EU-Gipfel: Einigung auf "Berliner Erklärung"
Die europäische Verfassungsdebatte erhält nach fast zweijährigem Stillstand neuen Schwung. Auf dem Gipfel am Wochenende soll Europa auf "erneuerte gemeinsame Grundlagen" gestellt werden.
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Berlin - Die Europäische Union will sich in ihrer "Berliner Erklärung" am Sonntag dazu verpflichten, ihre derzeitige Verfassungskrise zu überwinden. Die EU strebt der Erklärung zufolge eine "erneuerte gemeinsame Grundlage" bis zu den Europa-Wahlen im Sommer 2009 an, wie aus Kreisen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft verlautete. Das Wort Verfassung wird in dem Text, den die Teilnehmer des informellen EU-Gipfels am Wochenende in Berlin verabschieden wollen, vermieden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach sich in einem Interview für den Aufbau einer europäischen Armee aus.
Skepsis in Tschechien
Mit der geplanten Erklärung für das informelle Gipfeltreffen am Wochenende konnte sich die Bundeskanzlerin, die sich seit langem für den Zeitrahmen bis 2009 eingesetzt hatte, unter anderem gegen tschechische Bedenken durchsetzen. Der tschechische Regierungschef Mirek Topolanek hatte sich noch am Donnerstagabend dagegen ausgesprochen, einen genauen Zeitrahmen für die Reformen der EU zu nennen.
Merkel habe am Freitagmorgen mit Topolanek sowie mit dem tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus gesprochen, hieß es in Berlin weiter. Tschechien übernimmt im ersten Halbjahr 2009 die EU-Ratspräsidentschaft. Das Land müsste dann die womöglich schwierige Endphase der Ratifikation der Reformen als EU-Ratspräsidentschaft steuern.
Prodi für Schaffung eines institutionellen Rahmens Der frühere Präsident der EU-Kommission, Italiens Regierungschef Romano Prodi, sagte vor dem italienischen Senat, es sei "undenkbar", die nächsten Europawahlen abzuhalten, "ohne zuvor einen klaren und funktionsfähigen institutionellen Rahmen geschaffen zu haben". Die "Trauerzeit" und die selbstverordnete Denkpause der EU sei nun vorbei.
Die angestrebte europäische Verfassung, mit der sich die EU grundlegend reformieren wollte, liegt seit dem Nein der Franzosen und Niederländer vor knapp zwei Jahren auf Eis. Derzeit sucht die EU nach einem Ausweg aus der schwierigen Lage.
Heikle Textpassage zu Erweiterung
Vermieden wird in der Berliner Erklärung auch das Wort Erweiterung, wie es in den Präsidentschaftskreisen weiter hieß. In dem Text finde sich nur der Hinweis darauf, dass die "Union weiter offen" sei. Es handele sich um eine heikle Textpassage. Die Mitgliedstaaten hätten hier sehr unterschiedliche Haltungen.
Das Thema ist ein traditioneller Konflikt in der EU: Während einige Länder wie Großbritannien oder Polen sich für die rasche Aufnahme weiterer Staaten in die Union stark machen, sehen andere - unter anderen Deutschland und Frankreich - vorerst die Grenzen der Aufnahmefähigkeit erreicht und wollen zunächst das Gewicht auf innere Reformen legen.
Handlungsfähige EU-Außenpolitik
Im Gespräch mit der "Bild"-Zeitung sprach sich die Bundeskanzlerin für eine europäische Armee und für klarere EU-Strukturen aus. "Wir müssen einer gemeinsamen europäischen Armee näher kommen", sagte Merkel. Die EU-Kommission müsse "handlungsfähiger werden, und zwar mit klar geregelten Zuständigkeiten".
Regierungssprecher Ulrich Wilhelm betonte, dass dies nichts mit dem Text der "Berliner Erklärung" zu tun habe. Die Kanzlerin habe nur dargelegt, dass sie bezüglich einer europäischen Armee Handlungsbedarf sehe, "aber natürlich über einen längeren Zeitraum". Über das Thema müssten "sicher noch viele Diskussionen" geführt werden. Merkel habe sich nicht "auf den Tag hin" geäußert.
In der "Berliner Erklärung" zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge will Merkel die gemeinsamen Wertvorstellungen der EU-Staaten herausstellen. Die Wesensart Europas lasse sich "in einem Wort zusammenfassen: Toleranz", sagte die Bundeskanzlerin der "Bild"-Zeitung. Das Gesellschaftsmodell Europas ziele "auf Ausgleich und Gemeinsamkeit". (tso/ddp/AFP)
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