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Geflüchtete und Kriminalität: Was hinter den Zahlen steckt
Macht die Zuwanderung von Flüchtlingen Deutschland unsicherer? Wie ein Kriminologe die Daten einschätzt und wo er Handlungsbedarf sieht.
Stand:
Kürzlich wurde die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2022 vorgestellt. Sie zeigte: Die Zahl der Tatverdächtigen insgesamt wuchs um 7,6 Prozent. Bei jenen Tatverdächtigen aber, die im Kontext von Flucht nach Deutschland gekommen sind, stieg die Zahl um 11,9 Prozent. Diese Zahl bezieht sich auf die Straftaten ohne ausländerrechtliche Verstöße, sodass ein Vergleich der Gruppen sinnvoll ist. Fast zwölf Prozent Zunahme – ein Alarmsignal?
Kriminologe Christian Walburg von der Uni Münster nennt den Anstieg „erwartungsgemäß“ angesichts der Tatsache, dass 2022 deutlich mehr Menschen als in den Vorjahren nach Deutschland geflohen sind. Bei schweren Delikten aber gebe es gegenüber 2021 absolut gesehen kaum Unterschiede, bei Straftaten gegen das Leben sogar einen Rückgang.
Walburg forscht seit Jahren zum Thema und kann daher den Langzeitvergleich anstellen. Etwa zur Entwicklung der Statistik, nachdem in den Jahren 2015 und 2016 schon einmal besonders viele Geflüchtete in Deutschland eintrafen.
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„Damals gab es bei Geflüchteten einen deutlichen Anstieg von kleineren Delikten wie Taschen- und Ladendiebstahl. Das ist aber schon bald wieder spürbar zurückgegangen“, sagt Walburg. Dennoch sei die Kriminalitätsbelastung unter den Geflüchteten von 2015 und 2016 auch insgesamt erhöht.
Junge Männer fallen grundsätzlich durch eine erhöhte Kriminalitätsbelastung auf
Zum einen liege das daran, dass viele junge Männer kamen. Diese demografische Gruppe fällt grundsätzlich durch eine erhöhte Kriminalitätsbelastung auf. Delikte von Geflüchteten werden laut Walburg wohl auch etwas häufiger angezeigt.
„Das alles erklärt die Auffälligkeit aber noch nicht vollständig“, sagt der Forscher. „Eine Rolle spielen auch die unsichere Lebenssituation und die Sozialisations- und Gewalterfahrungen, die die Menschen zum Teil mitbringen.“
Das Bundeskriminalamt erstellt seit 2015 jährlich ein Bundeslagebild zur Kriminalität „im Kontext von Zuwanderung“. Der Begriff „Zuwanderer“ ist dort anders definiert als im alltäglichen Sprachgebrauch, nämlich zugeschnitten auf Menschen, die als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind – also zum Beispiel Asylbewerber:innen und Asylberechtigte.
Die jüngsten verfügbaren Zahlen beschreiben das Geschehen des Jahres 2021. Demnach waren 7,1 Prozent aller Tatverdächtigen Geflüchtete. Dieser Anteil ist seit 2018 kontinuierlich gesunken.
Die offizielle Statistik setzt die Zahl der Tatverdächtigen nicht ins Verhältnis zur jeweiligen Bevölkerungsgruppe, klar ist aber, dass der Anteil Geflüchteter an allen Tatverdächtigen deutlich höher ist als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung.
Auffällig ist, dass aus den Staaten Syrien, Afghanistan und Irak deutlich weniger Tatverdächtige stammen, als es deren Anteil an allen Asylsuchenden vermuten lassen würde. Für die Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien ist es umgekehrt. Hier ist auch der Anteil der Mehrfachtatverdächtigen besonders hoch. Ein Spitzenwert wird bei Menschen aus Algerien erreicht: Bei 56,6 Prozent derjenigen, die als Tatverdächtige registriert werden, passiert das mehrfach.
„Die in der Statistik auffälligen jungen Männer, die aus Nordafrika gekommen sind, haben auch dort eher am Rand der Gesellschaft gelebt und häufiger Vorerfahrungen mit Kriminalität mitgebracht“, sagt Walburg. Aus Syrien sei eher ein Querschnitt der Bevölkerung gekommen, das schlage sich in einer im Vergleich niedrigeren Kriminalitätsbelastung nieder.
Die Zahlen bei Mord und Totschlag
Wie sieht es aus bei schweren Gewalttaten? Die Migrationsbewegung fiel in eine Zeit allgemein sinkender Kriminalitätsraten. „Um die Jahrtausendwende herum gab es pro Jahr rund 1000 Fälle von vollendetem Mord oder Totschlag, in den vergangenen Jahren lag diese Zahl recht konstant bei etwas über 500. Bei rund 50 dieser Taten wurden Menschen als Tatverdächtige ermittelt, die im Zusammenhang mit Flucht nach Deutschland gekommen sind“, sagt Walburg.
„Oft sind dies Fälle, die öffentliche Debatten auslösen und die Stimmung im Land verändern. Diese Gruppe ist statistisch überrepräsentiert, dennoch betreffen solche extremen Fälle natürlich nur einen verschwindend geringen Teil aus einer Bevölkerungsgruppe von um die zwei Millionen Menschen.“ Für das Jahr 2021 gibt es 69 vollendete Tötungsdelikte, bei denen ein Zugewanderter als Tatverdächtiger ermittelt wurde.
Auch insgesamt, also für alle Formen illegalen Handelns, gilt: „Unter der einheimischen Bevölkerung wie unter Zugewanderten ist Kriminalität etwas, das die allermeisten Menschen nicht betrifft.“
Eine besonders problematische Gruppe
In der Statistik ebenfalls erfasst werden Zugewanderte als Opfer von Kriminalität: 5,2 Prozent aller registrierten Opfer sind Zugewanderte. 33 Zugewanderte wurden Opfer eines Tötungsdelikts.
„In der Summe hatte die Ankunft Geflüchteter 2015 und 2016 einen Einfluss auf die Kriminalitätslage in Deutschland, aber keinen dramatischen“, sagt Kriminologe Walburg. Besonderes Augenmerk verdient seiner Einschätzung nach aber die Gruppe der Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die jedoch weiterhin im Land sind und kaum Integrationsmöglichkeiten haben.
„Das ist eine besonders belastende Lebenssituation. Manche kommen damit besser klar, andere weniger gut, kriminologisch kann das mit Risiken verbunden sein. Nicht jeder wird deshalb zum Gewalttäter, aber für diese spezielle Gruppe braucht es bessere Lösungen“, sagt Walburg.
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