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Das Atomkraftwerk Obrigheim ist zwar schon vor dem zweiten deutschen Atomausstieg abgeschaltet worden. Dennoch steht das stillgelegte Kraftwerk auch für das Ende der Atomenergie in Deutschland.

© dpa

Generationengerechtigkeit: Ein Preis für den Atomausstieg

Damit die Politik nicht nur ans Jetzt, sondern auch ans Morgen denkt, vergibt die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (SRzG) einen Preis für generationengerechte Gesetzte: Diesmal für den Automausstieg.

Er ist mindestens so alt wie der Klassenkampf, aber bekommt in diesen Tagen durch das Rentenpaket der Koalition wieder eine neue Aktualität: Der Kampf der Generationen. Vor einer Gerontokratie wird gewarnt, einer Diktatur der Alten. Denn sie würden immer mehr, bestimmten mit ihrer Mehrheit die Politik und ließen die Jungen für ihre Rente und die Pflege schuften, lautet der Vorwurf.

Gerade bringt die große Koalition ein milliardenschweres Rentenpaket auf den Weg. Die abschlagsfreie Rente ab 63 und die Mütterrente lässt Schwarz-Rot sich 160 Milliarden Euro kosten. Die Gesellschaft altert, aber hört früher auf zu arbeiten – das klingt nicht nach Generationengerechtigkeit, zumal sich die Minderjährigen nicht wehren können gegen den Griff der Alten in die Kasse.

Fehlende Lobby für kommende Generationen

Aber nicht nur um Minderjährige und Jungwähler geht es, wenn von Generationengerechtigkeit die Rede ist, sondern auch um die, die noch gar nicht geboren sind. Auch sie haben Rechte, jedoch keine Lobby, die dafür kämpft, dass die jetzt Lebenden nicht die Ressourcen der Nachkommen verbrauchen.

Deshalb hat sich der 29-jährige Wolfgang Gründinger, Demokratieforscher und Publizist, gedacht: Wer keine Lobby hat und selbst keine organisieren kann, muss eben von anderen eine Lobby organisiert bekommen. Deshalb engagiert er sich in der „Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen“ (SRzG), dem wichtigsten außerparlamentarischen Think-Tank zu diesem Thema.

Politik für Rentner

Gestern verlieh die Stiftung zusammen mit der Humboldt-Viadrina School of Governance den Legislativpreis für generationengerechte Gesetze. Gesine Schwan, die Präsidentin der Humbolt-Viadrina, lobte in ihrer Begrüßungsrede, dass „sich junge Menschen für junge Menschen einsetzen.“ Und fügte hinzu: “Dass Sie mich dulden, obwohl ich nicht jung bin, ist wirklich nett”.

Die Chefin der Humboldt-Viadrina School of Governance, Gesine Schwan, hat in dieser Woche einen Generationenpreis verliehen - für den Atomausstieg als Beitrag zur Generationengerechtigkeit.
Die Chefin der Humboldt-Viadrina School of Governance, Gesine Schwan, hat in dieser Woche einen Generationenpreis verliehen - für den Atomausstieg als Beitrag zur Generationengerechtigkeit.

© imago

Der Preis wird für nachhaltige Gesetze verliehen und soll die Politik zu generationengerechtem Denken motivieren. Denn das scheint in den zurückliegenden Wahlperioden wieder in den Hintergrund gerückt zu sein: Warum sonst entlastet die Regierung die Alten und belastet die Jungen? Liegt es daran, dass die Parteien Politik für ihre Rentner-Wähler machen? Oder daran, dass zu viele Alte im Bundestag sitzen?

Ü 40-Party im Bundestag

Die Jungen haben tatsächlich wenig zu sagen in der Politik: Jeder dritte Wähler ist älter als 60. Im Bundestag tummelt sich der Nachwuchs auch nicht gerade. 49,7 Jahre ist der Bundestagsabgeordnete dieser Wahlperiode im Durchschnitt. Die Unter-Dreißig-Jährigen sind klar in der Minderheit.

Vier von diesen Jungen waren dabei und haben den Preis für Generationengerechtigkeit in Empfang genommen. Ein Preis wofür?, wird man sich nun fragen. Kaum für das Rentenpaket. Doch beim Thema Generationengerechtigkeit geht es nicht nur um Geld. Sondern auch um Ressourcen und das Klima.

Fukushima hat einen Bewusstseinswandel ausgelöst

Ein nachhaltiger Umgang mit unserer Umwelt ist eine Investition in die Zukunft. Und eine solche Investition ist in den Augen der SRzG der Atomausstieg der früheren schwarz-gelben Bundesregierung. Ein Gesetz, das mehr Generationengerechtigkeit brachte. Und deshalb den Legislativpreis bekam. „Ein Schritt nach vorn“ sei der Atomausstieg, sagte die SRzG-Botschafterin Bettina König in ihrer Laudatio, „ein mutiges Gesetz, das Innovationsbereitschaft zeige und für eine Industrienation einmalig sei.“

Denn Atomkraftwerke können tickende Zeitbomben sein und der Atommüll, den sie erzeugen, noch unzähligen Generationen nach uns schaden. „Fukushima war leider nötig, um das ins Bewusstsein zu bringen“, sagt die 29-jährige Grünen-Politikerin Clara Hermann. Zusammen mit Mahut Özdemir (SPD), Steffen Kanitz (CDU) und Diana Golze (Linke) nahm sie gestern den Preis für den Atomausstieg stellvertretend für den Bundestag entgegen.

Was können Politiker für mehr Generationengerechtigkeit tun?

Eine Parallele sieht Kanitz (CDU) in der Schuldenbremse, die es ohne die Pleite in Griechenland nicht ins Grundgesetz geschafft hätte. Krisen seien also manchmal nötig, um Generationengerechtigkeit durchzusetzen. Nur was genau gerecht ist, darin sind sich die Abgeordneten nicht ganz einig. Es gebe auch gute Schulden, sagt Özdemir (SPD) „nämlich solche, mit denen wir in Bildung, Infrastruktur und die Lebensbedingungen künftiger Generationen investieren“.

Diana Golze (die Linke) sieht die Sache mit dem Generationenkampf ganz anders: „Es gibt gar keine ungleiche Verteilung zwischen jung und alt, sondern immer nur zwischen arm und reich“. Die Altersarmut sei ein ebenso großes Problem wie die Jugendarmut.

Verherrlichung der Gegenwart, Vernachlässigung der Zukunft

Wofür und an wen genau der gestrige Preis verliehen wurde, scheint deshalb auch niemandem so recht klar zu sein. Abgeordnete des aktuellen Bundestages nahmen den Preis für ein Gesetz entgegen, das der vorhergehende Bundestag beschlossen hat. Diana Golze (Linke) erhielt die Urkunde für ein Gesetz, das die Linken gar nicht mitgetragen haben. Die waren nämlich gegen den Atomausstieg, weil er ihnen nicht weit genug ging.

So wussten die Politiker auch nicht recht auf die Frage zu antworten, ob sie die Urkunde nun im Büro aufhängen. Einen Platz im Herzen habe sie aber auf jeden Fall, wurde etwas lauwarm versichert.

„Jede parlamentarische Demokratie basiert auf einem Strukturproblem, nämlich der Verherrlichung der Gegenwart und der Vernachlässigung der Zukunft“, sagte einmal der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Dieses Strukturproblem scheinen auch die jungen Politiker nicht ganz überwinden zu können.

Die Humboldt-Viadrina Hochschule, die zur Preisverleihung einlud, war zuletzt in den Medien, weil sie Insolvenz anmelden musste. Präsidentin Gesine Schwan sagte schmunzelnd, es sei für sie „eine interessante Erfahrung, als Beamtin aufs Lebenszeit, plötzlich unternehmerisch mit dem Antrag auf Insolvenz konfrontiert zu werden“. Ihre jungen Public Policy Studenten konnten ihr da bestimmt helfen. Auch als Professorin mit über 70 lernt man eben noch dazu.

Livia Gerster

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