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Von Stuttgart nach Brüssel: Ganz Brüssel spottet über Oettinger

Günther Oettinger geht nach Brüssel. International gilt Baden-Württembergs Ministerpräsident als unerfahren. Kein Wunder, dass EU-Politiker irritiert reagieren.

„Wer zur Hölle ist Oettinger?“ fragt der Kollege des britischen Guardian irritiert. Aus Berlin war gerade die überraschende Nachricht eingetroffen, dass der Ministerpräsident Baden-Württembergs als deutscher EU-Kommissar nach Brüssel geschickt werden soll. Im deutschen Milieu der Europahauptstadt kennt man zwar den Namen des Mannes, der in wenigen Wochen den SPD-Politiker Günter Verheugen im Gremium der 27 EU-Kommissare ablösen soll. Die Überraschung war aber nicht geringer. Deutsche Beamte im Ministerrat und in der EU-Kommission reagierten mit Ungläubigkeit, dann mit Verblüffung und Unverständnis. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso selbst soll sich am Samstag telefonisch bei deutschen Europapolitikern erstaunt nach der Personalie erkundigt haben. In einem Telefonat habe er gefragt: „Was soll das?“, berichtet der „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Oettinger gilt auf internationalem Parkett als unerfahren. In Brüssel hat er als Ministerpräsident zwar mehrfach bei EU-Kommissionspräsident Barroso vorgesprochen. Der Schwabe gilt hier aber als ein Mann aus der Provinz. „Die Fassungslosigkeit ist hier geradezu flächendeckend,“ berichtete ein deutscher Beamter am Sonntag über die Entscheidung der Kanzlerin.

Tatsächlich hatte keiner in den sonst gut unterrichteten EU-Kreisen mit Oettinger gerechnet. Zuletzt waren drei Namen immer wieder genannt worden: Hessens Ministerpräsident Roland Koch, der europaerfahrene Elmar Brok und Familienministerin Ursula von der Leyen.

Doch während der Europaabgeordnete Brok, der maßgeblich an der Ausarbeitung des neuen EU-Vertrags beteiligt war, das komplizierte Räderwerk der europäischen Politik genau kennt, fragen sich viele in Brüssel, ob sich der Landespolitiker in der internationalen Atmosphäre Brüssels zurechtfinden wird. „Deutschland schickt jetzt einen Mann aus der Regionalliga zur Europameisterschaft,“ meint fast schadenfroh ein SPD-Politiker. Den designierten Kommissar selber ficht das alles nicht an. „Wenn jemand argwöhnt, dass dies eine Abschiebung sei, kann ich darüber nur lachen“, sagte Oettinger. Er sei zwar von der Nominierung überrascht worden. Er könne in seinem neuen Amt aber mehr für Deutschland tun als in seinem jetzigen Posten. „Dieses Angebot kann man nicht ablehnen.“

Nicht alles spricht ja auch gegen einen EU-Kommissar aus der europäischen Provinz. So kommen die Erfahrungen eines Ministerpräsidenten dem Gremium der Kommissare in der obersten Etage der Brüsseler EU-Behörde durchaus zugute. Die Gefahr sei aber groß, dass Oettinger in Brüssel mit einem unwichtigen Arbeitsbereich abgefunden wird, meint ein deutscher EU-Politiker am Wochenende. Vielleicht, so fügt er hinzu, sei das aber gar keine Katastrophe. Vermutlich setze die Kanzlerin nämlich weit mehr als auf den deutschen Kommissar auf ihren Draht zu Barroso.

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