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Zu nah? Ein Teilnehmer einer NPD-Demonstration in Thüringen steht einem Polizisten gegenüber.

© Michael Reichel/dpa

Hitlergruß, antisemitische Videos, Reichsbürgersymbole: Mindestens 170 Verdachtsfälle von Rechtsextremismus bei der Polizei

In Bayern gab es die meisten rechten Vorfälle in der Polizei. Hessen verweigert die Auskunft, Sachsen registriert die Fälle erst gar nicht. Ein Überblick.

Hitlergruß, antisemitische Videos und Reichsbürgersymbole: Polizeibeamte in Deutschland sind in den vergangenen fünf Jahren in mindestens 170 Fällen mit rassistischem und/oder rechtsextremem Gedankengut aufgefallen. Das ergab eine Umfrage des Tagesspiegel in den Innenministerien und Polizeipräsidien der 16 Bundesländer.

Ausgangspunkt der Frage nach rechten Tendenzen in den Reihen der Polizei ist die Affäre um die Drohmails mit dem anonymen Unterzeichner NSU 2.0. Spuren in dieser Affäre führen zu Polizeicomputern in Hessen – dem einzigen Bundesland, das nach mehrmaligem Nachfragen eine Auskunft zu Vorfällen mit extremer Gesinnung unter Polizeibeamten verweigert.

Bekannt ist, dass es in Hessen Abfragen persönlicher Daten aus Polizeicomputern in Wiesbaden und Frankfurt gab. Diese Daten fanden sich in den Drohschreiben wieder. Betroffen sind mehrere prominente Persönlichkeiten, unter anderem die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, die hessische Linkenpolitikerin Janine Wissler und die Comedienne Idil Baydar.

„Der Täter fühlt sich offensichtlich sehr sicher“, sagt Wissler, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken in Hessen. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel äußert sie Zweifel daran, dass der Absender der Mails, die sie seit Februar erhält, bald ermittelt wird.

Kollegen, die auspacken, gelten als Nestbeschmutzer

Die Polizisten, von deren Computern persönliche Daten abgefragt wurden, seien in Wiesbaden „als Zeugen, und nicht als Beschuldigte“ vernommen worden. Beamte würden sich gegenseitig decken oder hätten Angst, übereinander auszusagen. „Die Kollegen, die etwas dagegen sagen, gelten als Nestbeschmutzer.“ Sie glaube nicht, dass sich das Problem auf Hessen beschränkt.

Wie aus den Antworten auf die Tagesspiegel-Anfrage hervorgeht, gab es unter den restlichen Bundesländern in Bayern die meisten Vorfälle. Insgesamt 30 Disziplinarverfahren, von denen ein Großteil noch nicht abgeschlossen sei, heißt es aus dem Innenministerium. Dabei sei es um „extremistische Sachverhalte gegangen“, nähere Angaben machte die Behörde nicht. Nur der Hinweis, dass es sich nicht um linksextreme Vorfälle handele.

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26 Verdachtsfälle gab es in Schleswig- Holstein, 21 in Nordrhein-Westfalen, jeweils 18 in Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern. Auch in Berlin gab es Vorfälle, nach denen Strafverfahren eingeleitet wurden. Genauere Angaben machte das Polizeipräsidium zunächst nicht.

In Hamburg registrierte die Polizei fünf Straftaten in den vergangenen fünf Jahren. In einem Fall hatten Zollbeamte bei einem Polizisten fast 1000 Waffen und Waffenteile, Munition sowie Nazi-Devotionalien sichergestellt. Der Beschuldigte wurde zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten auf Bewährung sowie einer Geldstrafe verurteilt. Er sei immer noch im Dienst.

Nur in Bremen gibt es keinen Fall

Die geringsten Fallzahlen stammen aus Brandenburg (zwei) und dem Saarland (einer). In Bremen soll es keinen Fall gegeben haben. Von zwei islamistischen Vorfällen berichtete Nordrhein- Westfalen, ein weiterer Fall dieser Art ist aus Sachsen bekannt. Dort soll ein Polizeibeamter Verbindungen zur islamistischen Muslimbruderschaft gehabt haben. Linksextreme Vorkommnisse meldete keine der 16 Behörden.

Die Gesamtzahl von 170 Vorfällen ist nach aktuellem Stand eine Mindestgröße. Einige Behörden konnten Daten nur zum Teil erheben oder machten nur lückenhafte Angaben. Die sächsische Polizei gibt an, keine Statistik „zu extremistischen Vorfällen bei Beamten und Beschäftigten der sächsischen Polizei“ zu führen.

Sie sendet aber eine Liste von 16 Vorfällen, aus der hervorgeht, dass Polizisten teils demokratiefeindliche Äußerungen in sozialen Netzwerken gepostet haben. Es handelt sich um eine Antwort auf eine Anfrage der Linken. Dort wird auch der Fall eines Beamten beschrieben, der im Oktober 2019 einer Frau, die Anzeige erstatten wollte, den Zutritt verweigerte, weil sie ein Kopftuch trug.

Aufklärung durch Führung, Verfolgung und öffentlichen Druck

Der Politikwissenschaftler Hajo Funke sieht ein „strukturelles Problem“. Es gebe innerhalb von staatlichen Institutionen rechte Netzwerke, Sicherheitsbehörden ließen es „systematisch zu, dass sich solche Tendenzen ausbreiten“. Entscheidend für den Erfolg von Aufklärung seien die „jeweilige Führung“, unabhängige Untersuchungen, eine funktionierende Justiz und eine Öffentlichkeit, die Druck ausübe, sagt Funke.

Den hessischen Behörden bescheinigt er einen „Mangel an politischem Aufklärungswillen“. Dieser ziehe sich „über alle Ebenen, vom Polizeipräsidenten über den Innenminister bis zum Ministerpräsidenten“. Dass der Drohmail-Schreiber mit der Unterschrift NSU 2.0 auch nach mehr als zwei Jahren nicht gefasst sei, sei „eindeutig zu lang“.

Inzwischen verfolgen die hessischen Sonderermittler zum "NSU 2.0" neue Spuren nach Hamburg und Berlin. Nach Recherchen von WDR und "Süddeutscher Zeitung" wurden dort kürzlich vier Polizeibeamte und -Beamtinnen befragt, die verdächtige Abfragen in Datenbanken getätigt haben sollen. Es geht um Daten von Idil Baydar und von der taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah - beide erhielten kurz nach den Abfragen schriftliche Beleidigungen und Todesdrohungen.

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In Hamburg befragten die hessischen Sonderermittler einen Polizisten und eine Polizistin, die unabhängig voneinander ihren dienstlichen Zugang zu Polizeicomputern genutzt haben sollen, um persönliche Daten der Journalistin Yaghoobifarah abzufragen und zwar ohne erkennbaren dienstlichen Grund. 

Immer wieder werden illegal persönliche Daten abgefragt

Indes gehen die unzulässigen Abfragen persönlicher Daten weiter. Bekannt sind sie bislang aus Berlin, Hamburg und Bremen. Die Polizei in Hamburg teilt auf Tagesspiegel-Anfrage mit, zwei Polizeibeamte „erstbefragt“ zu haben. Man habe keinen Hinweis darauf, dass die Polizisten Daten weitergegeben hätten. „Ebenso haben wir keine Erkenntnisse, dass es im Zusammenhang mit rechten Tendenzen, Netzwerken, Strukturen oder gar im Zusammenhang mit NSU 2.0 zu sehen ist“, schreibt eine Sprecherin.

In Bremen teilt die Sprecherin des Innensenators mit, dass es sich dabei um ein rein privates Interesse an der Durchsicht von Daten gehandelt habe. Zu den NSU-2.0-Drohmails gebe es keine Verbindung.

In der Wiesbadener Innenstadt wurde im Juli anlässlich einer Sitzung des Landtags-Innenausschusses zu rechtsextremen Drohschreiben für die Betroffenen demonstriert.
In der Wiesbadener Innenstadt wurde im Juli anlässlich einer Sitzung des Landtags-Innenausschusses zu rechtsextremen Drohschreiben für die Betroffenen demonstriert.

© Foto :Arne Dedert/dpa

Polizeiinterne Chatgruppen mit rechtsextremen Inhalten formierten sich, soweit bekannt, bisher in Hessen, Berlin, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg. Dort waren im ersten Halbjahr 2020 sieben Polizeimeisteranwärter in einer Whatsapp-Gruppe, in der sie Bilder und Texte mit fremdenfeindlichen Inhalten austauschten. Bei allen sei ein sofortiges Entlassungsverfahren eingeleitet worden, teilte das dortige Innenministerium mit.

Der Großteil der angefragten Behörden gab an, gegen solche Vorkommnisse vorzugehen. Es gebe bereits im Studium und in der Ausbildung von Polizisten eine Reihe von Präventions- und Aufklärungsprogramme zum Thema Rechtsextremismus. Das nordrhein-westfälische Innenministerium teilt mit, dass es seit April dieses Jahres in allen Polizeibehörden Extremismus-Beauftrage gebe.

Die Berliner Polizei verweist, wie andere Bundesländer auch, auf Unterricht zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das niedersächsische Innenministerium teilt mit, „zur Vorbeugung extremistischer Tendenzen“ mehr Polizisten mit Migrationshintergrund einstellen zu wollen. In Bremen soll im Herbst das neue Polizeigesetz verabschiedet werden, das eine Regelprüfung von Polizeibeamten auf Verfassungstreue vorsieht. Bislang sei diese freiwillig gewesen.

Fatima Abbas

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