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Urteile zur Reproduktionsmedizin: Ethisch ist es, wenn Kinder leben
Frauen, die sich vergeblich Nachwuchs wünschen, haben in Deutschland keine Lobby. Wo sind die Feministinnen und die Männer, die sie unterstützen? Ein Kommentar.
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So oft, wie eine Frau in Deutschland ihre Schwangerschaft mit ärztlichen Mitteln beenden lässt, versucht eine andere, mit ärztlichen Mitteln ein Kind zu bekommen. Zum Thema Abtreibung gibt es gesellschaftliche Debatten, bedeutende verfassungsgerichtliche Urteile und immer wieder politischen Streit. Zur Reproduktionsmedizin gibt es – nichts dergleichen. Woran liegt das? Wo sind die Feministinnen und Aktivistinnen? Wo die fortschrittlichen Männer, die sie unterstützen? Und wo die Politikerinnen, die hier eine Aufgabe sehen?
Zwei Urteile der vergangenen Woche, haben den Blick darauf gelenkt, was nötig wäre: Das Bayerische Oberlandesgericht hat das Handeln von Medizinern für strafbar erklärt, die sich in einem „Netzwerk Embryonenspende“ zusammengetan hatten. Das Netzwerk vermittelte mit Samenzellen behandelte Eizellen, die bei künstlichen Befruchtungen überzählig blieben, an Frauen mit Kinderwunsch. Die Eizellen wären sonst, so der Fachjargon, „verworfen“ worden. Hier machen sich Leute strafbar, die absolut nichts Böses tun.
Die Präimplantationsdiagnostik wurde erleichtert. Sie bleibt schwer genug.
Ein zweites Urteil hat sich mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) befasst. Diese ermöglicht es Eltern, die an schweren Erbkrankheiten leiden, ausnahmsweise eine genetische Untersuchung eines „in vitro“, also im (Reagenz)glas gezeugten Embryos. Die Ausnahmen prüfen Ethikkommissionen. Das Bundesverwaltungsgericht hat nun dankenswerterweise klargestellt, dass es seinerseits diese Kommissionen kontrolliert. Bei der Entscheidung geht es nämlich weniger um Ethik, es geht eigentlich um Recht. Die Ethikkommissionen habe es sich angewöhnt, Ausnahmen zu eng zu sehen. Eine Ethik, die den Kinderwunsch ernst nimmt, gibt es offenbar noch nicht. Nur eine, die will, dass Kinderlosigkeit als menschliches Schicksal akzeptiert wird. Der dritte Senat des höchsten Verwaltungsgerichts hat die PID mit seinem Urteil jetzt etwas erleichtert. Sie bleibt schwierig genug. Die Ethiker in der Politik wollen es so.
Das weibliche Ei ist heilig in Deutschland
Es soll nicht bestritten werden, dass Reproduktionsmedizin heikle Fragen aufwirft. Aber man kann sie beantworten, wenn man will. Beide Urteile stützen sich auf das Embryonenschutzgesetz, das 2011 um PID-Regelungen ergänzt wurde. Der restriktive Gehalt aber ist seit 30 Jahren derselbe geblieben. Das erste deutsche „Retortenbaby“ Oliver geht auf die 40 zu, mehr als 100000 sind ihm gefolgt. Wenig beachtet von der Öffentlichkeit, können sich heutzutage sogar Frauen einen Kinderwunsch erfüllen, die selbst ohne Scheide und Gebärmutter geboren wurden. Die Transplantationsmedizin macht es möglich.
In Deutschland aber bleibt die Mutter, bleibt das weibliche Ei ein Heiligtum. „Gespaltene Mutterschaft“, wonach eine Frau ein Kind austrägt, mit dem sie genetisch nichts teilt, gilt als Horrorvorstellung. Warum? Weil Blindheit mit Haltung verwechselt wird. Ethisch ist etwas anderes. Ethisch ist, wenn Kinder leben.
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