"Und erlöse uns von allen Üblen" #15: Ein Leibwächter kommt ins Schwitzen
Ein Mörder hat den rechtsnationalen Parteichef Freypen erschossen. Die Polizei ermittelt. Ein Fortsetzungsroman, Teil 15.
Was bisher passierte: Der rechtsnationale Parteichef Joachim Freypen ist erschossen worden. Sein Leibwächter schafft ein paar Unterlagen zur Seite.
In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 15 vom 30. Juni.
"Der Mörder muss von da drüben geschossen haben", mischt sich Mulder gerade ungefragt in die Untersuchung ein, "ich werde meine Jungs mal losschicken, sich umzusehen." Er zeigt auf das gegenüberliegende ehemalige Hochhaus. Einige Fenster da oben sind erleuchtet, andere wie das von Andrea Hofwieser dunkel und natürlich kann er nicht sehen, dass sie dahinter steht und gerade herüberstarrt.
"Überlassen Sie das mal lieber der Polizei, Herr Mulder", erwidert Krucht kühl und spricht wieder in sein Tonbandgerät: "Gewehrkugel, Kaliber muss festgestellt werden, aus der hinteren Bürowand geholt. Vergleich mit Kugel im Kopf. Siehe Tatortfotos für genaue Bestimmung." Drückt auf den AUS-Knopf, als Mulder erneut ansetzen will und wendet sich dem Mann zu: "Ihre Leute bleiben solange hier, bis wir sie nicht mehr brauchen."
"Ich bin Polizist, hören Sie ..."
"Nein, Sie hören zu, Sie waren ein Polizist, bevor Sie sich was anderes", und Krucht macht, während er das Wörtchen waren betont, eine abfällige Handbewegung, die den Raum und den Toten umfasst und vielleicht auch die ganze rechte Partei der Nationalen Alternative, "bevor Sie sich was anderes gesucht haben. Etwas ganz anderes. Apropos, wo waren Sie eigentlich, als der Mord geschah?"
"Was wollen Sie damit sagen, Sie, Sie ..." Mulder wird rot im Gesicht und geht einen Schritt auf Krucht zu. Der bleibt ganz ruhig stehen, lässt nur seine Hände sinken, legt seinen Digitalrecorder auf den Rand des Schreibtischs. Na los, los doch, denkt er, und Mulder, als könne er plötzlich Gedanken lesen, ahnt im selben Augenblick, worauf der Mann vor ihm wartet. Er zögert, atmet tief durch und gibt dann ebenso unvermittelt auf: "Fragen Sie doch meine Leute, wo ich war."
Und schwört sich, es bei passender Gelegenheit dem Kerl heimzuzahlen. Der wirkt irgendwie enttäuscht, als hätte er sich auf einen Angriff gefreut. Dann wendet sich Krucht an einen der Beamten: "Dass ihr mir jeden Zentimeter untersucht, hört ihr, jeden Zentimeter. In ein paar Stunden werden die vom BKA da sein, und die sehen in uns sowieso eine Laienspielschar, die nur Fehler macht." Was wiederum er von denen hält, sagt er nicht, aber man kann es sich vorstellen. Wann haben die Superbullen vom Staatsschutz in Meckenheim oder in Wiesbaden eigentlich zum letzten Mal einen Terroristen live von Angesicht zu Angesicht gesehen und nicht nur auf ihren Fahndungsplakaten oder im Netz?
Auf der anderen Straßenseite steht Andrea Hofwieser immer noch mit dem Handy am Fenster. "Jetzt kommen gerade zwei Männer rein, die tragen ...warte mal, die tragen eine Bahre. Das könnte auch noch ein gutes Foto werden. Warte." Sie unterbricht das Gespräch und macht schnell zwei weitere Aufnahmen, dann redet sie weiter: "Ich beschreibe einfach, was sich da tut."
Vor dem Büro Freypens haben die Tatortreiniger und ihre Kollegen mit einer Bahre gewartet. Krucht gibt ihnen mit einer Handbewegung zu verstehen, stehenzubleiben. Schaut sich noch einmal im ganzen Raum um und spricht in sein Gerät: "Abtransport der Leiche um 21.59 Uhr." Erst danach heben die Männer in der weißen Kleidung langsam und sorgfältig den Toten von seinem Stuhl, legen ihn vorsichtig in den Plastiksack auf der Bahre. Freypens Augen stehen offen. "Darf ich?", fragt einer der beiden und geht mit seiner Hand in Richtung Gesicht des Toten. Krucht nickt. Der Mann drückt Freypens Augen zu. Sie schließen den Reißverschluss, der Tote ist jetzt nur noch ein Schatten seiner selbst. Dann tragen sie ihn raus Richtung Lift.
Als sie an den Sicherheitsleuten im Vorzimmer vorbeikommen, nehmen die Haltung an. Fehlt nur noch, dass sie die Hand grüßend aufs Herz legen, denkt Krucht und die Nationalhymne singen. Oder was man sonst in solchen Fällen bei denen singt.
"Herr Mulder", fragt er betont höflich, "hat es in letzter Zeit Morddrohungen gegen Joachim Freypen gegeben?"
"Nicht mehr als sonst auch, er hatte viele Feinde, wie Sie sich vorstellen können."
"Etwas Konkretes?"
"Nein, nur die allgemeinen anonymen Dinger. Dass man ihn umlegen werde, weil er ein Nazi sei, weil er Antisemit sei, weil er ein Ausländerfeind sei, in der Richtung. Wahrscheinlich von diesen Scheißlinken, diesen diesen ..."
Krucht winkt gelangweilt ab: "Ich meinte konkrete Hinweise. Gibt es Schriftliches? Briefe oder so etwas?"
"Nein, nur diese anonymen Mails. Meist Drohungen aber auch telefonisch, wir stehen im Telefonbuch. Wir haben ja nichts zu verbergen." Da bin ich nicht so sicher, denkt sich Krucht, gar nicht so sicher, aber das gehört wohl in eine andere Abteilung. Fragt weiter: "Haben Sie eigentlich die Familie informiert? Die Frau? Bevor die es aus den Nachrichten erfährt ..." Er lässt den Satz offen und geht zur Tür: "Oder sollen wir das übernehmen?"
Mulder bemüht sich ebenfalls um eine sachliche Antwort und unterdrückt seine Wut auf diesen blonden Riesen, der immer so aussieht, als könne er ihn durchschauen und gar nicht erst einen Versuch macht zu verbergen, was er von der Partei hält: "Frau Freypen ist im Ferienhaus der Familie an der türkischen Riviera. Handy abgeschaltet. Festnetz gestört. Wir haben sie noch nicht erreicht. Hoffentlich sieht sie es nicht im Internet, bevor ..." Bis zu diesem Moment war ihm noch nicht einmal der Gedanke gekommen, sie zu benachrichtigen. Verdammte Scheiße, wenn die es wirklich aus dem Fernsehen erfährt oder von SPIEGEL Online. Er hat es plötzlich eilig, sogar sehr eilig.
"So, so, in der Türkei. Freypen hatte ein Ferienhaus in der Türkei", sagt Krucht nachdenklich. Wenn das der Führer wüsste. Aber das sagt er natürlich nicht laut, das denkt er nur. Wieder scheint Mulder seine Gedanken zu erraten: "Hätten Sie wohl nicht gedacht, Herr Kommissar, passt wohl nicht so recht in Ihr Weltbild?" Wartet aber eine Antwort nicht ab und geht schnell durch den Vorraum in sein Zimmer, wo er zum Telefonhörer greift und eine Nummer wählt. Mit langer Vorwahl. Eine Nummer in der Türkei. Belegt. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn.
Und morgen lesen Sie: Der Mörder kommt ins Grübeln.
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