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Politik: „Glauben Sie wirklich, Europa will das hier sehen?“

Von Sven Lemkemeyer, Bukarest „Fragen Sie unseren Ministerpräsidenten Adrian Nastase, was er dazu sagt!“ Dircu Larzat dreht sich auf dem Sitz seines verbeulten gelben Taxis um, deutet über die Schulter in die Nebenstraße in Rahavo, einem Stadtteil der rumänischen Hauptstadt Bukarest.

Von Sven Lemkemeyer, Bukarest

„Fragen Sie unseren Ministerpräsidenten Adrian Nastase, was er dazu sagt!“ Dircu Larzat dreht sich auf dem Sitz seines verbeulten gelben Taxis um, deutet über die Schulter in die Nebenstraße in Rahavo, einem Stadtteil der rumänischen Hauptstadt Bukarest. Heruntergekommene Häuser mit schmutzigen Fassaden, die Straße holperig, mit riesigen Schlaglöchern übersät. „Glauben Sie wirklich, die EU möchte das sehen?“, fragt der 54-Jährige. In Rahova, wo besonders viele Roma oder Zigeuner, wie sie sich hier selbst nennen, leben, sind Arbeitslosigkeit und Armut extrem hoch. Doch nicht nur die benachteiligte Minderheit – nach offiziellen Angaben stellen die Roma zwei Prozent der 22,5 Millionen Einwohner des Balkanlandes – bewegt sich am oder unter dem Existenzminimum. Schätzungen gehen davon aus, dass 40 Prozent aller Rumänen in Armut leben.

1989 beendete die Revolution das fast 25- jährige Regime des Diktators Ceausescu. Der großen Freiheit folgte der große Stillstand. „Zehn Jahre lang haben die Rumänen vergeblich auf Reformen gewartet, die für sie den Alltag spürbar verbessern. Erst jetzt sind auf breiter Front Ansätze zu erkennen“, sagt ein deutscher Wirtschaftsvertreter. Auch die Europäische Union hat in ihrem jüngsten Länderfortschrittsbericht vermerkt, dass in Rumänien „beachtliche Fortschritte“ bei Menschenrechten sowie dem Schutz von Kindern und Minderheiten gemacht worden seien. Zugeschrieben wird dies Ministerpräsident Nastase, der das Land seit Dezember 2000 mit einem sozialdemokratischen Minderheitskabinett regiert. Der smarte 52-Jährige, ehemaliges Mitglied der kommunistischen Partei, und der von einigen als sein Nachfolger gehandelte Außenminister Mircea Geoana versuchen Rumäniens Image aufzupolieren. Sie fordern die Aufnahme in die Nato und streben die Mitgliedschaft in der EU im Jahr 2007 an. Ersteres gilt inzwischen als ausgemacht. Rumänien und Bulgarien sollen den neuen Brückenkopf der Nato auf dem Balkan bilden. Während Nastase den Nato-Beitritt als Stabilitätssignal an ausländische Investoren betrachtet, ist dieser Aspekt für die meisten Rumänen zweitrangig.

„Für die Menschen wäre es psychologisch unheimlich wichtig, dass unser Land in eine westliche Wertegemeinschaft aufgenommen wird“, sagt Bogdana Butnar. Die 23-Jährige arbeitet in der Kommunikationsabteilung von Rompetrol, der größten rumänischen Ölfirma, und zählt durch Studium und einjährigen USA-Aufenthalt zu den jungen Hoffnungsträgerinnen des Landes. Doch auch unter diesen sitzt der Frust tief. Viele ausgebildete Fachkräfte verlassen das Land. In diplomatischen Kreisen wird geschätzt, dass in den vergangenen zehn Jahren mehr als eine halbe Million Menschen ausgewandert sind – darunter viele Deutschstämmige.

Reisefreiheit mit Hindernissen

„Ich weiß nicht, woher unsere Politiker ihren Optimismus für den EU-Beitritt nehmen, geschweige denn, wie sie die hohen Brüsseler Anforderungen erfüllen wollen“, sagt Bogdana Butnar. „Die Regierung muss endlich einsehen, dass es nicht funktioniert, wenn die Preise sich immer mehr dem EU-Niveau nähern, die Löhne aber weit davon entfernt sind.“ Der monatliche Durchschnittslohn liegt bei etwa 130 Euro, die Inflationsrate ist die höchste in Europa, soll aber von jetzt 30 auf 22 Prozent im Dezember zurückgehen.

Besonders betroffen von der Armut sind alte Menschen. Die durchschnittliche Rente liegt zwischen 60 und 80 Euro. Die Arbeitslosigkeit wird offiziell mit 8,5 Prozent angegeben, in Wirklichkeit aber dürfte die Quote höher liegen: Wer länger als zwölf Monate ohne Job ist, wird von der Statistik nicht mehr erfasst. Und: Noch immer leben nach Angaben der Regierung 47 Prozent der Rumänen von der Landwirtschaft – Ochse und Pflug sind die wichtigsten Arbeitsmittel. „Ich halte den EU-Beitritt schon 2007 für völlig unrealistisch“, sagt der parteilose, deutschstämmige Bürgermeister von Hermannstadt, Klaus Johannis. Dabei geht es seiner Region, Siebenbürgen, verglichen mit dem Landesdurchschnitt gut. „Aber insgesamt ist unsere Wirtschaft noch weit von den EU-Standards entfernt.“

Trotz erster Verbesserungen bemängeln ausländische Investoren nach wie vor fehlende Rechtssicherheit. Und dann ist da noch die rumänische K-Frage: Die Korruption zieht sich quer durch die Gesellschaft. Knapp 3200 Fälle sind in den ersten sechs Monaten dieses Jahres publik geworden. Im September soll eine Behörde zur strafrechtlichen Verfolgung von Korruption die Arbeit aufnehmen. „Die Korruption ist nach wie vor ein riesiges Problem“, bestätigt Gheorghe Ceausescu, Professor für Altertumskunde an der Universität Bukarest. „Und ich befürchte, die Korruption kann nur langsam aus der Gesellschaft herauswachsen.“

Während der Nato-Beitritt für die Nastase-Regierung der erste große außenpolitische Erfolg wäre, haben sie einen kleinen schon erzielt. Mit deutscher Unterstützung gelang zum 1. Januar 2001 die Abschaffung der Visa-Pflicht durch die EU. Für die meisten Rumänen hat die Sache einen Haken. Der Deal gelang Nastase nur, weil er sich auf Reisebeschränkungen einließ. Rumänen müssen nachweisen, dass sie für jeden Tag Aufenthalt in einem Nicht-Schengen-Land 50 Euro mit sich führen. In Schengen-Ländern liegen die Beträge doppelt so hoch.

Reisen? Taxifahrer Dircu Larzat lacht bitter, während er seinen Wagen vorbei an sozialistischen Prachtbauten der Hauptstadt steuert. Bis zu 15 Stunden täglich sitzt er in seinem Taxi, sieben Tage die Woche. „Ich will Ceausescu nicht zurück. Aber ich habe wahrlich andere Sorgen.“

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