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Kunden der Essener Tafel gehen mit ihren Einkaufstrolleys zur Ausgabestelle.

© Roland Weihrauch/dpa

Essener Tafel: Wem noch zu helfen ist

Der Konflikt um die Essener Tafel offenbart ein Grundproblem: Ehrenamtliche können nicht alles leisten, was Aufgabe des Staates wäre. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Im Schatten des Essener Wasserturms ist eine Art Flüchtlingskrise in Miniatur entstanden. Die dortige Tafel, ein ehrenamtlicher Hilfsverein, hat beschlossen, so lange nur noch Neukunden mit deutschem Pass aufzunehmen, bis die Ausländerquote der Bedürftigen von aktuell 75 Prozent wieder gesunken ist. Zur Begründung heißt es, die vielen ausländischen Männer hätten die älteren Nutzerinnen verschreckt. Die Reaktionen sind hitzig und hart: Diskriminierung, Rassismus gar, Gegeneinander-Ausspielen von Bedürftigen lauten die Vorwürfe. Landauf landab wird debattiert. Wer hat recht? Aber das ist nicht die richtige Frage.

Die Tafel gehört mit zu dem dicken Netz aus ehrenamtlichen Organisationen und Helfern, die seit Jahr und Tag soziale Notlagen lindern, deren Entstehen von der Politik zugelassen wurde, darunter Altersarmut und übervolle Flüchtlingsunterkünfte. Warum, das ist nicht ganz klar. Am Geld liegt es nicht, vermutlich an Problemblindheit. Jetzt stehen die sich völlig fremden bedürftigen Gruppen zusammen in der Schlange vor der Essensausgabe – und solidarisieren sich nicht, lernen sich nicht kennen, tauschen keine Geschichten aus und werden keine Freunde. Soziale Not ist nicht gleich sozialer Kitt. Eher führt sie zu mehr Härte und Egoismus.

Konflikt politisch instrumentalisiert

Um Ausgewogenheit in ihrer Klientel bemüht, haben die Mitarbeiter der Essener Tafel nun eine schnell zu realisierende Maßnahme ergriffen, die vorübergehend sein soll und nicht ideal ist. Und ist „ideal“ nicht eine ziemlich hohe Anforderung in einer nicht-idealen Welt – vor allem dann, wenn sie von Menschen aufgestellt wird, die ihre Freizeit nicht damit verbringen, Essen zu verteilen?

Der Konflikt wird seit seinem Bekanntwerden heftig politisch instrumentalisiert. Das lag nahe, denn er bietet auf fast schon platte Weise eine konkret-reale Anschauung für die großen politischen Debatten, die das Land seit 2015 führt. Debatten über die Willkommenskultur und Ausgenutztwerden, über Angst vor den vielen Fremden im Land, über Rangfolgen der Hilfsbedürftigkeit und über Verdrängung am sozialen Rand. Je nach Lager wird zum einen oder anderen Totschlagargument gegriffen und losgedroschen und herumagitiert.

Reaktionen ohne Zögern

Die Suche nach einer praktischen Lösung für das instrumentalisierte Problem wird dabei aus den Augen verloren. Die Maxime, dass allein die Bedürftigkeit zähle, hilft nicht weiter, wenn alle ihre Bedürftigkeit nachweisen – und es trotzdem zu Verdrängung kommt. Wenn es so viele Menschen gibt, die rund um den Wasserturm auf Hilfe angewiesen sind, dann muss offenbar eine weitere Essensausgabe organisiert werden. Dann können die Menschen sich verteilen, der Druck ist aus der Schlange, und niemand wird nach Nationalität ausgesucht. Wer das machen soll? Ja, wer?

Die Reaktionen auf die Maßnahme der Tafel kamen ohne großes Zögern. Sie wurde unter Diskriminierungsverdacht gestellt, oder man riet ihr, Benimm- und Verhaltensregeln zu erlassen, um für Ordnung in der Schlange zu sorgen. Die ehrenamtlichen Helfer würden damit nicht nur wie selbstverständlich für die ausbleibende staatliche Regelung von sozialen Notlagen herangezogen, sondern außerdem noch zum Sozialarbeiter gemacht. Nicht auszuschließen, dass sie dazu nicht auch noch bereit sind. Das mag man gern öfter mal in Betracht ziehen.

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