
© Laurin Schmid für den Tagesspiegel
Finanzminister Klingbeil im Gespräch: „Es gab Momente, in denen ich am Limit war“
Friedrich Merz hält seinen Vize für „sensibel“. Der findet das „nicht schlimm“. Über den Zustand der Koalition, Missbrauch von Bürgergeld und Kampfjets im Nato-Luftraum.
Stand:
Herr Klingbeil, vor wenigen Tagen haben Sie die Deutschen auf anstrengende Zeiten eingeschworen. Sie selbst stehen vor der Mammutaufgabe, neben all den geopolitischen Fragen um Krieg und Frieden, auch noch die SPD und den Haushalt zu retten. Wie tanken Sie Kraft?
In den letzten Monaten gab es auch mal Momente, in denen ich am Limit war. Es war ein brutales Jahr. Der Bruch der Ampel, vorgezogene Neuwahlen, dann ein katastrophales Ergebnis für die SPD. Koalitionsverhandlungen, das Mitgliedervotum und dann der SPD-Bundesparteitag. Als ich angefangen habe mit Politik, wurde in Deutschland auch mal drei Monate über zehn Euro Praxisgebühr gestritten.
Heute hast du an einem Tag Trump und Putin, dann zieht Frau Brosius-Gersdorf ihre Kandidatur zur Verfassungsrichterin zurück und der Kanzler entscheidet, keine Waffen an Israel zu liefern. Das ist eine enorme Taktung. Aber Sie haben ja nicht gefragt: Wie schlimm ist Ihr Leben, sondern: Wie kommen Sie da durch?
Und?
Vor ein paar Wochen habe ich öffentlich gemacht, dass ich vor zehn Jahren eine schwere Krebserkrankung überstanden habe. Das hilft mir, ruhig und gelassen zu bleiben. Alles, was ich heute erlebe, ist ein Privileg und eine Art Verlängerung. Aber ich brauche Sport, Auszeiten, meine Musik, meine Familie, um den Job gut machen zu können.
Sie sind junger Vater. Auch das ist eine große Verantwortung. Gibt es Dinge, auf die Sie nun verzichten müssen?
Auf vieles. Aber das ist ja eine Entscheidung, die ich getroffen habe, und ich empfinde meinen Job als ein großes Privileg. In anderen Ländern hätte ich niemals werden können, was ich jetzt bin. Ich komme aus einfachen Verhältnissen. Mein Papa war Berufssoldat, Unteroffizier, meine Mutter Verkäuferin. Ich bin der Erste in der Familie, der Abitur gemacht, der studiert hat. Dass das in Deutschland möglich ist, dass ich Vorsitzender der ältesten demokratischen Partei und Vizekanzler bin, das lässt mich meinen Job mit Leidenschaft machen.
Bundeskanzler Friedrich Merz hat vor ein paar Tagen in einer halb-öffentlichen Fraktionssitzung die eigenen Reihen gewarnt, man solle Sie nicht so hart anfassen, Sie seien „sensibel“. Hat er recht?
Ich finde nicht schlimm, wenn Männer sensibel sind. Als ich das letzte Mal in Kiew war, stand ich mit dem Bürgermeister Vitali Klitschko vor einem zerbombten Haus. Als er mir erzählte, dass hier eine Familie von russischen Raketen getötet wurde, die gerade erst aus der Ostukraine nach Kiew geflohen war, schossen mir die Tränen in die Augen.
Aber ich glaube, darum ging es gar nicht in dieser Fraktionssitzung. Friedrich Merz wollte seinen Leuten sagen: Wenn wir etwas in der Koalition beschlossen haben, dann steht dazu, dann haltet euch dran. Wenn die Botschaft angekommen ist und wir jetzt nicht mehr so viele Unionspolitiker haben, die erst etwas beschließen und es dann kritisieren, dann ist das ok.
Insgesamt kommt es auf eine Körperhaltung gegenüber Russland an, die deutlich macht: Bis hierhin und nicht weiter.
Lars Klingbeil
Ist Merz hart im Nehmen?
Das sollen andere beurteilen. Wir können Sachen gut besprechen und haben Vertrauen zueinander aufgebaut. Und wir haben ein gemeinsames Verständnis, obwohl wir einen harten Wahlkampf hatten und unterschiedliche Typen sind. Ich bin ein paar Jahre jünger, habe eine andere politische Sozialisation, andere Grundwerte. Ich bin Fan eines anderen Fußballvereins. Es gibt genug Gegensätze, aber wir tragen eine verdammt hohe Verantwortung, dieses Land gemeinsam voranzubringen.
Im Haushalt zwischen 2027 und 2029 fehlen 172 Milliarden Euro. So viel musste keine Bundesregierung zuvor sparen. Um das zu finanzieren, fordern Sie auch eine höhere Besteuerung von Vermögenden: Inwiefern werden Sie da hart bleiben gegenüber der Union?
Seit den Äußerungen von Jens Spahn, der auch sagt, dass wir ein Problem mit der Vermögensverteilung in diesem Land haben, muss ich ja gar nicht hart bleiben. Ich bin davon überzeugt, wir brauchen ein gerechtes Gesamtpaket, zu dem alle ihren Beitrag leisten. Wenn die, die ganz viel Geld haben, wenig oder nichts beitragen, verstößt das gegen das Gerechtigkeitsempfinden in unserer Gesellschaft.

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Das Thema Erbschaftssteuer ist bei SPD-Wählern sehr umstritten. Viele sorgen sich um die Vererbung von Wohnung und Haus. Senden Sie da ein gefährliches Signal?
Wir vererben jedes Jahr in Deutschland zwischen 300 und 400 Milliarden. Menschen, die viele Millionen erben, zahlen oft so gut wie keine Erbschaftssteuer. Das ist unfair, und es betrifft nicht das typische sozialdemokratische Publikum mit dem Haus von Oma. Es gibt große Millionen-Erbschaften. Da geht die Welt nicht unter, wenn man die ein bisschen stärker heranzieht.
Ich komme vom Dorf. Dort habe ich gelernt: Wenn du dich anstrengst, kommst du im Leben voran. Wir sind jetzt hier in Berlin. Hier kannst du der Beste in der Schule gewesen sein, der Beste im Studium, der Fleißigste auf der Arbeit: Du wirst dir keine Eigentumswohnung in Berlin leisten können. Aber du kannst der Schlechteste in der Schule, der Schlechteste im Studium und der Faulste im Job sein. Wenn du geerbt hast, kaufst du dir eine Wohnung in Berlin. Das untergräbt doch das Leistungsprinzip in unserem Land und das will ich wieder ändern.
Sie sagten, das Wichtigste für Sie in dieser Legislatur sei Wirtschaftswachstum. Wie wollen Sie das hinkriegen?
Ich bin seit knapp fünf Monaten Finanzminister, seitdem haben wir zwei Haushalte, das 500-Milliarden-Investitionspaket und den Wachstumsbooster für die Wirtschaft beschlossen. Ich habe als sozialdemokratischer Finanzminister zum ersten Mal seit über 20 Jahren eine Unternehmenssteuerreform durchgesetzt. Ab 2028 werden die Unternehmenssteuern gesenkt.
Wir haben zehn Milliarden Euro in die Hand genommen, um die Energiepreise abzusenken für die Industrie und das produzierende Gewerbe, damit wir dort Arbeitsplätze sichern. Ich unterstütze den Verkehrsminister, dass er das Infrastrukturbeschleunigungsgesetz auf den Weg bringt, dass wir die Bauvorhaben als „überragendes öffentliches Interesse“ einstufen. Dann kann schneller geplant, genehmigt und gebaut werden. Das alles hilft, die Wirtschaft anzukurbeln.
Ich habe zweimal in den USA gelebt, ich liebe dieses Land. Aber ich sehe vieles und denke: Das wird jetzt echt gefährlich.
Lars Klingbeil
Die Sozialleistungsquote, also das Verhältnis von Sozialleistungen zum Bruttoinlandsprodukt, steigt stetig von Jahr zu Jahr. Wie soll sich dieses Land das leisten können?
Wir müssen aufpassen, dass wir den Sozialstaat nicht kaputt reden. Wir können froh sein, dass wir einen Staat haben, der Menschen auffängt, denen es nicht gut geht. Gleichzeitig müssen wir diskutieren: Wo muss der Sozialstaat verbessert werden? Da gibt es Korrekturbedarf.
Es ist nicht in Ordnung, wenn jemand Geld vom Staat bekommt und schwarzarbeitet. Das ist Betrug an der Allgemeinheit. Ich kann Leuten, die fleißig sind, nicht erklären, warum andere, die sich zurücklehnen, Geld vom Staat bekommen.
Meine Perspektive ist nicht die von Bürgergeld-Empfängern. Meine Perspektive ist die von Menschen, die 2.000, 3.000 Euro verdienen und dafür jeden Tag hart arbeiten. Deswegen sind wir völlig einig in der Regierung, dass wir den Druck erhöhen werden: Menschen, die Bürgergeld bekommen, aber sich komplett verweigern oder schwarzarbeiten, sollen die Konsequenzen spüren.
Auf dem letzten SPD-Parteitag haben Sie das nicht so deutlich gesagt. Das Stichwort Sozialmissbrauch fiel nicht. Warum tun sich viele in Ihrer Partei wahnsinnig schwer damit?
Wir haben dieses Thema zu lange, zu vorsichtig behandelt. Hören Sie sich meine Rede aber bitte noch einmal an. Ich habe betont, dass wir als SPD nicht die Status-Quo-Bewahrer sein dürfen. Ich lege sehr viel Wert darauf, dass wir beim Bürgergeld Korrekturen machen. Die SPD war immer stark, wenn sie für Veränderung, für Reformen, auch für den Aufbruch in diesem Land gestritten hat.

© Laurin Schmid für den Tagesspiegel
Bei den jüngsten Wahlen in NRW haben Sie Dortmund, eine Herzkammer der Sozialdemokratie, nach über 80 Jahren verloren. In Duisburg dagegen haben Sie ganz andere Ergebnisse eingefahren: Dort hatte Ihr OB Sören Link mit harten Ansagen gegen die AfD Erfolg: „Ich habe keine Lust, verarscht und beschissen zu werden.“ Muss die SPD mehr Sören Link wagen?
Wir müssen uns auf die Themen konzentrieren, die für Menschen wirklich wichtig sind: Dass Arbeitsplätze erhalten werden, dass die Wirtschaft vorankommt, wie das Zusammenleben in diesem Land geprägt wird. Wir müssen künftig denen auf die Finger klopfen, die Bürgergeld bekommen, obwohl sie arbeiten könnten. Wenn die Partei es wieder schafft, dass diejenigen, die hart arbeiten, sagen: „Diese Ungerechtigkeit bekämpft die Sozialdemokratie“, dann haben wir es geschafft.
Die größte Stadt in Nordrhein-Westfalen haben wir im Übrigen zurückgewonnen: Köln. Manche dachten: Jetzt schmiert die SPD in Nordrhein-Westfalen komplett ab. Das ist nicht passiert, wir stellen die meisten Oberbürgermeister in ganz NRW. Die SPD ist auch die Partei, die im Ruhrgebiet die AfD deutlich besiegt hat.
Ich kann Leuten, die fleißig sind, nicht erklären, warum andere, die sich zurücklehnen, Geld vom Staat bekommen.
Lars Klingbeil
Die Verteidigungsausgaben steigen massiv, wir haben es mit einer geopolitischen Bedrohung zu tun. Das verändert die Stimmung im Land. Warum sind diese hohen Verteidigungsausgaben notwendig? Reicht die Zeit, um uns wieder wehrfähig zu machen?
Sie sind notwendig, weil wir uns über 20, 30 Jahre hinweg zu sicher waren, dass hier nichts passieren wird. Und weil wir auch, und das sage ich auch selbstkritisch, nach 2014, als Putin die Krim annektiert hat, nicht die Konsequenzen gezogen haben, die wir hätten ziehen müssen. Und jetzt muss das alles aufgeholt werden. Dafür hat Olaf Scholz schon viel gemacht als Bundeskanzler. Und dafür haben wir mit dieser Regierung und den Änderungen im Grundgesetz die Grundlagen geschaffen.
Ich möchte jeden Tag vor die Wählerinnen und Wähler treten können und sagen: Ich tue alles dafür, dass wir in diesem Land sicher leben.
Wir waren zu lange zu naiv im Umgang mit Putin. Diesen Fehler dürfen wir nicht nochmal machen. Putin versteht nur die Sprache der Stärke. Das ist der Grund, warum wir jetzt so viele Milliarden für Sicherheit und Verteidigung investieren und unsere Bundeswehr stärken.

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Russland verletzt den Luftraum von Nato-Staaten. Ist es notwendig, dass man auch jetzt schon mit aller Härte reagiert und zum Beispiel Kampfjets abschießt?
Ich nehme sehr ernst, was da gerade passiert. Ich erwarte jetzt auch, dass in den Nato-Gremien Klartext geredet wird und dass öffentlich gegenüber Russland Klartext geredet wird. Putin provoziert und schaut, wie weit er gehen kann. Ich rate uns, dass wir das nicht auf die leichte Schulter nehmen, dass wir zeigen: Wir sind nicht naiv und wir haben aus Fehlern der Vergangenheit gelernt. Insgesamt kommt es auf eine Körperhaltung gegenüber Russland an, die deutlich macht: bis hierhin und nicht weiter.
Wichtig ist, dass auch Donald Trump jetzt an der Stelle ein klares Signal gegeben hat und sich zur Sicherheit Europas und der Stärke der Nato bekannt hat.
Wie blicken Sie denn auf Donald Trump?
Es ist kein Geheimnis, dass ich auf dem Parteitag von Kamala Harris war. Wir müssen jetzt aber mit denen zusammenarbeiten, die da sind. Ich habe mittlerweile zu meinem US-Finanzministerkollegen einen Draht aufgebaut. Scott Bessent ist einer derjenigen in der Regierung, die wirklich eng mit Deutschland zusammenarbeiten wollen.
Ich habe zweimal in den USA gelebt, ich liebe dieses Land. Aber ich sehe vieles und denke: Das wird jetzt echt gefährlich, wie in dieser Demokratie miteinander umgegangen wird, wie politische Gegner verfolgt, wie die Presse eingeschränkt, Polarisierung und Gewalt weiter angeheizt werden.
Sehen Sie denn auch die Parallelen für uns in Deutschland?
Wir sind nicht wie die USA. Bei der letzten Umfrage, die ich gesehen habe, haben 75 Prozent der Menschen hier in Deutschland gesagt, dass sie demokratisch wählen. Trotzdem sehe ich natürlich auch hier, dass die Auseinandersetzungen härter werden. Aber wir haben ja in der Hand, wie es weitergeht. Ich arbeite gemeinsam mit Bundeskanzler Friedrich Merz hart daran, dass diese Bundesregierung Erfolg hat. Wir sind verpflichtet, es hinzukriegen. Das ist viel anstrengender als die billigen Sprüche der Populisten.
Es gibt nicht immer die bunten, tollen, krassen Überschriften. Aber nur so bringen wir unser Land voran. Die AfD hat keinerlei Lösungen für die Probleme, die Bürgerinnen und Bürger bewegen. Ihr Populismus ist schlecht für unser Land. Ich will nicht, dass sich dieses Gift des Populismus weiter in unser Land einschleicht.
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