit mit Großzügigkeit – übrigens nicht nur in den neuen Bundesländern, als deren Tochter Merkel betrachtet wird, sondern auch in NordrheinWestfalen oder Berlin, im Saarland und im Sauerland. Herz statt Hartz wollen die Menschen drinnen im Lande, die sich 1989 über Nacht um zwanzig Millionen vermehrt haben.

Doch eben darum, weil das Adoptieren von zwanzig Millionen Neuankömmlingen teuer ist und bleibt, weil die Relikte eines Planwirtschaftsstaates ihre volle Transformation zur Marktwirtschaft noch lange nicht vollends hinter sich haben, würde auf Merkel der Ärger so unweigerlich zukommen wie der Winter auf uns alle. Herz statt Hartz wird sich eine neue Regierung nicht leisten können, Ost hin, Frau her. Allenfalls kommt eine Reform der Reform, und diese dürfte noch mehr Abbau von Bürokratie einerseits, Sozialleistungen andererseits bedeuten. Aus disparaten Teilen besteht Deutschland, und wie bei der Globalisierung selbst treffen bei uns drastisch verschiedene Entwicklungsniveaus aufeinander. Nötig wären ja Reformen, die wirtschaftlich amerikanisch-liberal, bildungspolitisch aber eher schwedisch-sozialdemokratisch angelegt sein müssten: eine Art großer Koalition innerhalb einer Partei. Das Gezerre um diese Ziele wird dann auch innerparteilich stattfinden, wo sich eine Kanzlerin gegen eine Herrenriege behaupten muss.

Doch nehmen wir einmal an, bei der Union einigt man sich zumindest auf den wirtschaftlichen Teil der Chose. Innenpolitisch wird der Souverän dann erleben, dass eine neue Regierung, um die Kapitalflucht von Unternehmen, etwa in östliche EU-Länder, zu verhindern, weit davon entfernt, mit Geschenken an die Arbeitnehmer aufzuwarten, sich eher, à la Thatcher, zum Kampf gegen blockierende Gewerkschaften und deren teils überkommene Traditionen mit Verve in die Arena begibt.

Außenpolitisch aber käme in einer Post-Fischer-Ära die wohl größte Überraschung auf eine Bevölkerung zu, die ihren Konsens bei den vergangenen Wahlen in einer breiten Anti-Amerika-Front finden konnte. Dass Merkel damals im Weißen Haus als Freundin der Irakkrieger willkommen war, geriet etwas in Vergessenheit. Mit einer regierenden CDU kann diese Haltung, auch wenn sie zunächst moderat daherkommt, nicht im Versteck bleiben, vielmehr dürfte ihr volles Coming- out als bekennende USA- und Nato-Verbündete kaum lange auf sich warten lassen. Ausländischen Investoren, den „Heuschrecken“ aller Länder, wird eine neue, konservative Regierung die Tore weit öffnen müssen. Wenn sie von Zugeständnissen und Kompromissen sprechen wird, dann dort. Spitzt man die Ohren, hört man das Echo der empörten Ausverkauf-Rufe schon herüberschallen, schemenhaft sieht man schon die Transparente und die Protestmärsche vor sich. Ja, könnte eine Kanzlerin Merkel Ost und West auf ein Niveau bringen und doch versöhnen? Wer würde sich das nicht wünschen.

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