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Im Alter gut umsorgt? Viele Menschen fragen sich, was am Ende ihres Lebens auf sie wartet.

© Adobe Stock/Miljan Zivkovic

Exklusiv

„Rotstiftpolitik von vorgestern“: Caritas-Präsidentin attackiert schwarz-rote Sparpläne bei der Pflege

Der Verteidigungsminister müsse sich mehr Drohnen nicht bei den Panzern heraussparen, sagt Caritas-Präsidentin Welskop-Deffaa. Sie fordert, angesichts des demografischen Wandels bei der Gesundheit genauso vorzugehen.

Stand:

Frau Welskop-Deffaa, alle Ministerien müssen sparen, sagt Finanzminister Lars Klingbeil. Dagegen lässt sich angesichts der notwendigen Verteidigungsausgaben wenig sagen. Oder etwa doch?
In Sachen Verteidigung herrscht eine Notlage, das hat die Politik richtig erkannt. Aber es gibt eine zweite Notlage, die leider kleingeredet wird, und zwar den demografischen Wandel. Auch hier muss endlich von den notwendigen Lösungen her gedacht werden und nicht vom vermeintlich fehlenden Geld.

Wie sieht diese Notlage aus?
Die Herausforderungen des demografischen Wandels bedrohen den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ganz konkret: Wenn wir die Pflege nicht jetzt neu aufstellen, können wir morgen unsere Seniorinnen und Senioren nicht mehr versorgen. Es geht um nicht weniger als die Menschenwürde der Alten. Pflegende Angehörige sind erschöpft und überlastet. Für die Pflege muss wie für die Verteidigung gelten: Wir geben das Geld aus, das es braucht.

Wie viel braucht es denn?
Klar ist: Ohne zusätzliches Geld für die Pflege wird es nicht gehen. Kanzler Friedrich Merz und Finanzminister Lars Klingbeil geben vor, jedes Ressort müsse zusätzliche Ausgaben im eigenen Budget gegenfinanzieren. Das ist gerade beim Beispiel Pflege, das zum Gesundheitsressort gehört, wahnwitzig. Es braucht zwei Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr für flexible Pflegebudgets, also passgenaue Unterstützung. Weitere zwei Milliarden Euro pro Jahr braucht es, um aus Pflegezeit und Familienpflegezeit ein alltagstaugliches Entlastungsangebot zu machen, noch einmal 700 Millionen Euro für die Zusammenführung von Kurzzeit- und Verhinderungspflege. Das ist alles gleichermaßen wichtig, damit Angehörige die Pflichten, die sie als Pflegende übernehmen, besser mit ihrem sonstigen Leben vereinbaren können.

An welche Lebenssituationen denken Sie?
Ich denke an die 50-jährige berufstätige Physiotherapeutin, die sich nach ihrem Acht-Stunden-Tag eine Stunde ins Auto setzt, um zu ihrer Mutter am anderen Ende der Stadt zu fahren. Zum Beispiel, weil für diesen Wochentag kein Pflegedienst zu bekommen ist. Sie bleibt eine Stunde bei ihrer Mutter und versorgt sie, dann fährt sie eine Stunde zurück nach Hause, wo ihr eigener Haushalt wartet. Das macht dann einen Zwölf-Stunden-Tag und ist eine riesige Belastung. Wer pflegende Angehörige nicht endlich entlastet, dem wird es übrigens auch nicht gelingen, die Zahl der Arbeitsstunden von Frauen zu erhöhen, wie Schwarz-Rot es sich vorgenommen hat.

Die Politik darf nicht nur jenen applaudieren, die die Waffe in die Hand nehmen.

Caritas-Präsidentin Welskop-Deffaa über den geplanten neuen Wehrdienst

Es fließt schon jetzt viel Geld in die Pflege. Warum lassen sich die Verbesserungen damit nicht finanzieren?
Im Gesundheitsetat klaffen schon riesige Lücken. Der frühere Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat auf den letzten Metern gerade mal eine Mini-Beitragssteigerung für die Pflegeversicherung hinbekommen. Es ist die völlig falsche Erwartung, aus dem ohnehin schon viel zu knappen Geld ließen sich noch Zukunftsaufgaben finanzieren. Ich möchte außerdem an das Thema Corona erinnern. In einer Umfrage in unseren Einrichtungen haben 82 Prozent der Führungskräfte gesagt, dass sie coronabedingt eine andauernde Erschöpfung ihrer Mitarbeitenden beobachten. Auf dieses Alarmsignal muss die Politik endlich angemessen reagieren.

Zum Beispiel in Sachen Rente benimmt sich die Politik nicht, als wären wichtige Zukunftsaufgaben zu finanzieren. Da wird mit der Gießkanne fröhlich verteilt, Stichwort Mütterrente. So knapp kann das Geld dann nicht sein, oder?
Selbst wenn mir jetzt für die Rente eine Sparidee einfallen würde, würde das dem Gesundheitsministerium und damit der Pflege herzlich wenig helfen, solange jedes Ressort alle zusätzlichen Ausgaben im eigenen Budget gegenfinanzieren muss. Um dieses Sparprinzip geht es mir, und ich halte es für falsch. Das ist Rotstiftpolitik von vorgestern in Zeiten, in denen der demografische Wandel für einzelne Ministerien objektiv besondere Belastungen mit sich bringt. Vom Verteidigungsminister verlangt auch niemand, dass er sich Drohnen herausspart, indem er weniger Panzer kauft. Ebenso wenig lässt sich eine zukunftsfähige Pflege finanzieren, indem man Krankenhäuser kaputtspart.

Bei welchen Themen haben Sie außerdem Befürchtungen?
Es braucht auch dringend Verbesserungen in der Kinderbetreuung, die Verlässlichkeit ist alles andere als gesichert. Es gibt ein neues Ministerium für Bildung und Familie. Ich habe die Sorge, dass durch die Zusammenführung der Etats plötzlich Geld nicht mehr zur Verfügung steht, das eben noch da war. Im neuen Heimatministerium braucht es die nötigen Mittel für die soziale Infrastruktur im ländlichen Raum. Wer dort Angst hat, abgehängt zu werden, ist anfällig für Staatsverdrossenheit und politische Radikalisierung.

Die sozialen Dienste könnten auch vom neuen Wehrdienst profitieren, den Schwarz-Rot einführen will. Denn es soll Pendants im Zivilschutz und im Sozialen geben. Was halten Sie von der Idee?
Es ist enorm wichtig, dass diese drei Säulen von Anfang gleichberechtigt sind und das von der Politik auch so vermittelt wird. Es braucht die gleiche Anerkennung, egal, ob jemand für Sicherheit nach außen oder innen sorgt oder für den sozialen Zusammenhalt. Die Politik darf nicht nur jenen applaudieren, die die Waffe in die Hand nehmen.

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