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Lech Walesa posiert für Fotos vor dem Tor 2 der Danziger Schiffswerft - und macht sich dann auf den Weg nach Warschau zu den Protesten gegen die Justizreform.

© imago/Eastnews

Umstrittene Justizreform in Polen: Ex-Staatschef Lech Walesa schließt sich Protesten an

Der polnische Ex-Präsident Lech Walesa schloss sich am Mittwochabend in Warschau den Protesten gegen den Zwangsruhestand von Richtern des Obersten Gerichts an.

In Polen haben die Demonstranten gegen den Zwangsruhestand von Richtern des Obersten Gerichts prominente Unterstützung bekommen: Der polnische Ex-Präsident und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa schloss sich am Mittwochabend den Protesten in Warschau an. Die offiziell pensionierte Vorsitzende Richterin Malgorzata Gersdorf erschien unter dem Jubel tausender Demonstranten zur Arbeit. Regierungschef Mateusz Morawiecki begründete den umstrittenen Schritt im Europaparlament mit dem Kampf "gegen das Erbe des Kommunismus".

Er sei zum Obersten Gerichtshof gekommen, um "die Unabhängigkeit der Justiz zu verteidigen", sagte Ex-Präsident Walesa an die Demonstranten gewandt. "Wenn es sein muss", werde er mehr als einmal wiederkommen, kündigte er an. Gersdorf war lange Zeit Mitglied von Walesas Gewerkschaft Solidarnosc, die maßgeblich am Sturz des Kommunismus in Polen im Jahr 1989 beteiligt war.

Gersdorf protestierte gegen die Entscheidung der nationalkonsevativen Regierung, sie in den Ruhestand zu schicken, indem sie ihrer Pensionierung trotzte, ihr Büro bezog und ein Treffen des Gerichtskollegiums leitete. Sie wurde vor dem Gerichtsgebäude von 3000 bis 4000 Demonstranten empfangen, wie AFP-Reporter berichteten. Sie riefen "Freie Gerichte", "Verfassung" und "Unabsetzbar".

Sie mische sich nicht in die Politik ein, sagte sie bei ihrer Ankunft. Sie wolle aber für die Rechtsstaatlichkeit in Polen kämpfen und "die Grenze zwischen der Verfassung und dem Verstoß gegen die Verfassung aufzeigen". Den Zwangsruhestand, der um Mitternacht in Kraft trat, bezeichnete sie als "politische Säuberung". Am Dienstagabend hatten vor dem Gerichtsgebäude bereits rund 5000 Menschen für Gersdorf und deren betroffene Kollegen demonstriert.

Das umstrittene Gesetz schickt 27 der mehr als 70 Richter am Obersten Gerichtshof in den Zwangsruhestand, die älter als 65 Jahre sind. Bisher lag die Altersgrenze bei 70 Jahren. Neben Gersdorf haben weitere Richter bereits angekündigt, sich der Regelung zu widersetzen.

Der Zwangsruhestand gehört zu einer Reihe umstrittener Justizreformen

Staatschef Andrzej Duda hatte Gersdorf am Dienstagnachmittag bedeutet, dass sie für ihn schon im Ruhestand sei. Als Interimspräsident des Obersten Gerichts ernannte er Jozef Iwulski. Gersdorf erklärte daraufhin, sie ernenne Iwulski zu ihrem Vertreter während ihrer "Abwesenheit".

Der Zwangsruhestand für Oberste Richter gehört zu einer Reihe umstrittener Justizreformen, derentwegen die EU-Kommission seit 2016 gegen die polnische Regierung vorgeht. Aus Sicht der EU-Kommission beschneiden die Reformen die Unabhängigkeit der Justiz. Am Montag hatte sie deshalb ein neues Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet.

Vor dem Europaparlament in Straßburg verteidigte der polnische Ministerpräsident Morawiecki die umstrittenen Justizreformen. "Jedes Land hat ein Recht, sein Rechtssystem gemäß seiner eigenen Traditionen zu errichten", sagte er. Polen würde noch immer "gegen das Erbe des Kommunismus" kämpfen, sagte er weiter. Richter die in den 1980er Jahren "beschämende Urteile" gefällt hätten, würden heute am Obersten Gerichtshof sitzen.

Von den EU-Abgeordneten erntete Morawiecki massive Kritik. Redner aller maßgeblichen Fraktionen betonten, Polen müsse Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Grundlage der Europäischen Union achten. Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), kritisierte, Richter würden in Polen heute wegen ihrer politischen Meinung entlassen.

"Zerstören Sie nicht die demokratische Kultur in Ihrem Land", forderte der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Udo Bullmann (SPD), von Morawiecki. Der Fraktionschef der Liberalen, Guy Verhofstadt, kritisierte das "systematische Liquidieren der demokratischen Kontrolle" in Polen. Morawiecki reagierte scharf: "Erteilen Sie uns keine Lehren", rief er den Europa-Abgeordneten zu.

Anfang 2016 hatte Brüssel erstmals in der EU-Geschichte ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet, als Warschau die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts beschnitt. Im Dezember folgte dann ein Vertragsverletzungsverfahren wegen eines Gesetzes, das die Befugnisse des Justizministers bei der Besetzung von Richterposten ausweitet.

Ein Vertragsverletzungsverfahren kann theoretisch bis zum Entzug von Stimmrechten auf EU-Ebene führen. Das Votum darüber muss allerdings einstimmig fallen. Das ebenfalls rechtskonservativ regierte Ungarn hat bereits angekündigt, Sanktionen gegen Warschau nicht mitzutragen. (AFP)

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