zum Hauptinhalt

Politik: Großer Zwiespalt und kleiner Aufstand

BONN .Angelika Beer trägt sonst immer ein freundliches Lausejungen-Lächeln im Gesicht als Abwehr gegen die Zudringlichkeit der Welt.

Von Robert Birnbaum

BONN .Angelika Beer trägt sonst immer ein freundliches Lausejungen-Lächeln im Gesicht als Abwehr gegen die Zudringlichkeit der Welt.Am Donnerstag früh steht die Wehrexpertin der Grünen mit angespannter Miene am Rednerpult des Bundestages."Ich will eine gewisse Hilflosigkeit gerade bei Grünen, die aus der Friedens- und Menschenrechtsbewegung kommen, nicht verhehlen."

Die Stimme stockt ein bißchen.Als "Kriegstreiberin" muß sie sich neuerdings titulieren lassen von ehemaligen Freunden aus der Parteilinken.Und sie weiß, daß da vor ihr in den Bänken der Fraktion ein kleiner Aufstand schwelt.Christian Ströbele, der Altlinke aus Berlin, war vor ihr am Rednerpult und hat Sätze gesagt wie diesen: "Ich schäme mich für dieses Land, daß jetzt wieder Bomben auf Belgrad geworfen werden!" Oder: Von Deutschland "geht wieder Krieg aus".Angelika Beer weiß, welchen Nerv solche Worte an der Basis treffen können: Nie wieder Krieg, das war der kategorische Imperativ der Friedensbewegung.Jetzt führt eine rot-grüne Regierung an der Seite der NATO Krieg.

"Ich hoffe", sagt Beer, und ihre Stimme schwankt dabei immer noch ein bißchen, "ich hoffe, es kann mir endlich einer von denen, die mich einen Kriegstreiber nennen, eine Antwort auf die Frage geben, was denn die Alternative gewesen wäre zu dieser schwierigen Entscheidung."

So angespannt ist lange keine Debatte im Bundestag mehr verlaufen wie diese kurze Einlage am Donnerstag morgen.Die Linksgrüne Beer, die sich in die Spalte Beruf im amtlichen Handbuch des Bundestages als "Referentin für Menschenrechtsfragen" hat eintragen lassen, läßt den Zwiespalt nach dieser ersten Nacht der Bomberflüge auf Jugoslawien am deutlichsten nach außen dringen.Aber sie spüren ihn alle.

Darum hatte Gregor Gysi auch so leichtes Spiel.Ganz früh am Morgen hat sich die PDS-Fraktion getroffen und zweierlei beschlossen: Erstens eine Klage vor dem Verfassungsgericht gegen den Bundeswehreinsatz, zweitens den Versuch, eine Debatte im Bundestag zu erzwingen.Es sei der Lage in keiner Weise angemessen, sagt Gysi dann im Parlament, daß die NATO zum ersten Mal einen Angriff auf einen souveränen Staat unternehme und der Bundestag derweil über das BAFöG debattiere.Kurz nach ihm kommt Ströbele.Spätestens da ist den anderen Fraktionen klar, daß Gysi zumindest in einem Punkt recht hat: Zur Tagesordnung übergehen geht nicht.

Es wird dann eine kurze Debatte mit einer Art vorläufiger Regierungserklärung von Rudolf Scharping.Am Abend vorher hat der Verteidigungsminister zum ersten Mal aufatmen können: "Alle vier von der Bundeswehr eingesetzten Maschinen sind glücklich wieder in Italien eingetroffen", sagt er kurz vor Mitternacht auf der Hardthöhe.Ob er erleichtert sei, fragt einer, dem nichts anderes einfällt."Ja, natürlich", sagt Scharping.

Und er sagt da schon, was er am Morgen danach im Bundestag sagt und in den nächsten Tagen noch sehr oft sagen wird: "Das Ziel ist die Verhinderung einer humanitären Katastrophe." Nicht gegen die Menschen in Serbien seien die Cruise Missiles und die Raketen der deutschen Tornados gerichtet, sondern gegen eine Diktatur, "die schändlich und verächtlich mit der Würde und der Freiheit der Menschen umgeht".Der Schlüssel zum Stopp der Bombardements liege in Belgrad, nirgendwo sonst.

Auch Wolfgang Schäuble redet und Wolfgang Gerhardt.CDU/CSU und FDP, so ihre Botschaft, stehen voll hinter der Regierung und voll hinter den Soldaten.Aber auch die Opposition spürt den Zwiespalt.Eine der bittersten Stunden seines parlamentarischen Lebens nennt Schäuble die Entscheidung für den Balkan-Einsatz.Gerhardt spricht von den Skrupeln einer freiheitlich verfaßten Gesellschaft, zur ultima ratio zu greifen.Aber niemals dürfe es Despoten gelingen, die freiheitliche Gesellschaft wegen dieser Skrupel lächerlich zu machen.

"Es gab keine Alternative" - dieser Satz steht am Tag Eins nach dem Angriff auf dem Balkan über den offiziellen Stellungnahmen.In den weniger offiziellen Stellungnahmen kommt ein Halbsatz hinzu: "Aber wir wissen nicht, ob wir am Ende Erfolg haben." Werden noch so heftige Bombardements ausreichen, um Milosevic in die Knie zu zwingen? Wird nicht die NATO bald vor unangenehmen Fragen stehen?

Offen sprechen darüber nur wenige.Volker Rühe, der Ex-Verteidigungsminister von der CDU,fordert, die "rote Linie" dürfe nicht überschritten werden: "Keine Bodentruppen." Und offen spricht Gysi, der es sich leicht macht, weil er alle Skrupel auf die Formel "Angriffskrieg" verkürzt: Woher denn nur, fragt der PDS-Fraktionschef, die anderen den Glauben nähmen, der von ihnen als so irrational geschilderte Milosevic werde nach ein, zwei Bomben vernünftig?

"Wir können nicht bis zum Allerletzten gehen, zum Einsatz am Boden", sagt der CDU-Außenpolitiker Karl Lamers."Aber sollen wir nicht das, was wir tun können, wenigstens tun? Niemand hat eine größere Verantwortung, als er leisten kann." Das liegt dicht bei einer Erklärung des Grünen-Vorstands: "Wir sehen uns nicht in der Lage, dieses Dilemma politisch oder moralisch eindeutig aufzulösen."

Christian Ströbele hat übrigens in seiner Fraktion nur wenig Unterstützer gefunden.Wer sich für seine Fraktion schäme, hielt ihm der Abgeordnete Matthias Berninger entgegen, solle selbst daraus die Konsequenzen ziehen.

Zur Startseite