
FDP: Engelsgeduld und Höllentempo
Die FDP beschließt, in der Koalition mehr Profil und Schärfe zu zeigen – vor allem in der Steuerpolitik: Von ihren umstrittenen Plänen etwa zur Steuer- und Gesundheitsreform will die FDP nicht abrücken, sondern auf schnellere Umsetzung ihrer Wahlversprechen drängen.
- Robert Birnbaum
- Hans Monath
Berlin - Als das streng abgeschottete Krisentreffen der Liberalen im Reichstag in der Nacht zum Sonntag zu Ende war, lobte Guido Westerwelle den Durchhaltewillen und die Geduld der Journalisten. Vier Stunden hatten sie bei klirrender Kälte vor dem an diesem Abend für Pressevertreter gesperrten Wallot-Bau ausgeharrt, während drinnen der Parteichef mit Präsidium und Fraktionsvorstand über einen Rettungsplan beriet, der die nach nur hundert Tagen Regierungsarbeit in Umfragen fast halbierte FDP stabilisieren soll. „Guten Abend zusammen“, rief Westerwelle, als er spät nachts aus der Drehtür trat: „Mein Gott, Sie haben ja lange ausgehalten.“ Sprach’s und verschwand in der Nacht, ohne zum Verlauf der Sitzung oder zu deren Ergebnissen irgendeine Auskunft zu geben.
Der Politiker, der der Geduld der Journalisten halb höhnisch, halb anerkennend Anerkennung zollte, hatte am Wochenende in programmatischer Form über die Grenzen seiner eigenen Leidensbereitschaft räsoniert. „Ich habe eine Engelsgeduld“, verkündete er in einem „Spiegel“-Interview. „Aber die FDP kann auch anders.“
Zwar galt die Drohung des Vizekanzlers vor allem der CSU, die immer wieder zentrale FDP-Projekte bremst. Doch dass die FDP angesichts ihrer Existenzkrise ihre Politik künftig „anders“ buchstabieren will, das machten am nächsten Tag Generalsekretär Christian Lindner und andere liberale Spitzenpolitiker deutlich, nachdem auch der Bundesvorstand der Partei die neue Aufstellung des kleinen Koalitionspartners gebilligt hatte: Von ihren umstrittenen Plänen etwa zur Steuer- und Gesundheitsreform will die FDP kein Jota abrücken, sondern im Gegenteil noch schärfer auftreten und auf schnellere Umsetzung ihrer Wahlversprechen drängen. Wenige Wochen vor den wichtigen Landtagswahlen von Nordrhein-Westfalen provoziert dieser Profilierungsversuch fast notwendigerweise Streit mit der Union – auch wenn CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe darin am Montag keine Kampfansage erkennen wollte und den Liberalen bescheinigte, sie hielten sich brav an den gemeinsamen Koalitionsvertrag.
„Wir sind der Auffassung, dass wir die Richtung unserer Politik in der christlich-liberalen Koalition fortsetzen wollen“, verkündete Lindner am Montag im Thomas-Dehler-Haus. Nur müsse noch schneller als bisher deutlich werden, wie die FDP die angekündigten Projekte konkret umsetzen wolle. Schließlich dränge auch die Parteibasis darauf, dass die Liberalen noch profilierter und schärfer innerhalb der Koalition auftreten. „Dass die FDP schneller konkret werden kann, das wird von uns schon erwartet“, meinte der Generalsekretär. Von internen Widerständen gegen die durchaus riskante Strategie wollte Lindner nichts wissen. „Es gab keine anderen Auffassungen, die in den Gremien geäußert worden sind“, versicherte er.
Mal offen, mal verdeckt machten liberale Spitzenpolitiker am Montag die Union für das angeblich mangelnde Reformtempo verantwortlich und kündigten an, die eigen Partei werde wieder „die Rolle des Motors“ übernehmen. Dabei richtete sich der liberale Furor nicht nur gegen den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU), der mit den Grünen liebäugelt und vor einem Kollabieren der Kommunalhaushalte nach einer Steuerreform mit Milliardengeschenken warnt. „Die Probleme des Landes sind zu groß und die Erwartungen der Menschen zu dringend, als dass wir uns an Machtspielchen zwischen Berlin und Düsseldorf oder München aufhalten sollten“, mahnte Generalsekretär Lindner. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle warf dem großen Koalitionspartner gar vor, er stehe nicht zum gemeinsam ausgehandelten Koalitionsvertrag. Und mit Verärgerung nahm die FDP-Führungsspitze zur Kenntnis, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihren Umweltminister Norbert Röttgen auch noch in Schutz nahm, der zum Entsetzen der Liberalen die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke infrage stellte.
Als wichtigstes Bewährungsfeld für ihren neuen Tempokurs hat die FDP die Steuerpolitik gewählt: Noch vor der NRW-Landtagswahl soll ein Parteitag Ende April eine Steuerreform präsentieren, die kleine und mittlere Einkommen entlastet. Auf die Steuerschätzung von Anfang Mai wollen die Liberalen deshalb nicht warten. Die, so verkündete Lindner kühn, werde „überbewertet“.