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Der AfD-Parteichef Alexander Gauland.

© REUTERS

Erkenntnisse für den Verfassungsschutz?: AfD-„Flügel“ ruft seine Anhänger zum „Widerstand“ auf

Beim Kyffhäuser-Treffen der AfD will der Verfassungsschutz besonders genau hinschauen. Gemäßigter als sonst klingt aber nur Parteichef Gauland. Eine Analyse.

Dass das diesjährige „Kyffhäuser-Treffen“ des nationalistischen „Flügels“ in der AfD unter besonderer Beobachtung stehen würde, machte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang schon im Vorfeld klar. Man erhoffe sich „wertige Erkenntnisse“ für die Einschätzung des „Flügels“, erklärte er. In der AfD registrierten sie diese Ankündigung durchaus. Bereits jetzt ist der „Flügel“ mit seinem Frontmann Björn Höcke Verdachtsfall des Verfassungsschutzes.

Das was Parteichef Alexander Gauland am Samstag zu Anfang des Treffens im thüringischen Leinefelde sagt, kann man also auch als Mahnung an seine Parteifreunde verstehen. „Wir sind hier keine Spielwiese zum Austesten, wie weit man gehen kann“, erklärt der 78-Jährige. Er ruft seine Mitstreiter zur verbalen Zurückhaltung in der Öffentlichkeit auf und dazu, sich auch mal auf die „auf die Lippe zu beißen“. Wenn man nicht professionell agiere, werde man niemals die „bürgerliche Mehrheit gewinnen, die wir brauchen, um dieses Land zu verändern.“ Dann werde die AfD niemals „an die Macht gelangen.“

Es sind interessante Töne von Gauland – bedenkt man seine früheren Äußerungen. Seinen „Vogelschiss“-Satz bedauert er laut eigener Aussagen mittlerweile, aber unvergessen ist die Kyffhäuser-Rede, in der er das Recht forderte, stolz zu sein auf die Leistungen von deutschen Soldaten in zwei Weltkriegen. Oder die Rede, in der er über die Entsorgung der SPD-Politikerin Aydan Özoguz sprach.

Das „Kyffhäuser-Treffen“ ist das jährliche Treffen des „Flügels“ in der AfD. Es dient der radikalen Gruppierung zum Netzwerken und zur Selbstvergewisserung. Bis zu einem Drittel der AfD-Mitglieder sollen „Flügel“-Sympathisanten sein, gut 800 sind am Samstag gekommen.

Die Anführer des „Flügels“ wollen sie auf die Landtagswahlkämpfe in Sachsen, Brandenburg und Thüringen einstimmen. Hier rechnet die Partei mit Ergebnissen von über 20 Prozent, in Sachsen könnte die AfD laut Umfragen sogar stärkste Kraft werden. Der brandenburgische Landesvorsitzende Andreas Kalbitz, neben Höcke Anführer des „Flügels“, ruft in Leinefelde zum „Widerstand“ auf und fordert einen „Paradigmenwechsel für unser Land.“ Beobachten kann man all das im Livestream, Vertreter der Presse sind vor Ort nicht zugelassen.

Ein großes Thema ist an diesem Samstag die gekürzte Wahlliste der sächsischen AfD – die Partei kann nur mit 18 von 61 Listenkandidaten antreten, weil sie bei der Listenaufstellung Fehler gemacht hat. Parteichef Gauland unterstellt dem sächsischen Landeswahlausschuss am Samstag dennoch, er wolle die AfD mit formalen Tricksereien kleinhalten. Er sieht sie AfD als Opfer. Gauland ruft: „Liebe Freunde, dagegen werden wir aufstehen.“

Hauptredner ist der thüringische Landesvorsitzende Höcke

Hauptredner des Treffens ist der thüringische Landesvorsitzende Höcke. Auch wenn sein Einfluss in der Partei in letzter Zeit geschrumpft ist, ist der Personenkult um ihn im „Flügel“ ungebrochen. Bevor Höcke für seine Rede in den Saal kommt, wird er zunächst mit einem ein Höcke-Image-Video gefeiert. Dann läuft er unter heroischer Musik und Fahne-schwenkenden Anhängern ein. Später erklärt ein euphorischer Thorsten Weiß, Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus: „Du bist unser Anführer, dem wir gerne bereit sind zu folgen.“

In Höckes Rede wird deutlich, wie tief mittlerweile die Gräben in der AfD sind. Er attackiert offen den Bundesvorstand und mehrere Parteikollegen. Zwar ohne Namen zu nennen, aber dennoch ist jedem klar, wer gemeint ist. Er spielt etwa auf die Entscheidung des Bundesvorstandes an, am Parteiausschlussverfahren gegen die ultrarechte „Flügel“-Vertreterin Doris von Sayn-Wittgenstein festzuhalten, die kürzlich erneut zur Landeschefin in Schleswig-Holstein gewählt wurde. An die Adresse seiner parteiinternen Kritiker ruft Höcke: „Spalter und Feindzeugen schaden unserer Partei am allermeisten und danach kommt lange, lange nichts.“ Dafür erntet er von seinen Parteikollegen lauten Jubel.

„180-Grad-Wende“ in der Einwanderungspolitik

Höcke spricht in seiner Rede außerdem der „Gastarbeiter“-Generation ihren Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands ab. „Klar ist auch, liebe Freunde, dass die seit Jahrzehnten praktizierte Politik der offenen Grenzen - und sie wird eigentlich schon seit 1955 praktiziert - dass diese von den Altparteien zu verantwortende irrationale Zuwanderungspolitik uns finanziell hat bluten lassen, als hätten wir einen weiteren Krieg verloren.“

Der „Flügel“-Chef fordert zudem eine „180-Grad-Wende“ in der Einwanderungspolitik – was durchaus als Anspielung verstanden werden darf auf seine Forderung einer Wende um 180 Grad in der Erinnerungspolitik, die vor zwei Jahren für Entsetzen sorgte. Und Höcke sagt: „Eine wirkliche Demokratie ist Deutschland heute für mich nicht mehr. Deutschland ist für mich heute eine Maulkorb-Demokratie, die leider auf dem besten Weg ist, zu einer Wohlfühl-Diktatur zu werden.“ Auch hier wieder: lauter Applaus.

Ob der Verfassungsschutz aus dieser Veranstaltung nun „wertige Erkenntnisse“ über den „Flügel“ ziehen kann, ist unklar. Deutlich ist vor allem eines geworden: Die Anziehungskraft, die Höcke auf die Anhänger des „Flügels“ ausübt, ist noch immer groß.

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