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Bis 2030 müssen 10.000 Stellen in der Justiz nachbesetzt werden.

© Kitty Kleist-Heinrich TSP

Fachkräftemangel in der Justiz: Wenn Richter Pensionäre werden

Fehlende Digitalisierung, immer komlexer werdende Aufgaben und kein Nachwuchs. Es braucht eine Attraktivitätsoffensive für den Nachwuchs. Ein Kommentar

Das deutsche Justizsystem ist schon jetzt am Limit. Dabei spielt Corona überraschenderweise nur eine kleine Rolle. Vielmehr leidet die Strafjustiz unter immer komplexeren Sachverhalten, fehlenden digitalen Möglichkeiten und Unterbesetzung. Daher werden immer mehr Verfahren nach Ermessen eingestellt, Strafprozesse dauern so lange wie noch nie und die Bearbeitungszeiten nehmen bei den meisten Gerichten deutlich zu. So mussten knapp 250 Tatverdächtige in den letzten fünf Jahren aus der Untersuchungshaft entlassen wurden, weil das Strafverfahren zu lange dauerte. Eine funktionierende Justiz sieht anders aus. Doch es kommt noch schlimmer: Die kommende Pensionierungswelle, die aufgrund des demografischen Wandels verschiedenste Branchen überrollen wird, trifft auch die Justiz.

Bis 2030 werden 10.000 Richter und Staatsanwälte in Rente gehen

Besonders die neuen Bundesländer werden darunter leiden. Bis 2030 gehen in Thüringen knapp 46 Prozent der Richter und Staatsanwälte in Rente, in Sachsen sind es 41 Prozent und in Sachsen-Anhalt knapp 40 Prozent. Der Grund dafür ist, dass nach der Wiedervereinigung die Justiz im Osten von Grund auf erneuert wurde und dabei gleichzeitig viele Richter im selben Alter eingestellt wurden – eben diejenigen, die nun bald mehr oder weniger gemeinsam in Rente gehen werden. Zudem fehlt es an kompetentem Nachwuchs. Obwohl in den letzten Jahren die Anforderungen gesenkt wurden, finden sich immer noch nicht genügend junge Juristen, die als Richter oder Staatsanwalt ihre Karriere beginnen wollen. Warum auch, wenn vollgestopfte Arbeitstage an einem nicht digitalisierten Arbeitsplatz zur Regel werden und das Einstiegsgehalt in der Privatwirtschaft, also beispielsweise bei vielen Großkanzleien, mit knapp 100 000 Euro im Jahr doppelt so hoch ist, wie das Anfängergehalt von 50 000 Euro in der Justiz?

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Eine Antwort auf diese Frage gibt die Politik nicht, versucht aber dennoch dem kommenden Richtermangel entgegenzuwirken. So sollen bis Ende 2021 knapp 2000 neue Stellen geschaffen werden, um der Pensionierungswelle mit eingearbeiteten Richtern und Staatsanwälten zu begegnen. Doch es bräuchte eine echte Attraktivitätsoffensive für den Nachwuchs.

Das Faxgerät darf nicht mehr das modernste Gerät am Arbeitsplatz sein,  Professoren sollten versuchen,  das Interesse für den Job des Richters oder Staatsanwalts wieder zu wecken, und der Staat muss auch  in ein höheres Einstiegsgehalt investieren. Auch wenn diese Anpassungen viel Steuergeld kosten, sind sie es wert, denn wenn Gerichtsverhandlungen ausfallen und Urteile nicht gesprochen werden, können die Konsequenzen jeden treffen, der nach dem Rechtsstaat ruft – ob nach einem Autounfall oder in einer Versicherungsfrage.

Marc Tawadrous

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