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Politik: Druck auf Verhandlungsparteien wächst - Opferanwälte wollen "endgültiges Angebot" vorlegen

Im Streit um die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern wächst der Druck auf die Verhandlungsparteien. Zugleich wird die Kritik an der Haltung der Bundesregierung und der deutschen Industrie immer lauter.

Im Streit um die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern wächst der Druck auf die Verhandlungsparteien. Zugleich wird die Kritik an der Haltung der Bundesregierung und der deutschen Industrie immer lauter. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in den Verhandlungen zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern "einseitige Parteinahme" zu Gunsten der Wirtschaft vorgeworfen. Die Organisation reagierte am Donnerstag "mit äußerstem Befremden" auf die jüngste Bekräftigung Schröders, die vorgesehene Summe werde nicht mehr aufgestockt.

Anwälte und Opferorganisationen wollen am Donnerstagnachmittag US-amerikanischer Zeit ein "endgültig letztes Angebot" vorlegen. Das sagte der deutsche Rechtsanwalt Michael Witti am Donnerstag auf dem Frankfurter Flughafen. Bundesregierung und Wirtschaft hatten sich wiederholt gegen ein Scheitern der Verhandlungen ausgesprochen, jedoch eine Aufstockung der Mittel von gegenwärtig acht Milliarden Mark abgelehnt. Schröder hatte am Vortag erneut betont: "Zu erhöhen ist der Betrag nicht." Die angebotenen Mittel erlaubten es, den Opfern unbürokratisch zu helfen.

Der Zentralrat hielt dem entgegen, dass "mindestens eine zweistellige Milliardensumme symbolisiert, welche Verantwortung die deutsche Industrie und die gesamt Bundesrepublik" gegenüber den Opfern trage. "Sollten die Verhandlungen scheitern, weil die deutsche Seite unbeweglich ist, noch mehr Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben, in die Stiftung einzubinden, so trägt ausschließlich sie die Verantwortung dafür", heißt es in der Erklärung. Es sei unfasslich, dass sich von über 2500 Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, bis heute lediglich 60 am Fonds beteiligten.

Der Beauftragte der Bundesregierung, Otto Graf Lambsdorff, erklärte am Donnerstag im "DeutschlandRadio", er werde in der kommenden Woche nicht in die USA reisen, wenn bis dahin keine verhandlungsfähige Reaktion auf das deutsche Angebot von acht Milliarden Mark vorliege. Lambsdorff appellierte an die US-Regierung, auf die Anwälte der Kläger Einfluss zu nehmen. Die Entschädigungssumme, die von ihnen genannt werde, sei nach wie vor unrealistisch. Wenn sie nicht innerhalb kürzester Zeit eine Forderung vorlegten, die "wenigstens diskussionswürdig" sei, drohe die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft auseinander zu brechen, warnte der FDP-Politiker.

Der Sprecher der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, Wolfgang Gibowski, erklärte in Radio Eins, er betrachte die Verhandlungen nicht als gescheitert. Eventuelle Klagen fürchte die deutsche Wirtschaft nicht. Sie hätten keine großen Chancen.

Unterdessen kritisierten erneut Vertreter der Juden und Politiker das Verhalten der Wirtschaft. In der "Bild"-Zeitung nannte die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde München und Kandidatin für das Amt der Präsidentin des Zentralrats, Charlotte Knobloch, die Zurückhaltung deutscher Unternehmen "unverantwortlich schändlich". Nicht einmal zwei Prozent der Betriebe, die Zwangsarbeiter beschäftigt hätten, seien bislang zu Zahlungen bereit. Wenn nicht bald eine würdige Einigung gefunden werde, "sterben die meisten Menschen, ohne je einen Pfennig für ihre Sklavenarbeit erhalten zu haben".

Im Inforadio Berlin-Brandenburg warnte die designierte Leiterin des Berliner Büros des American Jewish Committee, Deidre Berger, vor einem Scheitern und dem daraus erwachsenden Schaden für das Ansehen Deutschlands. Die Öffentlichkeit und die Politiker in den USA verfolgten die Entwicklung mit großem Interesse.

Der rechtspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Volker Beck, sprach von einem "moralischen Armutszeugnis" der Industrie und plädierte angesichts des "gereizten Klimas" für eine Vertagung der Verhandlungen bis Januar. Für eine Aufstockung der Entschädigungssumme gebe es nicht mehr viel Spielraum. Die Anwälte der früheren Zwangsarbeiter sollten deshalb "nicht zu hoch pokern", um die "Solidarlösung" von Industrie und Bund nicht zu gefährden, erklärte Beck.

Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel erklärte gegenüber der Berliner "Tageszeitung", falls es nicht zu einer Einigung komme, entstehe für die deutsche Seite ein "schwerer Schaden". Dies gelte für die mitmenschliche Solidarität ebenso wie für diejenigen, "die nur ökonomisch denken", betonte Vogel, der auch die Stiftung "Gegen Vergessen - Für Demokratie" leitet. Gleichzeitig bekräftigte er die Forderung der Opferverbände nach einer Erhöhung der Entschädigungssumme auf zehn Milliarden Mark. Dieser Betrag erscheine ihm "Erfolg versprechend" für eine Einigung.

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