
© IMAGO/Bernd Elmenthaler
Eklat um die Wehrdienst-Reform: Krach und Chaos prägen das Bild dieser Koalition
Nach der Sommerpause sollte alles besser werden, der Eklat um die vorerst gescheiterte Wehrdienst-Reform macht nun den nächsten Neustart nötig. Will man es der AfD wirklich so leicht machen?

Stand:
Die Außen- und Sicherheitspolitik war bisher das Feld, auf dem diese Bundesregierung viele Pluspunkte einheimsen konnte. Unbeschränkten Ausgaben für die Verteidigung sollte nun ein Konzept folgen, um die Bundeswehr auch personell für die neue Bedrohungsrealität zu wappnen.
Es bot sich sogar die Chance, aufzuzeigen, dass die AfD, deren verschiedene Flügel beim Thema Wehrpflicht völlig uneins sind, eben keine ernst zu nehmende Alternative ist. Stattdessen lenkt die Regierungskoalition den Blick lieber wieder zurück auf ihre eigene Unfähigkeit.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Natürlich sollen Union und SPD gerade bei einem so weitgehenden Grundrechtseingriff wie einer möglichen Wehrpflicht bei zu geringen Freiwilligenzahlen auch hart miteinander ringen dürfen. Vor- und Nachteile einer von CDU und CSU vorgeschlagenen Musterungs-Lotterie müssen erörtert werden. Der Verteidigungsminister muss seine Kritik daran vorbringen, dass die Truppe damit im Ernstfall nicht über die körperliche Verfassung eines ganzen Wehr-Jahrgangs Bescheid wüsste.
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Avanti dilettanti!
Auf gar keinen Fall aber darf es passieren, dass eine Stunden zuvor anberaumte Pressekonferenz, auf der das Ergebnis dieses Ringens der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll, einfach sang- und klanglos abgesagt wird, weil doch nicht alle entscheidenden Akteure an Bord sind. Avanti dilettanti!
Die SPD-Verhandler wussten offenbar nicht, wie kritisch ihr eigener Verteidigungsminister den Kompromiss sieht, das Regierungsmitglied Boris Pistorius wiederum hat andere Einflussmöglichkeiten als den lauten Last-Minute-Einspruch in der Fraktionssitzung.
Das sind organisatorische Schwächen, die das äußere Erscheinungsbild von Schwarz-Rot nun zum wiederholten Male prägen. Von der gescheiterten Verfassungsrichterwahl vor den Sommerferien über vom Stromsteuerkompromiss überraschte Fraktion bis hin zur vorab nur im ganz kleinen Kreis besprochenen Sanktionierung Israels – ungenügende Absprachen und Abläufe sowie die mangelnde Einbindung vieler Koalitionäre sind zum bestimmenden Merkmal geworden.
Dabei hat Friedrich Merz als Chef dieses Bündnisses doch mehr professionelles Regieren als zu Ampelzeiten versprochen. Dass nun einmal nicht die aus der Opposition kommende Union ihre mangelnde Regierungserfahrung zelebriert, sondern die SPD einen gerechten Anteil am Chaos für sich zu reklamieren scheint, ist da kein wirklicher Trost.
Wie zu schlechtesten Ampelstreitzeiten überlagert der aktuelle Krach wieder einmal das, was Christ- und Sozialdemokraten in der Sache sonst so auf den Weg bringen. Dabei müssten die Beteiligten wissen, wie entscheidend es für das eigene Ansehen in der Bevölkerung ist, nicht ständig selbst geweckte Erwartungen zu enttäuschen, sondern besser mit Vereinbarungen zu überraschen, die viele vorher gar nicht auf dem Schirm hatten.
Verweis auf den „Geist von Würzburg“
Die Koalitionsausschuss-Einigung der Vorwoche rund um Bürgergeld und Verkehrsinfrastruktur gehörte trotz manch interner Kritik durchaus in diese Kategorie. Noch am Dienstagvormittag galten der Kompromiss und die angeblich eingetütete Einigung beim Wehrdienst den Fraktionsspitzen als Ausweis dafür, dass Schwarz-Rot endlich in den Arbeitsmodus gefunden und den Neustart nach der Richterwahlkrise hinbekommen habe. Der Verweis auf den „Geist von Würzburg“, wo sich Union und SPD Ende August ausgesprochen hatten, durfte nicht fehlen.
Nun ist der nächste Neustart nötig. Direkt nach der Bundestagswahl hat das einzig mögliche Mehrheitsbündnis ohne AfD-Beteiligung immer wieder von sich behauptet zu wissen, was die Stunde geschlagen hat. Mit der „Verantwortung für Deutschland“ im Titel des schwarz-roten Koalitionsvertrages war gemeint, dass ebenso entschiedene wie pragmatische Entscheidungen die Republik für die Herausforderungen und Gefahren der Zukunft wappnen sollen, ohne sich in der demokratischen Mitte ideologisch zu blockieren, was insbesondere den rechten Rand stärkt.
Wo bleibt diese Verantwortung im Koalitionsalltag? Sie ist eine doppelte: Gerade in einer sicherheitspolitischen Krise verbietet es sich, so unsortiert über das eigene Abschreckungspotenzial zu diskutieren, das sich hinter Wehrdienst und Personalstärke der Bundeswehr verbirgt. Die zur Schau gestellte Unprofessionalität stärkt zudem die Extremisten im eigenen Land, statt ihnen das Wasser abzugraben. Wollen Union und SPD es ihnen wirklich so leicht machen?
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