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Gedenken an die ermordeten Polizisten am Tatort an der Kreisstraße 22 bei Ulmet (Rheinland-Pfalz)

© dpa/Harald Tittel

Update

Nach Mord an Polizisten in Rheinland-Pfalz: „Hate Speech“-Ermittler finden fast 400 Hasskommentare

Im LKA Rheinland-Pfalz recherchiert eine Ermittlungsgruppe „Hate Speech“ zu Hetz-Kommentaren nach dem Polizistenmord. Sie meldet erste Erfolge.

Von Frank Jansen

Die Kommentare zum Tod der beiden Polizisten sind grauenhaft, doch sie bleiben nicht unbeantwortet. Die Polizei in Rheinland-Pfalz ermittelt massiv gegen menschenverachtende Äußerungen im Internet nach dem Mord an dem Polizeioberkommissar Alexander K. und der Polizeikommissaranwärterin Yasmin B. am Montag vor einer Woche im Kreis Kusel.

Der am Dienstag eingerichteten Ermittlungsgruppe "Hate Speech" seien "399 Fälle von Hass und Hetze in Zusammenhang mit der schrecklichen Tat" bekannt geworden, sagte Landesinnenminister Roger Lewentz (SPD) am Montag bei einer Pressekonferenz in Mainz. Insgesamt 102 Fälle seien strafrechtlich relevant, in 15 Fällen seien bereits "Verantwortliche ermittelt und zum Teil mit Maßnahmen belegt worden".

SEK musste den Hass-Absender überwältigen

In der Nacht zu Freitag hatte ein Spezialeinsatzkommando in einem Ort in der Verbandsgemeinde Herrstein-Rhaunen einen 55-jährigen Mann überwältigt. Er hatte bei Facebook vermummt in zwei Videos zu einer "Freudenfeier" und zum "Cophunting" (Jagd auf Polizisten) aufgerufen, die EG Hate Speech kam ihm auf die Spur.

Der Mann beschrieb unter anderem, wie Polizisten nachts auf einen Feldweg gelockt und aus dem Hinterhalt mit Waffen angegriffen werden sollten. Der Mann bot an, die Tat gegen Bezahlung zu organisieren. "Er wollte das als Event aufziehen und sich mit 500 Euro pro Person entlohnen lassen", sagte Lewentz. Als die Polizei bei dem Mann anrückte, leistete er Widerstand. Die Beamten mussten einen Elektro-Taser einsetzen. Als die SEK-Beamten den Mann "fixiert hatten, sagte er: das ist der Grund, warum man euch in den Kopf schießen sollte", berichtete der Minister.

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Im Haus des Mannes stellten die Beamten einen Baseballschläger und eine Armbrust sicher. Der Beschuldigte muss sich jetzt wegen Androhung einer Straftat und Bedrohung verantworten. Angesichts der Aggressivität des Mannes brachte die Polizei ihn in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses. Nach einer Untersuchung wurde er entlassen und ist jetzt auf freiem Fuß.

Postings bei Telegram, Twitter, Facebook und weiteren Online-Medien

Lewentz nannte weitere Beispiele von Hetze nach dem Tod der beiden Polizeibeamten, die zwei Wilderer kontrollieren wollten und erschossen wurden. "Geil, jetzt sind wieder zwei Bullen weniger in Deutschland", "wer meint, einen Eid auf sein Scheiß-Vaterland schwören zu müssen, muss mit den Konsequenzen leben" sind zwei der fast 400 Postings, mit denen sich die EG Hate Speech befasst. Die Kommentare seien "schamlos, Menschenverachtung und widerwärtig", sagte Lewentz. Gepostet werde unter anderem bei Telegram, Twitter, YouTube und Facebook. Doch die Einrichtung der EG Hate Speech sei "eine klare Botschaft an die Hetzer da draußen", betonte der Minister.

Der Ermittlungsgruppe des LKA gehören 14 Experten und Expertinnen an. Unter ihnen befänden sich Cyber-Analysten und Ermittler zu politisch motivierter Kriminalität, sagte der Präsident des Landeskriminalamts, Johannes Kunz, bei der Pressekonferenz. Die EG habe alle Polizeidienststellen bundesweit informiert und bereits viele Meldungen aus anderen Bundesländern erhalten. So gelang es, allein einem User insgesamt 35 Hasspostings zuzuordnen. Eng kooperiert wird auch mit dem Bundeskriminalamt. Kunz sagte allerdings auch, in den sozialen Medien gebe es "überwiegend Beileidsbezeugungen". Außerdem würden zivilgesellschaftliche User viele Hasspostings zurückweisen. Das sei allerdings "ein Akt der Zivilcourage", weil man dann selbst mit Hasskommentaren befeuert.

Vereinzelt Bezüge zu Querdenkern

Die strafrechtlich relevanten Beiträge leitet das LKA an die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz weiter. Dort bearbeitet die "Landeszentralstelle zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus (ZeT)" die Verfahren. Bei Tatverdächtigen außerhalb von Rheinland-Pfalz werden die Staatsanwaltschaften anderer Bundesländern eingeschaltet. Generalstaatsanwalt Jürgen Bräuer nannte bei der Pressekonferenz auch die Delikte, die bislang angefallen sind: Billigung von Straftaten, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, Volksverhetzung und Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole. Vereinzelt gebe es Bezüge zur Coronapolitik und zum Verbot von Montagsspaziergängen. Bräuer betonte, strafbar mache sich auch, wer Hasspostings nur liked oder mit einem entsprechenden Emoji versieht.

Debatte um Bodycams für Polizisten

Unterdessen wird in der Politik über einen besseren Schutz für Polizisten diskutiert. Es müsse mehr in Bodycams und Videokameras an Polizeiwagen und zivilen Einsatzfahrzeugen investiert werden, forderte am Wochenende der niedersächsische Wirtschaftsminister und Chef der Landes-CDU, Bernd Althusmann. „Alle polizeilichen Erhebungen und Statistiken belegen, dass Videokameras - ob am Körper oder am Fahrzeug - bei der Aufklärung eines Tathergangs hilfreich sind und deeskalierenden Charakter haben". Wenn klar sei, „dass jedes Aufeinandertreffen mit der Polizei aufgezeichnet wird, erhöht dies nachweislich die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung“. Widerspruch kommt aus der SPD. Bodycams und Videokameras in Streifenwagen könnten nur „bestimmte gewaltbereite Täter davon abhalten, sofern Ihnen beim Einsatz bewusst gemacht werden kann, dass ihr die gesamte Situation gefilmt wird“, sagte Sebastian Fiedler, Innenexperte der Bundestagsfraktion und Ex-Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, dem Tagesspiegel. „Bei emotional aufgeladenen Affekttaten, bei berauschenden Mitteln im Blut, bei psychisch Erkrankten oder Tätern ohne jeden Skrupel stößt Videotechnik an ihre Grenzen“, betonte Fiedler. Solche Täter ließen sich häufig davon nicht beeindrucken oder seien gar nicht zugänglich. „Nach allem was wir derzeit wissen, muss man erhebliche Zweifel daran haben, dass sie im Fall Rheinland-Pfalz irgendetwas bewirkt hätten“, sagte Fiedler.

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