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Modis Anhänger feiern den Sieg bereits vor Verkündung des Endergebnisses.

© Diptendu Dutta,AFP

Indien nach der Wahl: „Globale Ambitionen – zu wenig Ressourcen“

Asien-Experte über die globale Rolle Indiens, die Spannungen mit Pakistan und das Verhältnis zu China.

Indiens Regierungspartei BJP von Premierminister Narendra Modi steht vor einer weiteren fünfjährigen Amtszeit. Bei der Parlamentswahl in der bevölkerungsreichsten Demokratie lag sie nach Zahlen der Wahlkommission vom Donnerstagabend (Ortszeit) vorn. Die BJP käme demnach auf eine deutliche Mehrheit der 545 Sitze im Unterhaus des Parlaments. Die oppositionelle Kongress-Partei gestand ihre Niederlage bereits ein.

Herr Wagner, in Indien leben über eine Milliarde Menschen, die Wirtschaft wächst rasant, das Land ist eine Atommacht. Warum nehmen wir Indien so wenig als Weltmacht wahr?

Indien hat ein Problem: Das Wirtschaftswachstum ist tatsächlich beeindruckend, aber das Land verfügt nicht über die Instrumente, um den globalen Anspruch, den die Führung Indiens durchaus immer wieder formuliert, tatsächlich umzusetzen. Der diplomatische Dienst umfasst ungefähr 900 Personen. Das ist vergleichbar mit einem Land von der Größe Singapurs. Das genügt natürlich nicht, um politische Ambitionen durchzusetzen.

Wie erklären sich den Widerspruch zwischen Ambition und Umsetzung?

In Indien kommen Großmacht-Ambitionen zusammen mit den Ressourcen einer Mittelmacht. Dabei spielt eine entscheidende Rolle, dass Indien trotz starken Wirtschaftswachstums noch eine vergleichsweise schwache wirtschaftliche Basis hat. Der Subkontinent liegt im Entwicklungs-Index der Vereinten Nationen noch immer in der Region von Rang 130. Die Industrialisierung stagniert derzeit sogar. Hier hat die Regierung Modi zwar versucht, durch Programme wie „Make in India“ mehr Investitionen ins Land zu holen. Aber insgesamt reicht die ökonomische Basis nicht, um mehr in eine offensive Außenpolitik zu investieren.

Als die Kongresspartei, die Erben Gandhis und Nehrus, an der Macht war, verstand sich Indien als eine Demokratie westlicher Prägung. Wie ist das Selbstverständnis unter Modi, der im Westen gern als Hindu-Nationalist bezeichnet wird?

Auch unter Modi versteht sich Indien weiter als größte Demokratie der Erde. Allerdings setzt es dieses Verständnis nicht in seiner Außenpolitik um. Im Verhältnis zu den USA oder zu Europa werden natürlich die politischen Gemeinsamkeiten immer wieder betont, aber in anderen Weltregionen – und in den Ländern des Südens ist Indien sehr aktiv – gehört Demokratieförderung nicht zu den Ambitionen der Modi-Regierung.

Christian Wagner ist Asien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, die auch die Bundesregierung berät.
Christian Wagner ist Asien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, die auch die Bundesregierung berät.

© Stiftung Wissenschaft und Politik SWP

In jüngster Zeit steigen die Spannungen zum Nachbarn Pakistan wieder. Woran liegt das?

Zu Beginn seiner ersten Amtszeit hatte Modi eine Reihe von Initiativen ergriffen, um das Verhältnis zu Pakistan zu verbessern. Er ist beispielsweise spontan nach Pakistan gereist, um mit Premier Sharif zu sprechen. Allerdings gab es dann eine Reihe von Terroranschlägen muslimischer Extremisten in Indien, die diese Annäherungsversuche rasch wieder zerstörten. Inzwischen vertritt Indien die Position, es werde keine Normalisierung geben, so lange von pakistanischem Boden Terrorgruppen gegen Indien aktiv sind. Und wir sehen, dass Indien als Reaktion auf die Anschläge nun auch militärisch aktiv wird. Im Frühjahr ist pakistanisches Staatsgebiet angegriffen worden. Auch vorher schon gab es Zwischenfälle.

Auch Pakistan ist eine Atommacht. Wie gefährlich ist die Situation?

Ich glaube, nicht wirklich. Beide Seiten wissen, dass sie den Konflikt nicht eskalieren lassen können. Aber es kann unter diesen Umständen können sich die bilateralen Beziehungen nicht verbessern. Es gibt de facto keinen Handel. Auch die gesellschaftlichen Kontakte haben deutlich abgenommen. Beide Seiten befinden sich in einer Phase der Nicht-Beachtung: Auszeit statt Annäherung.

China nimmt große Anstrengungen, um seinen Einfluss auf die Region auszubauen. Wie blickt Indien auf das Projekt „Neue Seidenstraße“?

Indien ist eines der wenigen Länder, das die Seidenstraßen-Initiative komplett ablehnt. Das hat zunächst einen spezifisch indischen Grund. Das größte Einzelprojekt dieser Initiative ist der chinesisch-pakistanische Wirtschaftskorridor.  Und Der verläuft durch den pakistanischen Teil Kaschmirs, der von Indien beansprucht wird. Indien sieht also eine Verletzung seiner nationalen Souveränität. Dennoch: China und Indien arbeiten bei aller Rivalität wirtschaftlich eng zusammen. China ist der größte bilaterale Handelspartner Indiens. Aber in Delhi weiß man natürlich auch, dass Peking mit dem Seidenstraßen-Projekt Machtprojektionen verbindet. Jeder Teilnehmer an der Initiative ist nicht mehr als ein Juniorpartner. Und das ist für Indien nicht akzeptabel, weil Indien sich auf Augenhöhe mit China sieht.

Ein mit Indien verbundenes Problem von globaler Relevanz ist die Umweltverschmutzung. Welche Anstrengungen unternimmt Indien?

Von den 20 am meisten belasteten Städte liegen 15 in Indien. Das versucht man natürlich, zu Verbesserungen zu kommen. Das Problem ist erkannt, aber die Regierung Modi hat auch eine Reihe von Umweltauflagen gelockert, um das industrielle Wachstum zu beschleunigen. Das bleibt ein permanentes Spannungsfeld – mit Folgen weit über die Region hinaus.

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