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Andreas Geisel (SPD), damaliger Senator für Inneres und Sport in Berlin, 2020 in seinem beschädigten Bürgerbüro.

© dpa/Fabian Sommer

Gewalt gegen Kommunalpolitiker: Wenn Demokratie zur Mutprobe wird

Zwei Grünen-Politiker bitten öffentlich um Hilfe. Wer sich heute politisch engagiert, riskiert viel. Was jetzt passieren muss, damit das System nicht kippt.

Laura Himmelreich
Ein Kommentar von Laura Himmelreich

Stand:

Zwei Kommunalpolitiker der Grünen wenden sich mit einem „verzweifelten Hilfeschrei“ an ihre Parteispitze. Sie bitten um Schutz vor verbaler Gewalt und Übergriffen. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel sagt einer der beiden, er habe nur deshalb keine akute Angst vor Angriffen, weil er „groß und kräftig“ sei.

Anders Kevin Kühnert: Der Ex–SPD–Generalsekretär zog sich aus der Politik zurück, weil er die Bedrohung im Alltag nicht mehr aushielt: „Ich bin nur 1,70 Meter groß“, sagte er der „Zeit“.

Das ist der Zustand der Demokratie 2025: Offenbar hängt es auch von Körpergröße ab, ob man sich traut, sich politisch zu engagieren.

Bei Demonstrationen werden Politikerinnen und Politiker an Galgenattrappen gezeigt. Auf Wahlkreisbüros werden Brandanschläge verübt. 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke von einem Neonazi erschossen. Und nun bitten zwei weitere Kommunalpolitiker öffentlich um Hilfe.

Mit jeder Beleidigung, jeder Bedrohung, jedem physischen Angriff wächst das Risiko einer Lähmung demokratischer Institutionen. Was für ein System wäre das, in dem nur noch körperlich starke oder psychisch belastbare Menschen in die Politik gehen? Oder jene ohne Kinder?

2024 zog sich das CDU–Politikerpaar Yvonne Magwas und Marco Wanderwitz aus der Politik zurück, aus Furcht um die Gesundheit der Familie. Rund sechs von zehn Politikern in Deutschland werden im Verlaufe ihres politischen Engagements mindestens einmal Opfer von Aggressionen oder körperlicher Gewalt, so eine aktuelle Studie. Jeder achte Betroffene berichtet auch von Angriffen aufs private Umfeld.

Wenn wir nicht in einem Land leben wollen, in dem die Sorge um die Familie über Engagement entscheidet, müssen wir mehr tun: im Strafrecht, im Schutz von Mandatsträgern, im Umgang miteinander.

Ein Schritt in die richtige Richtung wäre es, das Stalking von Politikern unter Strafe zu stellen. Der Bundesrat hat dies bereits vorangetrieben, Bundestag und Bundesregierung sollten nun nachziehen. Das Gesetz würde Proteste vor Privatwohnungen und Einschüchterung im privaten Umfeld verbieten – etwa das Abladen eines Misthaufens in der Einfahrt (passierte bereits in Sachsen).

Die besten Gesetze helfen nichts, wenn die Falschen sie durchsetzen.

Denn nur die Politikerinnen und Politiker der ersten Reihe bekommen auch privat Schutz von BKA oder LKA. Alle andere sind weitgehend auf sich selbst gestellt. Ein neuer Straftatbestand könnte helfen, da viele Taten unterhalb der Schwelle zur Nötigung oder Bedrohung liegen.

Ein generelles „Sonderstrafrecht“ für Politiker braucht es nicht. Körperverletzung bleibt Körperverletzung. Auch demokratiefeindliche Motivation kann bereits heute beim Urteil strafschärfend berücksichtigt werden.

Die besten Gesetze helfen allerdings nichts, wenn die Falschen sie durchsetzen. Die deutsche Personalauswahl hat es hinbekommen, dass wir sechs Jahre lang einen Geheimdienstchef hatten, der nun von seinen früheren Kollegen selbst als Extremist beobachtet wird. Rund 200 Polizeibeamte stehen unter Extremismusverdacht.

Wer Demokratie schützen soll, darf ihr nicht misstrauen. Es braucht strengere Eignungsprüfungen und Konsequenzen bei extremistischen Tendenzen – nicht erst nach Skandalen.

Und es braucht mehr präventiven Schutz. Ist die Tat erst passiert, ist es zu spät. Es braucht mehr Streifen, gründlichere Ermittlungen, feste Anlaufstellen für bedrohte Mandatsträger. Und ja: Dafür braucht es Personal.

JD Vance mag es stören, wenn Deutschland konsequent gegen Hass im Netz vorgeht. Doch angesichts der Entwicklungen in den USA sollte uns das bestärken, dass gerade das der richtige Weg ist.

Der letzte Punkt mag banal klingen, ist es aber nicht. Wir wissen alle, dass uns im Job nichts so sehr Kraft gibt, wie die Wertschätzung durch andere. Man muss nicht mit Politikern einer Meinung sein, oder sie wählen. Aber wenn wir an einem Wahlkampfstand (einer nicht extremistisch eingestuften) Partei vorbeigehen, dann können wir die Leute auch einfach mal anlächeln. Oder sogar für ihren Einsatz ein kleines Danke zurufen. Auch das hilft der Demokratie.

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