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Intime Beziehungen am Arbeitsplatz: Eine Meldepflicht für Paare ist ein Ausdruck von Doppelmoral
Der Springer-Konzern fordert nach dem Reichelt-Fall eine Transparenzklausel, um „doppelte Standards“ zu beseitigen. Bewirkt wird das Gegenteil. Ein Kommentar.

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Früher als andere Medienhäuser entschied sich der Springer-Konzern, seine Geschäfte konsequent an der Digitalisierung auszurichten. Ein ähnlicher Schritt soll jetzt in kultureller Hinsicht gelingen. Vorstandschef Mathias Döpfner strebt eine Betriebsvereinbarung an, derzufolge Liebesbeziehungen in einer Hierarchie offen zu legen sind. Das Management folgt damit Beispielen aus den USA; eine ethische Internationalisierung. „Wir können keine doppelten Standards akzeptieren“, sagt der Chef. Wer nicht mitmacht, fliegt raus.
Springer reagiert damit auf die Affäre um den früheren „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt. Man hatte ihm vorgeworfen, Privates und Berufliches vermengt und die Unwahrheit gesagt zu haben. Den Anlass bildeten verschiedene Intimbeziehungen, die der Journalist mit ihm dienstlich unterstellten Journalistinnen eingegangen war. Künftig wäre so etwas der Paradefall für eine Meldepflicht. Ein Betrieb kann dann Mitarbeitende versetzen oder Strukturen verändern. Entlassen kann er sie nicht. Liebe und Sexualität gehören zum Schutzbereich des Grundrechts, die eigene Persönlichkeit zu entfalten. Eine Beziehung, die am Arbeitsplatz niemanden stört und nichts beeinträchtigt, kann niemand verbieten.
Der US-Handelsriese Walmart regulierte Feierabendkontakte
Das zumindest wird aus einem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf gefolgert, der an diesem Sonntag auf den Tag genau vor 16 Jahren erging (Az.: 10 TaBV 46/05). Er betraf den US-Handelskonzern Walmart, der seine deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an seine Ethikrichtlinien binden wollte. Diese untersagten private Kontakte zwischen Führungskräften und Untergebenen, sogar am Feierabend.
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Ob eine bloße Meldepflicht vor Gericht Bestand hätte, ist offen. Ein darin liegender Grundrechtseingriff könnte damit gerechtfertigt werden, dass die Maßnahme einem Missstand vorbeugen soll, wie er in Reichelts Verhalten offenkundig wurde. In 16 Jahren ist viel passiert. Die Verfehlungen des Ex-„Bild“-Chefs wären damals wohl noch auf einer anderen moralischen Folie verhandelt worden. Sie bildet sich im Düsseldorfer Beschluss ab, wenn es dort heißt, die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen sei „letztlich eine Privatangelegenheit der beteiligten Personen“. Das würden heute manche, vielleicht auch viele bestreiten. Heute werden journalistische Investigativteams darauf angesetzt, derartigen Verbindungen nachzuspüren.
Doppelte Standards sind eine Existenzgrundlage einer moralischen Gesellschaft
Die doppelten Standards, die Springer nicht akzeptieren will, zählen zu den Existenzgrundlagen einer moralischen Gesellschaft. Man nehme nur Doppelstandards beim Reden und Handeln. So können die Enthüllungen um Reichelt als öffentliche Mahnung dienen, während vieltausendfache ähnliche Fälle auf ewig unrecherchiert und unskandalisiert bleiben. Doppelmoral war nie Privatsache, sie ist eine öffentliche Angelegenheit. Meldepflichten, wie Springer sie plant, beseitigen sie nicht, sondern sind ein Ausdruck davon.
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