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Politik: Hans Eichel foppt die Länder und vertäut sein Sparkonzept zu einem unauflöslichen Block (Kommentar)

Ist Hans Eichel ein Linker? Der Sozialdemokrat, der das undankbare Amt des Bundesfinanzministers nach Oskar Lafontaines überraschender Flucht vor der Verantwortung übernahm, würde gewiss mit einem Ja antworten.

Ist Hans Eichel ein Linker? Der Sozialdemokrat, der das undankbare Amt des Bundesfinanzministers nach Oskar Lafontaines überraschender Flucht vor der Verantwortung übernahm, würde gewiss mit einem Ja antworten. Doch in seiner Partei sind sich viele nicht mehr so ganz sicher. Eichel kürzt Sozialleistungen, Eichel spart, Eichel fordert mehr Eigenverantwortung der Bürger. Als die SPD im Bundestag noch auf den Oppositionsbänken saß, galt solches als neoliberal.

Und doch: Der Bundesfinanzminister ist ein Linker. Der Konflikt zwischen links und rechts wird oft an den Polen Gleichheit und individuelle Freiheit festgemacht. Der Linke tritt stets für eine größere Gleichheit ein, während für den Rechten die Gesellschaft unausweichlich hierarchisch ist. Zwischen Gleichheit und Freiheit besteht ein ständiges Spannungsverhältnis, und manchmal geraten sie in Konflikt. Eichels und auch Schröders Hauptanliegen aber bleibt die soziale Gerechtigkeit.

Doch die Frage, was soziale Gerechtigkeit denn sei, lässt sich so simpel nicht mehr ins klassische Links-Rechts-Schema pressen, wie das mal war. Mit dieser Erkenntnis tut sich die SPD noch schwer. Auch deswegen leidet die Partei derart an dem Streit zwischen den so genannten Modernisierern und den Traditionalisten. Kollektive Lösungen können eben auch Ungleichheiten schaffen. Oder ist es gerecht, wenn der wirklich Arme auf der Strecke bleibt, während andere sich an Besitzständen klammern obwohl sie sich aus eigener Kraft helfen könnten?

Eichels Politikansatz geht genau darauf ein. Er trägt der zunehmenden Individualisierung in der Gesellschaft Rechnung, indem er fordert, dass damit auch Verpflichtungen des Einzelnen einhergehen. Das hat nichts mit der durchgreifenden Deregulierung zu tun, die die Neoliberalen fordern. Eichel will den Sozialstaat retten. Dafür muss er die politische Handlungsfähigkeit der Regierungen stärken. Die Rückgewinnung finanzieller Handlungsfähigkeit ist Grundvoraussetzung dafür, dass der Staat seine Aufgaben wieder richtig erfüllen kann.

Eichels Sparprogramm ist der erste Schritt in diese Richtung. Sparen ist für den Finanzminister kein Selbstzweck. Er muss sparen für einen aktiven Staat, der sozialen Schutz und soziale Gerechtigkeit im Zeitalter eines sich ständig beschleunigenden wirtschaftlichen Strukturwandels bewahren will. Deswegen weist der SPD-Politiker völlig zu Recht darauf hin, dass sein Sparpaket mehr ist als das, was seine Kritiker in ihm sehen: Für Eichel ist es die Basis für einen sozial gerechten, damit auch zukunftsfähigen Staat.

Der Finanzminister sieht das klarer als viele andere in seiner Partei. Er wurde im neuen Amt auch brutaler mit der bitteren Wirklichkeit konfrontiert. Fast ein Viertel der Steuereinnahmen ist im Bundeshaushalt allein an Zinszahlungen für alte Schulden gebunden. Pro Minute sind das 150 000 Mark, pro Tag 225 Millionen Mark. Diese Zinslast stranguliert den Haushalt. Wird der Marsch in den Verschuldungsstaat nicht gestoppt, wird es immer schwerer, in der Politik noch ökonomische oder soziale Prioritäten zu setzen. Auch Lafontaine kannte diese Zahlen. Vielleicht hat er es deswegen im Finanzministerium nicht mehr ausgehalten?

Eichel weiß, wie schwer es gerade Sozialdemokraten fällt, seinem Weg zu folgen. Deswegen will er am Gesamtpaket auch nicht rütteln lassen und bringt es als ein einziges Sanierungsgesetz in Bundestag und Bundesrat. Alles oder nichts, fordert er. Das ist wohl auch der richtige Weg, wenn er verhindern will, dass unter dem Druck der Gegenkräfte Stück für Stück aus seinem Sparprogramm herausgelöst wird. Das Problem des Finanzministers dabei ist, dass er seine Politik oft nur sehr nüchtern vorträgt. Der Hesse wirkt in Fraktionssitzungen selten so, als verbinde er mit seiner Politik wirklich Visionen. Das macht es seinen Parteifreunden schwer, seine Politik wirklich als strategisches Konzept oder gar als linkes Projekt wahrzunehmen. Der Gehalt muss also besser sichtbar werden. Wenn Eichel das gelingt, wird ihm die SPD nicht nur wegen der Kraft seiner Argumente folgen, sondern bald vielleicht sogar ein bisschen mit dem Herzen. Dann ahnten die Genossen nämlich, dass Hans Eichel doch ein Linker ist.

Carsten Germis

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