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Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) spricht in der Johanniskirche bei der Gedenkveranstaltung für Betroffene und Hinterbliebene ein Jahr nach dem Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt.

© dpa/Hendrik Schmidt

Ein Jahr nach dem Anschlag von Magdeburg: „Auch Wut und Zorn dürfen sein im Auge von grausamen Verbrechen“

Vor einem Jahr fuhr ein 50-Jähriger aus Saudi-Arabien mit einem Auto durch eine Menschenmenge in Sachsen-Anhalt. Sechs Menschen starben, mehr als 300 wurden verletzt. Heute wird an sie erinnert.

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Beim Gedenken zum ersten Jahrestag des Anschlags auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) den Betroffenen seine Anteilnahme ausgesprochen. „Viele von Ihnen sitzen heute hier mit einem Schmerz im Herzen, der mit Worten nicht zu beschreiben ist“, sagte er am Samstagabend bei einer Gedenkstunde in der Magdeburger Johanniskirche.

Bei der Amokfahrt am 20. Dezember 2024 starben sechs Menschen, über 300 wurden teils schwer verletzt. Der Todesfahrer steht seit Mitte November vor Gericht.

„Ich möchte hoffen, dass für uns alle Trost und Kraft darin liegen, heute gemeinsam zu erinnern und gemeinsam zu trauern, für die Opfer dieser Schreckenstat da zu sein“, so Merz. „Aber auch Wut und Zorn mit ihnen miteinander auszuhalten. Auch Wut und Zorn dürfen sein im Auge von grausamen Verbrechen, wie dieses eines war.“

Zugleich betonte er, Gewalt dürfe nicht das letzte Wort behalten: „Wir sind ein Land, das nichts höher stellt als den Menschen, jeden einzelnen, jedes Leben.“

Brauchen Trost und Zuspruch

Merz erklärte: „Wir brauchen in dieser Welt immer wieder Zuspruch, Trost und Zuspruch. Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. So heißt es in der Bibel. Ich wünsche Ihnen und uns allen, dass jede und jeder für sich persönlich Quellen des Trostes findet.“

Er dankte allen Helfern, die Übermenschliches geleistet hätten, und wünschte sich, dass Deutschland weiter ein Land sei, „in dem wir uns bedingungslos Anteilnahme schenken, insbesondere dort, wo Unrecht geschieht, in dem wir zusammenstehen, wo Gewalt entbricht, in dem wir beharrlich und stetig denen beistehen, die Gewalt erfahren müssen“.

Während der Gedenkstunde wurden einzeln die Namen der sechs Opfer verlesen, begleitet von jeweils einem Glockenschlag. Zudem wurde für jeden eine Kerze entzündet sowie eine siebte Kerze, die symbolisch für alle Betroffenen stehen soll. Opfer, Hinterbliebene und Helfer schilderten eindrücklich und bewegt ihre Erlebnisse aus der Tatnacht.

Vor der Kirche hatten zahlreiche Menschen Kerzen aufgestellt, Blumen und Kuscheltiere abgelegt sowie bemalte Erinnerungssteine für die Verstorbenen.

Kerzen und Blumen umgeben eine Gedenkplatte im Gehweg, die an ein Opfer des Anschlags auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt erinnert.

© dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Haseloff zum Anschlag: Wir dürfen nicht Verletzte bleiben

Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat die Menschen darin bestärkt, sich nicht dauerhaft von den Geschehnissen einschränken zu lassen. „Wir haben Verletzlichkeit erfahren, aber wir dürfen nicht Verletzte bleiben. Darum ist es ein wichtiges Zeichen, dass der Weihnachtsmarkt in Magdeburg nur wenige Meter von hier auch in diesem Jahr stattfindet“, sagte Haseloff vor mehreren Hundert Betroffenen.

„Wir kapitulieren nicht vor dem Terror, wir leben unser Leben und unsere Traditionen.“ Für den Tag des Gedenkens blieb der Markt geschlossen.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) bestärkte die Menschen, sich nicht einschränken zu lassen.

© REUTERS/Christian Mang

Die Tat habe die Stadt und das Land verändert, so der Ministerpräsident. „Die Wunden sind bis heute nicht verheilt, der Schrecken ist noch allgegenwärtig.“

Er erinnerte an die große Welle der Solidarität nach dem Anschlag und dankte den zahlreichen freiwilligen Helfern sowie den Rettungskräften. „Unser Miteinander beruht auf gegenseitigem Vertrauen, der Achtung vor der unantastbaren Menschenwürde und der Nächstenliebe.“

Attentäter würden mit aller Härte des Gesetzes zur Verantwortung gezogen, „aber wir dürfen unsere Freiheit und Würde nicht preisgeben, indem wir Hass in unseren Herzen Raum geben“.

Am Vormittag kamen bei einem Gottesdienst in der Magdeburger Johanniskirche auch ein Notfallseelsorger, ein Arzt und eine Betroffene zu Wort. Sie hoben den Zusammenhalt und die große Hilfsbereitschaft an dem Anschlagsabend hervor. 

„Die Schreie sind bis heute in den Köpfen“

Am Vormittag kamen bei einem Gottesdienst in der Magdeburger Johanniskirche auch ein Notfallseelsorger, ein Arzt und eine Betroffene zu Wort. Sie hoben den Zusammenhalt und die große Hilfsbereitschaft an dem Anschlagsabend hervor. 

Die Betroffene sagte: „Eins hat es uns gezeigt: Wir sind füreinander da, wir halten zusammen und stehen für uns ein. Wir lassen uns trotz der schrecklichen Tat unsere Weihnachten nicht nehmen.“ 

Mit einem ökumenischen Gedenkgottesdienst in der Johanniskirche in Magdeburg wurde der Opfer des Anschlags auf dem Weihnachtsmarkt gedacht.

© dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Innerhalb einer Minute und vier Sekunden habe sich alles geändert. Gerade noch hätten bunte Lichter, Karusselle, leuchtende Kinderaugen, Sorglosigkeit und Düfte von Glühwein und Gebäcken das friedliche Bild bestimmt. Dann wurden durch das Täterfahrzeug Menschen herumgeschleudert, ein Chaos brach aus. „Die Schreie sind bis heute in den Köpfen“, sagte die Betroffene. 

Nach einem Jahr merken wir, dass die Finsternis immer noch da ist.

Gerhard Feige, katholischer Bischof

Die Stadt habe das Glück gehabt, dass viele Menschen vor Ort gewesen seien, die nicht gezögert hätten, zu helfen: Passanten, Feuerwehrleute, Krankenschwestern, Pflegekräfte und Ärzte. „Mein persönlicher Dank geht an alle Retter.“

Der katholische Bischof Gerhard Feige sagte: „Nach einem Jahr merken wir, dass die Finsternis immer noch da ist: Da sind Lücken, die der Verlust eines Menschen in Familien und Freundeskreise gerissen hat und sich nicht einfach wieder schließen.“ Feige weiter: „Das Leben ist ein anderes, es ist ein Stück dunkler geworden.“

Zugleich betonte er unter Verweis auf die Bibel, dass die Dunkelheit aber nie das Licht ganz erfassen könne.

Bischof Gerhard Feige hält beim Gedenkgottesdienst für die Opfer des Anschlages auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt die Predigt in der Johanniskirche.

© dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Feige appellierte an die rund 250 Anwesenden, darunter Landesinnenministerin Tamara Zieschang (CDU), die Hoffnung auf ein würdevolles und menschenfreundliches Miteinander zum Wohle aller und des Gemeinwohls nicht aufzugeben.

Er dankte allen, die am Abend der Amokfahrt den Opfern ohne Ansehen der Person halfen. Sie hätten dadurch „die Finsternis nach dieser menschenverachtenden Tat durchbrochen und ein Licht angezündet“.

Aufarbeitung läuft vor Gericht in Magdeburg und im Landtag

Auch beim Auswärtsspiel in der 2. Fußball-Bundesliga des 1. FC Magdeburg beim 1. FC Kaiserslautern wurde der Opfer des Anschlags gedacht. Magdeburger Fans hielten große Transparente in die Höhe.

Mitgereiste Fußballfans des 1. FC Magdeburg hielten beim Spiel in Kaiserslautern große Banner in die Höhe.

© Imago/Eibner-Pressefoto/Alexander Neis

Am 20. Dezember 2024 war ein 50-Jähriger aus Saudi-Arabien mit einem Mietwagen mit bis zu 48 Kilometern pro Stunde durch die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt gefahren.

Ein neunjähriger Junge sowie fünf Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren kamen ums Leben. Mehr als 300 weitere Menschen wurden verletzt. Derzeit wird der Strafprozess gegen den Todesfahrer am Landgericht Magdeburg geführt. Der Mann hat die Tat gestanden.

Der Todesfahrer hatte im vergangenen Jahr eine breite Lücke zwischen Absperrungen genutzt, um auf den Weihnachtsmarkt zu fahren. Für dieses Jahr wurden die Sicherheitsvorkehrungen deutlich verstärkt. Nach Diskussionen entschied sich die Stadt, den Weihnachtsmarkt wieder am selben Ort stattfinden zu lassen.

Zur Aufarbeitung des Geschehens hat der Landtag einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der sich unter anderem mit Genehmigungen und Zuständigkeiten befasst hat.

Thema ist auch der Lebenslauf des Täters, der sich selbst als Aktivisten für die Rechte saudischer Frauen sieht und vielfach in Konflikt mit Behörden geriet. Bis zum Anschlag arbeitete er als Psychiater im Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter in Bernburg. (dpa, KNA)

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