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Auch sie sind von Hilfe aus dem Ausland abhängig: Hungernde Kinder im Gaza-Streifen.

© AFP/Omar Al-Qatta

Globale Stärke statt Unterordnung: Bewahrt das Entwicklungsministerium!

Drei erfahrene Fachpolitiker warnen die Verhandler von Union und SPD davor, Entwicklungspolitik zugunsten der Verteidigung zu streichen. Großbritannien hat genau das getan.

Ein Gastbeitrag von

Stand:

In diesen Tagen verhandeln Union und SPD über Weichenstellungen für die Zukunft Deutschlands. Die großen Herausforderungen unserer Zeit – Sicherheit, Klima, Wirtschaft und Migration – lassen sich nicht allein in Deutschland lösen, sondern nur in globaler Zusammenarbeit.

Ob Deutschland ein Akteur oder nur ein Zaungast einer neuen globalen Ordnung wird, entscheidet sich auch daran, ob die deutsche Entwicklungspolitik Teil einer umfassenden Sicherheitsstrategie ist, bei der Diplomatie, Entwicklung und Verteidigung keine austauschbaren Prioritäten sind, sondern parallel gestärkt werden. Sonst riskieren wir, genau die Sicherheit zu untergraben, die wir gewährleisten wollen.

In diesem Sinne begeht die britische Regierung aktuell einen Fehler, wenn sie ihre Entwicklungsausgaben nochmals drastisch kürzt, um höhere Verteidigungsausgaben zu finanzieren. Auf allen Seiten – unter anderem von hochrangigen Vertretern des Militärs – wachsen in Großbritannien die Stimmen gegen diesen eingleisigen Kurs. Der Fokus auf eine europäische Verteidigungspolitik lässt Flüchtlingssituationen, humanitäre Notlagen und die Notwendigkeit von Krisenprävention nicht einfach verschwinden.

Zusätzliche Kürzungen bei der deutschen Entwicklungspolitik würden bedeuten, dass Deutschland weitere Fähigkeiten verliert, internationale Angelegenheiten zu gestalten und Allianzen aufzubauen. Andere Länder werden die Einladung dankend annehmen und das Vakuum nutzen.

Es ist daher nicht ratsam, sich ein Beispiel an Präsident Donald Trump zu nehmen, der gerade die US-Entwicklungspolitik zerstört. Doch auch weniger radikal anmutende Vorschläge zur Zusammenlegung von Ministerien haben das Potenzial, Deutschlands Einfluss in der Welt zu verringern.

Wer eine „Integration“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in das Auswärtige Amt vorschlägt, degradiert in Wahrheit die Entwicklungspolitik zu einem Anhängsel und zerstört damit eine Tradition Deutschlands, die uns weltweit viel Anerkennung eingebracht hat. Natürlich braucht das internationale Engagement Koordination, Effizienz und strategische Kohärenz. Sicher ist es richtig, bei der Entwicklungszusammenarbeit noch mehr auf messbare Wirksamkeit zu achten. Das bekommt man aber nicht durch den Abbau von Strukturen und Expertise.

Es kommt jetzt darauf an, die internationale Zusammenarbeit Deutschlands strategisch zu stärken und richtige Prioritäten zu setzen.

Gerd Müller, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Sir Mark Lowcock

Die Erfahrungen in Großbritannien zeigen: Die Eingliederung des Entwicklungsministeriums (DFID) in das Außenministerium (FCDO) im Jahr 2020 führte zu einem dramatischen Verlust an globalem Einfluss. „Soft Power“ ist schwer aufzubauen, aber leicht zu verlieren. Zudem wurden die Ziele verfehlt, die sich von der Fusion versprochen wurden. Deutschland sollte nicht den gleichen Fehler begehen. Bei der Vielzahl der diplomatischen, humanitären und finanz- und wirtschaftspolitischen Krisenherde wäre es gefährlich, wenn Fragen der Nachhaltigkeit und Kooperation untergeordnet würden, und Entwicklungspolitik nicht unabhängig gedacht wird.

Entwicklungszusammenarbeit ist aber viel mehr als humanitäre Hilfe und die Verringerung von Fluchtursachen, sie ist auch wirtschaftliche Zusammenarbeit, Technologietransfer und die Eröffnung neuer Märkte auch für heimische Unternehmen – die Arbeitsplätze schafft.

Gerd Müller, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Sir Mark Lowcock

Der Umbau von Ministerien geht im Übrigen immer mit erheblichen Anpassungsprozessen und kurzfristigen Effizienzverlusten einher. Die Zeit drängt: Während imperiale Bestrebungen weltweit Aufwind bekommen und die USA fast alle internationalen und multilateralen Verpflichtungen aufkündigen, kann sich Deutschland eine zeit- und ressourcenraubende Selbstblockade nicht erlauben.

Eine Kommission unter der Leitung der früheren Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat kürzlich empfohlen, die Arbeit des BMZ enger mit anderen Ministerien und mit der europäischen Ebene zu vernetzen. Sie sagte aber auch klar, dass eine Auflösung und Integration in ein anderes Ministerium der falsche Weg ist.

Es kommt jetzt darauf an, die internationale Zusammenarbeit Deutschlands strategisch zu stärken und richtige Prioritäten zu setzen, um Konflikten vorzubeugen, Fluchtursachen zu verringern, Wirtschaftskooperationen auszubauen, verlässliche Partnerschaften zu schaffen und die Sicherheit weltweit zu erhöhen.

Dazu ist es notwendig, Entwicklungspolitik noch stärker mit den strategischen Interessen Deutschlands zu verbinden. Die Folgen des Klimawandels – kürzlich vom Bundesnachrichtendienst als Sicherheitsrisiko für Deutschland eingestuft – müssen durch Präventions- und Anpassungsmaßnahmen gemindert werden. Die Pandemie und aktuelle Fälle von Ebola zeigen, dass der Aufbau starker Gesundheitssysteme weltweit zentral ist, um Ausbrüche neuer Krankheiten schnell zu identifizieren und zu begrenzen.

Mit einem eigenständigen Ministerium, dessen Budget sich an dem international vereinbarten 0,7-Prozent-Ziel orientiert, kann sich die deutsche Politik selbstbewusst in der sich neu entwickelnden Weltordnung als engagiertes Positivbeispiel verankern.

Gerd Müller, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Sir Mark Lowcock

Auch für die Migrationspolitik ist klar, dass vorbeugende Maßnahmen mehr denn je gefragt sind. So haben schon 2016 viele Praktiker festgestellt, dass die unzureichende Finanzierung der Notversorgung in Flüchtlingslagern ein Auslöser der damaligen Flüchtlingskrise war. Die aktuellen Kürzungen sind das beste „Flucht-Förderungsprogramm“.

Entwicklungszusammenarbeit ist aber viel mehr als humanitäre Hilfe und die Verringerung von Fluchtursachen, sie ist auch wirtschaftliche Zusammenarbeit, Technologietransfer und die Eröffnung neuer Märkte auch für heimische Unternehmen – die Arbeitsplätze schafft.

So ist es im eindeutigen Interesse der exportorientierten deutschen Wirtschaft, wenn sie in der Welt gute Kooperationspartner vorfindet. Die neue geopolitische Realität und steigender Protektionismus machen es dringlicher denn je, hier neue Wege zu beschreiten, insbesondere bei der Fachkräfteausbildung oder Rohstoffpartnerschaften.

Eine starke Außenpolitik braucht mehr als Verteidigungsausgaben – sie braucht Investitionen in Stabilität und Zukunftschancen.

Gerd Müller, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Sir Mark Lowcock

Die zukünftigen Wachstumspotenziale allein in Afrika sind gewaltig. Schon heute entsteht dort jeden Monat Infrastruktur in der Größenordnung von New York. Afrika besitzt die Mineralien für die Hightech-Industrie von heute und morgen, die wir so dringend benötigen.

Es kommt jetzt darauf an, die internationale Zusammenarbeit Deutschlands gezielt auszubauen und richtige Prioritäten zu setzen, damit wachsende Regellosigkeit nicht zu neuen Gewaltkonflikten führt.

Mit einem eigenständigen Ministerium, dessen Budget sich an dem international vereinbarten 0,7-Prozent-Ziel orientiert, kann sich die deutsche Politik selbstbewusst in der sich neu entwickelnden Weltordnung als engagiertes Positivbeispiel verankern. Laut Umfragen unterstützt die Mehrheit der Deutschen den Kampf gegen Hunger, Krankheiten und Armut – es gibt dafür also auch die gesellschaftliche Rückendeckung.

Die Bundesrepublik kann auf ihre Exportstärke und globalen Partnerschaften stolz sein – und sollte beides nicht aufs Spiel setzen. Wer bei Entwicklung kürzt, schadet nicht nur Deutschlands Reputation, sondern riskiert Menschenleben. Das kann nicht im deutschen Interesse sein. Eine starke Außenpolitik braucht mehr als Verteidigungsausgaben – sie braucht Investitionen in Stabilität und Zukunftschancen.

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