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Ein Demonstrant steht auf einem brennenden Polizeiauto in Atlanta. =

© Elijah Nouvelage/AFP

Proteste nach Tod von George Floyd: „Eine unglaublich gefährliche Situation“

Autos brennen, Läden werden geplündert, Menschen sterben: In mehr als 30 US-Städten bricht Chaos aus. Minnesotas Gouverneur warnt vor Anarchie.

Die Ausgangssperre hat nichts genutzt. Den vierten Abend in Folge ziehen hunderte Demonstranten am Freitag in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota auf die Straße. Sie tragen Schilder bei sich, auf denen „Schießt nicht“, „Bin ich der nächste?“ oder „Ohne Gerechtigkeit kein Frieden“ steht, sie brüllen ihren Zorn und ihre Angst heraus – und den Namen des Mannes, dessen Tod sie auf die Straße getrieben hat: George Floyd, der 46-jährige Afroamerikaner, der Anfang der Woche nach einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis gestorben war.

Die Proteste bleiben nicht nur friedlich, in der Nacht ziehen wieder Rauchschwaden über die Stadt am Mississippi, mehrere Autos gehen in Flammen auf, einmal mehr werden Geschäfte geplündert.

Obwohl der Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, am Freitag die Nationalgarde entsandt und ab 20 Uhr eine Ausgangssperre verhängt hat, ist von Soldaten oder Polizisten nach Angaben des US-Senders CNN wenig zu sehen. Doch das könnte sich nun ändern.

„Eine unglaublich gefährliche Situation“

Bei einer Pressekonferenz am Samstagmorgen spricht Gouverneur Walz von einer „unglaublich gefährlichen Situation“, von „Anarchie“, und er gibt zu, die Lage unterschätzt zu haben. „Hier geht es nicht um Georges Tod. Hier geht es nicht um Ungleichheiten, die real waren. Hier geht es um Chaos, das verursacht wird“, sagt er und kündigt an, dass bis Sonntag 1700 Soldaten der Nationalgarde einsatzbereit sein sollen.

Hoffnungen, dass die Unruhen mit der Festnahme eines der vier mutmaßlich am Tod von Floyd beteiligten Polizisten abebben, haben sich erstmal nicht erfüllt. Der Polizist, der wegen Mordes angeklagt werden soll, hatte sein Knie minutenlang an den Hals des Afroamerikaners gedrückt, obwohl der mehrfach um Hilfe flehte und dann das Bewusstsein verlor.

Die Szene und Floyds Ausrufe „Ich kann nicht atmen“, die zum Motto der Demonstrationen geworden sind, hat eine Passantin auf einem Handyvideo festgehalten, das die Behörden nun als Beweismittel verwenden. Der 46-Jährige starb kurz darauf in einem Krankenhaus.

Proteste in mehr als 30 Städten

Die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt sind aber längst nicht mehr nur auf Minneapolis beschränkt. Landesweit kommt es in der Nacht zu Samstag in mehr als 30 Städten zu teils gewalttätigen Protesten, bei denen mindestens zwei Menschen ums Leben kommen.

In Detroit stirbt ein 19-jähriger Demonstrant durch Schüsse aus einem fahrenden Fahrzeug, wie die Zeitung „Boston Globe“ unter Berufung auf die dortige Polizei berichtet. Nach Angaben von CNN wird im kalifornischen Oakland ein Polizist erschossen, ein weiterer schwer verletzt. Dort hatten nach Polizeiangaben rund 7500 Menschen demonstriert.

Demonstranten vor dem Gebäude des Senders CNN mit einer US-Flagge auf die der Satz "Stop killing black people" (Hört auf, schwarze Menschen zu töten) geschrieben wurde.
Demonstranten vor dem Gebäude des Senders CNN mit einer US-Flagge auf die der Satz "Stop killing black people" (Hört auf, schwarze Menschen zu töten) geschrieben wurde.

© John Arthur Brown/ZUMA Wire/dp

In Atlanta greifen Demonstranten unter anderem das CNN-Hauptquartier an. Polizisten werden attackiert, Fensterscheiben eingeschmissen und Fahrzeuge angezündet. Für Atlanta und weitere Städte im Bundesstaat Georgia gilt inzwischen der Ausnahmezustand. Rund 500 Mitglieder der Nationalgarde von Georgia sollen eingesetzt werden, um Menschen und Eigentum zu schützen, erklärt der Gouverneur von Georgia, Brian Kemp.

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In einer emotionalen Ansprache wendet sich die Bürgermeisterin von Atlanta, Keisha Bottoms, noch am Abend an die Demonstranten. „Wenn euch diese Stadt am Herzen liegt, geht nach Hause“, sagt die Afroamerikanerin. „Ihr bringt Schande über diese Stadt. Ihr bringt Schande über das Leben von George Floyd und jeden anderen, der in diesem Land getötet wurde. Wir sind besser als das.“ Dies sei auch nicht das Erbe der Bürgerrechtsbewegung in Amerika, sondern Chaos. Gewalttätige Proteste würden an den Verhältnissen nichts ändern. „Wenn ihr diese Stadt abfackelt, fackelt ihr eure Nachbarschaft ab.“

Demos auch vor dem Weißen Haus

Auch in der Hauptstadt Washington, in der rund die Hälfte der Einwohner Afroamerikaner sind, ist in sozialen Netzwerken zu Demonstrationen aufgerufen worden. Gegen 17 Uhr (Ortszeit) versammeln sich Hunderte rund um die U Street, ein Viertel, das als Zentrum der afroamerikanischen Geschichte und Kultur gilt, und ziehen dann in Richtung Weißes Haus, in dem sich zu diesem Zeitpunkt wohl auch Präsident Donald Trump befindet. Immer wieder rufen sie „Ich kann nicht atmen“ und „Keine weiteren Namen mehr“.

Proteste gab es auch vor dem Weißen Haus In der Hauptstadt Washington.
Proteste gab es auch vor dem Weißen Haus In der Hauptstadt Washington.

© Tom Brenner/REUTERS

Reporter müssen im West Wing ausharren

Unter den vorwiegend jungen Demonstranten sind auch einige Nicht- Schwarze. Stundenlang verlaufen die Proteste weitgehend friedlich, auch wenn immer mal wieder Plastikflaschen in Richtung der aufgereihten Einsatzkräfte vor Trumps Amtssitz geworfen werden.

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Vorübergehend wird es Angestellten des Weißen Hauses untersagt, das Gelände zu verlassen. Auch rund ein Dutzend Medienvertreter, die zu dieser Zeit ebenfalls dort sind, berichten auf Twitter, dass sie von Secret-Service-Beamten aufgefordert wurden, im West Wing zu bleiben, bis sich die Lage entspannt. Als die Demonstranten in Richtung Kapitol weiterziehen, wird der Lockdown aufgehoben.

Stunden später kehren viele der Demonstranten zum Lafayette Square Park vor dem Weißen Haus zurück. Als sie gegen 3.30 Uhr am frühen Morgen versuchen, Teile der weiträumigen Absperrungen um das Weiße Haus einzureißen, kommt es kurzzeitig zu Gerangel mit den Sicherheitskräften. Nach Angaben der „Washington Post“ setzen die Beamten vereinzelt Tränengas ein, nachdem sie die Demonstranten aufgefordert haben, sich zurückzuziehen. Als sie mit ihren Schutzschilden vorrücken, zerstreut sich der Protest. Es wird nicht die letzte unruhige Nacht gewesen sein.

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