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Politik: Es nagt an der Substanz

DIE KANZLERKRISE

Von Hermann Rudolph

Tritt Schröder zurück? Die Antwort auf diese Frage, die nach den Ereignissen der letzten Tage gar nicht mehr zu verdrängen ist, könnte lapidar ausfallen: Er tritt nicht. Aber leider ist damit nichts gewonnen, weder die Aussicht auf den notwendigen Wandel noch etwa gar Stabilität. Der eigentliche Grund dafür, dass dieser Gedanke überhaupt in den Horizont des Vorstellbaren gerät, besteht ja darin, dass die deutsche Öffentlichkeit – ablesbar an den UmfrageDaten – Schröder einfach nicht mehr zutraut, das Blatt zu wenden. Zugleich ist weder jemand zu sehen, der an seine Stelle treten könnte, noch befindet sich die SPD in einer Verfassung, die Operation Kanzlerwechsel erfolgreich hinter sich zu bringen. Ein halbes Jahr nach der gerade noch gewonnenen Bundestagswahl, bald fünf Jahre nach jenem Regierungswechsel, der eine Zäsur war, hat der Kanzler den Karren so tief in den Morast gefahren wie kaum ein Regierungschef zuvor.

Der Kanzler? Das ist eine zulässige Verkürzung. Denn das Problem Schröders heißt nicht so allein Irak-Krieg, Wirtschaftsflaute oder notwendiger Umbau des Sozialstaates, obwohl das alles dazu beigetragen hat, ihn in seine verzweifelte Lage zu bringen. Es heißt Schröder – was bedeutet: Ausrichtung der Politik auf die eigene Person und ihre Selbst–Darstellung, auf den eigenen Macht-Willen und seine, gar nicht zu bestreitende, Überzeugungsfähigkeit, auf seine hohe Professionalität im politischen Spiel und die Perfektion seines Auftretens. Nun, im Fegefeuer massiver Herausforderungen, tragen Selbstsicherheit und lockere Attitüde, die ihn einst auf die Siegesstraße brachten, nicht mehr. Sie schlagen um in Panik und Rechthaberei. Stärken werden zu Schwächen.

Anders ist schwer zu erklären, weshalb Schröder das Gewicht und die Konsequenzen seiner Irak-Einlassungen gar nicht zu begreifen scheint. Dass er im Wahlkampf mit dem Rücken an der Wand stand und deshalb nach jedem Hebel griff, ist die eine Seite. Die andere ist die merkwürdige Blindheit für die Wichtigkeit des außenpolitischen Beziehungsgerüstes, das der Bundesrepublik Handlungsmöglichkeiten gibt und ihren Ort in der Welt sichert – Erbschaft vielleicht seiner innenpolitischen Sozialisierung, mehr noch aber wahrscheinlich einer Generation, die den Ernst der außenpolitischen Optionen im Sozialen auflöste.

Aber auch der Innenpolitiker Schröder ist spürbar an seine Grenzen gestoßen. Es ist noch nicht so lange her, dass er mit dem Doppelpass von Konflikt und Konsens den politischen Gegner ins Leere laufen ließ und die eigene Partei domestizierte. In der Konfrontation mit den harten Fakten einer lahmenden Wirtschaft und eines aus dem Ruder laufenden Sozialstaates hat das System Schröder zunehmend versagt. Die Kanzlerdemokratie, die Schröder etabliert hatte, ist abrissreif und bei den Wahlen in Niedersachsen und Hessen ja auch bereits geschleift worden. Das Wieder-Aufbrechen der alten Strömungen in der SPD zeigt an, dass sich die Partei, gepeinigt von der Furcht vor dem Machtverlust, ihr Terrain zurückholen will.

Selten ist ein Aufbruch so tief eingebrochen wie der, für den der Kanzler und seine Koalition stehen. Schröder müsste, wenn er in der öffentlichen Meinung wieder Fuß fassen will, nichts Geringeres gelingen als über seinen Schatten zu springen. Mag sein, dass mancher glaubt, es genüge schon, wenn die Risse abgedichtet würden, die im rot-grünen Bündnis, vor allem aber in der SPD aufklaffen – zwischen Schröder und Fischer, zwischen Schröder und der Fraktion. Aber auf die Dauer reicht das nicht aus. Das rot-grüne Bündnis muss sich von neuem begründen, wenn es nicht zur politischen Episode zwischen gestern und übermorgen werden will – jener Republik von Bonn, die Vergangenheit ist, und einer Zukunft, die dringend beginnen müsste. Schröder wird dabei, ob er will oder nicht, die Abstimmung mit der Opposition suchen und praktizieren müssen.

Ob er dafür die Kraft und den Ernst aufbringen wird, entscheidet übrigens nicht nur über das Schicksal der gegenwärtigen Koalition. Das kann die Öffentlichkeit im Grunde genommen kühl lassen. Aber die Fortsetzung der Politik der letzten Wochen und Monate nagt an der Substanz des Landes.

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